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FÜNF! Dinge über Chartreuse

Der grüne Likör ist heute mehr als wohl je zuvor ein Star der Bar, ein aromatischer Kraftakt und Partygigant. Doch seine Ursprünge sind so ganz anders. FÜNF! Einblicke in die Heimat von Chartreuse, in eine Welt, die so fern ist, dass es kaum vorstellbar scheint, dass sie heute noch existiert.

Es gibt Facebook, Google, Amazon und Apple. Firmen, die sich auf die Fahnen schreiben, die Welt zu einem besseren Ort gemacht zu haben. Und dann gibt es da, in den französischen Alpen, einen Mönchsorden, der sich das vor knapp 1.000 Jahren auch vorgenommen hat. Aber die Mönche des Kartäuser-Ordens hängen das nicht so an die große Glocke. Sie produzieren stattdessen lieber seit Langem einen großen Likör. Wir blicken heute hinter FÜNF! Aspekte der legendären Chartreuse, die nicht so oft zur Sprache kommen.

1) Einkehr, Schweigen, Meditation – ein Leben für die Welt

So sehr der Likör neben seinem Einsatz in manchen Bars und unter Bartendern als Shot für Krawall, Party und Eskalation steht, so gegenläufig ist seine Herkunft: Der katholische Orden der Kartäuser, der im Jahre 1084 durch den heiligen Bruno von Köln gegründet wurde, hat sich dem Eremitentum verschrieben. Damit ist gemeint, dass die Mönche des Ordens sich der „Gemeinsamen Einsamkeit“ verschrieben haben.

Zwar leben und arbeiten die Mönche des Kartäuser-Ordens in den jeweiligen Klöstern in einer Versorgungsgemeinschaft, doch im Zentrum des Daseins stehen für sie die einsame Meditation und das Beten für die Welt. Jeder Mönch schläft und isst allein in seinem Wohnhäuschen, der „Ermitage“, zusammen kommen die Brüder nur mehrmals am Tag, um Messen zu feiern. Gesprochen wird so gut wie gar nicht, jedenfalls nicht innerhalb des regulären Klosterlebens. Lediglich einmal in der Woche speisen die Mönche zusammen, und ebenso gibt es einmal in der Woche das sogenannte spatiamentum, eine Reihe von Spaziergängen, während der sich Mönche jeweils im Zwiegespräch über ihre Gedanken und Sorgen austauschen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ordensgemeinschaften, in denen die Gemeinschaft stärker im Vordergrund steht, ist der Kerngedanke der Kartäuser die gegenseitige Unterstützung von Einsiedlern, von denen jeder einen Teil der alltäglichen Notwendigkeiten wie Kochen, Handarbeit, Holz hacken oder Landwirtschaft übernimmt, damit alle Brüder mehr Zeit für die innere Einkehr haben. Ein weiterer Gegensatz zu anderen Klostergemeinschaften ist die Tatsache, dass der Kartäuser-Orden keine „Aussteiger“ aufnimmt, die vorher ein familiäres Leben geführt haben: Wer verheiratet ist oder war oder gar Kinder hat, ist nach Ansicht der Ordensgrundsätze nicht mehr in der Lage, sich spirituell so sehr von der Welt abzutrennen, wie es für das Leben als Kartäusermönch erforderlich ist. Ebenso ist es so gut wie unmöglich, das Kloster als nicht-mönchischer Gast von Innen zu sehen.

2) Väter und Brüder: Zwei Seiten der Einsamkeit

Im klösterlichen Leben gibt es zwei verschiedene Typen von Mönchen: die sogenannten „Väter“ und die „Brüder“ – sie haben sehr unterschiedliche Tagesabläufe und Arbeitsschwerpunkte im täglichen Leben.

Die Väter, die nach abgeschlossener Ausbildung auch immer gleichzeitig geweihte Priester sind, haben vor allem spirituelle Aufgaben. Sie leben wesentlich zurückgezogener als die Brüder und kümmern sich um theologische Belange, arbeiten wissenschaftlich, kümmern sich um den Ablauf der Messen und sind auch als Seelsorger für die Brüder verantwortlich, die zwar Mönche, aber keine Priester sind.

Die Brüder hingegen kümmern sich mehr um praktische, handwerkliche Belange, d.h. sie sind für den sauberen Tagesablauf im Kloster verantwortlich und kochen, backen Brot oder bestellen die Gärten und versorgen das Vieh. Gleichzeitig sind aber auch sie natürlich in erster Linie Diener Gottes und der Welt – wenn auch mit „nur“ rund sechs bis sieben Stunden Gebet am Tag (die Väter verbringen hingegen über 12 Stunden täglich im Gebet, in Messen und in Meditation). Generell ist der Tagesablauf der Brüder etwas weniger strikt als jener der Väter.

Wichtig ist jedoch die Tatsache, dass die Väter trotz ihrer Bezeichnung den Brüdern nicht hierarchisch übergeordnet sind, denn alle Mönche sind „gleich“. Das Leben eines Vaters mag aus externer Sicht vermeintlich „einfacher“ oder höhergestellt wirken, ist jedoch für die betreffenden Mönche ein anstrengendes Tagwerk. Die Mönche bilden erst im Zusammenschluss eine Gemeinschaft, die existieren kann. In den Grundsätzen des Ordens steht daher geschrieben „Die Väter brauchen die Brüder, die Brüder brauchen die Väter“.

