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FÜNF! Mythen über Cocktailwettbewerbe

Das alte Spiel von Fluch und Segen: Cocktailwettbewerbe erhalten in der Barwelt von Jahr zu Jahr mehr Beachtung. Zu Recht? Und welche Irrtümer herrschen über sie vor? Wir räumen pünktlich zum Osterfest mit einigen der großen Mythen über flüssige Competitions auf.

Cocktailwettbewerbe gehören (und gehörten schon immer) zum Bar-Beruf. Gerade in den letzten Jahren hat die Zahl der großformatigen internationalen oder gar globalen Competitions noch einmal immens zugenommen. Wie noch nie zuvor sind Wettbewerbe mittlerweile Teil der Bar-Öffentlichkeit und ein wesentliches Gesprächsthema unter Bartendern. Dennoch gibt es Mythen und Irrtümer über Competitions, die das eigentlich reizvolle Sich-Messen unter Barprofis oft in ein falsches Licht rücken. Zeit, mit FÜNF! dieser Mythen einmal aufzuräumen.

1) Cocktailwettbewerbe gehören zum Beruf

Das vielleicht wichtigste und größte Missverständnis gleich an erster Stelle: Die steigende Zahl an Cocktailwettbewerben, die größtenteils von Spirituosenmarken ausgelobt werden, sowie deren medienwirksame Inszenierung erweckt vor allem bei der jüngeren Generation von Bartendern den Eindruck, Competitions gehörten zwangsläufig und integral zum Berufsbild. Und das ist natürlich Blödsinn.

Der Wettkampf mit Fachkollegen aus der eigenen Szene oder gar aus der ganzen Welt ist zweifelsohne aufregend, bildend und aufgrund oftmals ferner Reiseziele höchst verlockend. Es ist ein Bedürfnis des Menschen, stets einen Besten oder eine Beste zu suchen und zu finden. Und Auszeichnungen sind etwas Herrliches, das man jedem gönnt, der sich mit großen Mühen an einem Cocktailwettbewerb zu schaffen macht. Aber trotzdem sind Competitions kein Teil des Berufs. Es gibt zahlreiche oder gar zahllose gefeierte Tresenkünstler, die die höchsten flüssigen Weihen erhalten haben und heute zu den großen Trendsettern und Meinungsmachern der internationalen Community gehören, ohne dass sie jemals eine Bühnen-Bar bei einem Cocktailwettbewerb betreten haben. Und sie sind damit in der Mehrheit. Der Bar-Beruf ist komplex genug. Um ihn auf höchstem Niveau auszuüben, braucht es vieles, vor allem Engagement, Hartnäckigkeit, Wissbegierde und vieles mehr. Aber keine Competitions.

2) Cocktailwettbewerbe sind wichtig für die Karriere

Neo-klassische Wunschlaufbahn: Bartender mit 19 Jahren, Competition-Sieger auf nationaler Ebene mit 22, auf anschließendem globalen Level dann mit 23 auf dem Podium, mit 24 Jahren Markenbotschafter. So kann es sich abspielen. Und diese Einzelfälle bleiben aufgrund ihrer Sichtbarkeit hängen. Sie schaffen Begehrlichkeiten. Sowie eine verzerrte Perspektive auf die Karrieremöglichkeiten in der Spirituosenindustrie. Die Planung einer Karriere sieht anders aus, als sich unter Hunderten für etwas zu bewerben, bei dem letztendlich eine Jury ein immer noch zumindest teilweise subjektives Urteil fällt.

Und auch, wenn es noch nicht einmal der Posten als jetsettender Brand Ambassador sein soll, ist der Ruhm, der aus Cocktailwettbewerben entsteht, ein überaus flüchtiger, der nur in den seltensten Fällen konsistente, lang anhaltenden Nachwirkungen mit sich bringt: Der „Fame“ ob eines Sieges mag ein verlockendes Job-Angebot mit sich bringen – die Arbeit am berühmten Tresen wird aber nicht allein dadurch zum Selbstläufer, dass man einmal eine Jury von einem Cocktail überzeugen konnte. Und wenn das Job-Angebot ausbleibt, gibt es bald schon die nächsten fett in Szene gesetzten Cocktailwettbewerbe, mit neuen Siegern, neuen Namen, neuen Gesichtern, neuem Hype. Die Nachhaltigkeit, besonders im Vergleich zu Bartendern, die sich über Jahre auf fokussierte, konstante Arbeit hinter ihrem Tresen konzentrieren und so ihren Ruf festigen, ist so gut wie nicht vorhanden.