3) Das Rezept kam von anderswo

Auf der Flasche der Chartreuse-Liköre prangt heute die Jahreszahl 1605. Diese Zahl verweist allerdings weder auf die Entwicklung einer Rezeptur, noch auf den Beginn der Herstellung des Likörs. In jenem Jahr allerdings schenkte der französische Diplomat und Marschall François-Annibal d’Estrées den Kartäusermönchen im Kloster von Vauvert (einem Teil von Paris) ein Rezept für ein „Lebenselixier“, wie sie zu Zeiten der Alchemisten vielerorts kultiviert wurden.

Der Grund, weshalb d’Estrées das Rezept zu den Mönchen brachte, ist nicht hinlänglich bekannt, es gilt jedoch die Erklärung als plausibel, dass es im weltlichen Bereich schlicht so gut wie keine Personen gegeben hat, die damit etwas anfangen konnten: Die Entwicklung von Medikamenten bzw. das Wissen um die Bereitung von Tinkturen und Elixieren war im Mittelalter und der frühen Neuzeit eine nahezu ausschließlich auf Klöster beschränkte Wissenschaft. Apotheken im heutigen Sinne gab es nicht. Der Marschall versprach sich von der Übergabe der Rezeptur daher offenbar die Rückgewinnung eines Elixiers, das in vorigen Zeiten bereitet worden war. Der Ursprung des Dokumentes konnte übrigens bis heute von der Forschung nicht geklärt werden.

Bis aus dem Rezept jedoch wieder Flüssigkeit wurde, vergingen noch einmal mehr als 100 Jahre: Anfang des 18. Jahrhunderts wurde das Dokument in das Mutterkloster, die „Große Kartause“ (La Grande Chartreuse) in der Nähe von Grenoble, geschickt, wo 1737 erstmals das „Élixir Végétal de la Grande Chartreuse“ hergestellt wurde, das auch heute noch hergestellt und mit einem Alkoholgehalt von 69% Vol. verkauft wird (an der Bar heutzutage gern wie ein Cocktail Bitters verwendet). Darauf basierend entstanden zunächst als Ableitung die grüne „Chartreuse Verte“ mit 55% Vol., das heutige „Flaggschiff“, sowie alle weiteren Abfüllungen und Sorten.

4) Benoît und Jean-Jacques: Die Hüter des Heiligtums

Seitdem das Elixier produziert wird, ist die exakte Rezeptur ein Geheimnis des Ordens geblieben. Zwar ist es keine Neuheit, dass für Chartreuse rund 130 Kräuter, Rinden und Gewürze verarbeitet werden, die exakte Zusammensetzung jedoch wird streng gehütet. Tatsächlich gibt es sogar unter den Mönchen wiederum nur zwei (!) Männer, die es wirklich kennen – bezeichnenderweise je ein „Vater“ und ein „Bruder“: Dom Benoît und Frère Jean-Jacques zeichnen seit über 20 bzw. 30 Jahren für jedes Gramm Gewürz verantwortlich, das in dem aufwendigen, vielstufigen Herstellungsverfahren zum Einsatz kommt.

Zwar kümmert sich der weltliche Zweig von Chartreuse, also die Firma „Chartreuse Diffusion“ mit Sitz in der Stadt Voiron, um die Produktion der Liköre, die Mönche hingegen überwachen die Herstellung genauestens. Und der wichtigste Schritt, nämlich die grammgenaue Mischung der Botanicals, wird bis heute von Benoît und Jean-Jacques im Kloster vorgenommen. Erst die fertige Mixtur wird in Säcken in die Brennerei gebracht. Die Mitarbeiter der Produktion wissen also gar nicht wirklich, was genau sie dort in die Brennblasen und Fässer füllen.

5) Chartreuse schmeckt immer. Aber nicht immer gleich.

Der Geschmack der Chartreuse-Liköre mag markant und unverkennbar sein – komplett in Stein gemeißelt ist er jedoch nicht. Dazu ist die Vielfalt der äußeren Einflüsse auf das Produkt einfach viel zu groß. Neben natürlichen Schwankungen bei den verarbeiteten Aromaten (die natürlich längst nicht mehr nur aus dem Klostergarten kommen) hat auch die Lagerung einen Einfluss auf das fertige Produkt. Die unterschiedlichen Qualitäten von Chartreuse lagern und reifen mitunter viele Jahre in Eichenfässern, sodass sich auch klimatische Besonderheiten des Lagerungszeitraumes im fertigen Produkt niederschlagen können.

Die Mönche selbst sehen es naturgemäß unverkrampft: Was der Herr gibt, das kommt in den Likör. Leichte Unterschiede zwischen zwei Flaschen grüner Chartreuse sind also niemals ein „Unfall“, sondern Resultat des naturbelassenen Herstellungsprozesses. Wer das probieren möchte, kann sich auf die Suche nach Flaschen mit unterschiedlichen Abfüllungsjahren machen und diese querverkosten: Am Schraubverschluss jeder Flasche steht eine sechsstellige Zahl, deren erste drei Ziffern verklausuliert auf das Jahr der Abfüllung verweisen. Unterscheiden sich also diese drei Ziffern bei zwei Flaschen stark, liegen einige Jahre „zwischen“ den beiden. Eine Geschmacksprobe kann dann sehr aufschlussreich sein und die Unterschiede offenbaren. Aber Fehler sind es nicht. Wer würde das Benoît und Jean-Jacques auch ernsthaft vorwerfen wollen?

Credits

Foto: Chartreuse

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