3) Ein Sieg bringt die eigene Bar weiter

Zugegeben: Ein Irrtum, dem man leicht anheim fallen mag. Denn natürlich fällt im Anschluss an einen Sieg in der offiziellen Kommunikation neben dem Namen des Siegers auch häufig jener der Bar, in der der Gewinner tätig ist. Man sollte also meinen, dass jeder Barbetreiber sein Personal zur Teilnahme an Cocktailwettbewerben ermutigen sollte. Schließlich darf er dann in seine Karte unter den Drink schreiben: „Global Winner bei XY 2015“. Stimmt das? Nein, und zwar aus zwei Gründen:

Für den Inhaber einer Bar bedeutet die Teilnahme eines Mitglieds seines Teams an einem großen, internationalen Cocktailwettbewerb zunächst einmal, dass der Mitarbeiter für einige Tage, oft eine ganze Woche, nicht im Betrieb ist. Sicher, man mag einwenden, dass jeder Bartender das Recht hat, seinen Urlaub für Competitions aufzuwenden. Aber sollte der Urlaub nicht eigentlich dafür genutzt werden, einmal wirklich vom Beruf abzuschalten? Geht der Chef einen anderen Weg, indem er seinem Bartender vielleicht (ob unbezahlten oder gar bezahlten) Sonderurlaub für die Teilnahme einräumt, entstehen ihm sogar Kosten, da er den Mitarbeiter natürlich in dessen Abwesenheit ersetzen muss. Das ist im Einzelfall nicht schlimm, wird aber zur ernsthaften Fragestellung, wenn der Betreiber es mit einem Barchef zu tun hat, der gerne an acht oder neun Contests im Jahr teilnimmt.

Und dann steht am Ende – womöglich! – ein wenig Publicity, die aber – das muss man deutlich sagen – vornehmlich Szene-intern vonstattengeht und in den meisten Fällen nicht wirklich eine große Schar an Verbrauchern oder potentiellen Gästen erreicht. Von einem wirklich stabilen, positiven Effekt für die Bar kann man dann wohl nur in den seltensten Fällen sprechen. Und wie war das noch eben mit dem ehemaligen Gewinner, der dann plötzlich Brand Ambassador wird und die Bar verlässt?

4) Ein Sieg macht den Drink unsterblich

Ein weiterer Irrglaube. Die Annahme, dass ein Gewinnerdrink es automatisch in den Zirkel moderner Cocktail-Klassiker schafft, ist so gut wie gar nicht gerechtfertigt. Schaut man sich die „großen“ Drinks der letzten 20 oder 30 Jahre an, so fällt eines auf – sie entstammen zu rund 0 (in Worten: Null) Prozent einem Cocktailwettbewerb, dafür aber beinahe ausschließlich der täglichen kreativen Arbeit von Bartendern für und mit dem Gast. Benton’s Old Fashioned, Bramble, Old Cuban, Penicillin oder Gin Basil Smash unterscheiden sich von den meisten (oder zumindest vielen) Wettbewerbsdrinks zudem nicht nur durch den Ort und Zeitpunkt, sondern auch durch die handwerklichen Parameter ihrer Entstehung: Sie sind simpel, für fast jede Bar realisierbar und vor allem konstant reproduzierbar.

Schaut man sich Gewinnerdrinks von Competitions an, sind deren Möglichkeiten in den meisten Fällen limitiert: Entweder es sind für den Cocktail zwei verschiedene Cold Drips sowie ein Fat Washing und ein Espuma nötig oder er zeichnet sich durch eine möglichst abseitige Grundzutat aus, die vielleicht in vielen Gegenden schlicht nicht verfügbar ist. Oder: Ein Drink, der auf einem 25 jährigen Prestige-Rum basiert, kann im Bar-Alltag einfach nicht (oder nur in sehr speziellen Kontexten) zu einem akzeptablen Preis angeboten werden. Cocktails für 45 Euro pro Glas sind nach wie vor auch vielen Kennern aus naheliegenden Gründen zu teuer.

Zumal für die Drinks Vergleichbares gilt wie für die Bar unter Punkt 3: Sie finden prinzipiell ausschließlich innerhalb der Fachbranche statt: Hier eine Pressemitteilung von der Agentur, dort ein Facebook-Posting vom Sieger, dazu ab und an ein Instagram-Bild von dessen Freunden, die den Drink gerade trinken oder bei sich in der Bar auf die Karte setzen. Die Annahme, dass man es mit einer Wettbewerbskreation zu einem inoffiziellen Trademark und in die olympischen Sphären von Mojito, Sidecar, Manhattan oder Mai Tai schafft, ist daher so gut wie in allen Fällen wahlweise optimistisch, illusorisch oder schlicht vermessen.

5) Cocktailwettbewerbe sind böse und unnötig

Ein wenig Versöhnung zum Schluss. Denn radikale Positionen sind nie gut. Ebenso wenig, wie es keinen Sinn macht, in Cocktailwettbewerben den heiligen Gral der Barwelt zu sehen und Unmengen an Zeit und Mühe auf sie zu verschwenden, wäre es fatal, Competitions komplett zu verteufeln und sie nicht zu beachten. Zwar ist es, wie einige prominente Barbetreiber immer wieder betonen, einfach Tatsache, dass die Reife zum großen Bartender nur am allabendlichen Tresen erlangt werden kann. Bei gesunder „Dosierung“ jedoch bieten auch Cocktailwettbewerbe für fast jeden Bartender einen großen Mehrwert.

Dazu zählen vor allem die beiden Aspekte des Reisens und der Weiterentwicklung des persönlichen Netzwerkes (und natürlich eine Menge freier Drinks). Viele der großen Formate – wie etwa Bacardi Legacy, Beefeater MIXLDN oder Diageo World Class – bringen alljährlich Bartender von überall auf der Welt zusammen und bieten neben einem mixologischen Wettmessen auch stets eine ordentliche Portion Weiterbildung für die Kandidaten mit. Die wertvollen Kontakte mit Fachkollegen aus aller Herren Länder, aber auch das Zusammentreffen mit prominenten Akteuren der Szene, die als Juroren oder Redner vor Ort sind, sind Gold Wert und haben oft einen nachhaltigen und positiven Effekt für den eigenen Horizont und die Denkweise über das tägliche Handwerk.

Hinzu kommt der Umstand, dass die großen Finalrunden meist an absoluten Zentren der Barkultur oder aber direkt am Produktionsort einer Spirituose abgehalten werden. So oder so ergibt sich dann also die Möglichkeit, entweder auf einen Rutsch zahlreiche weltberühmte Bars zu besuchen, oder vielleicht die Entstehung eines Produktes in einer unmittelbaren Weise zu begutachten, wie es sonst nicht möglich wäre.

Am Ende geht es bei Cocktailwettbewerben – wie bei jedem Cocktail – um eine gesunde Balance. Um Feinabstimmung darüber, was und wie viel davon zur eigenen Persönlichkeit passt. Allein den Fokus auf sie zu legen, um sich im Beruf einen Namen zu machen, wäre jedoch einfach nur falsch.

Credits

Foto: Zwei Männer via Shutterstock.

Comments (1)

  • Max

    Immer das gleiche Problem mit den wie Unkraut aus dem Boden sprießenden Competitions. Meist wird nur ein Drink, die Geschichte, die Show oder die Kreativität gefeiert, über die Qualität des Barkeepers sagt dies aber nichts aus.

    Dass der “Erfolg” nur szeneintern ist, würde ich bestreiten. Ich bestreite den “Erfolg” per se, da ich den Mehrnutzen nicht herauslesen kann. Im Endeffekt arten solche Bewerbe in Sauferein aus, sind ein billiger Urlaub für Kollegen, mehr nicht.

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