TOP
Gastgeber

Demütig oder schon devot? Über die Gastgeberglorifizierung

Alle Welt in der Barszene redet vom Gastgeber, der jeder Bartender zuvörderst zu sein hat. Das ist gut, schön und richtig. Aber irgendwie auch grundfalsch. Chefredakteur Nils Wrage mit einem Plädoyer, aus dem Gastgebertum kein Totschlagargument werden zu lassen. 
Es ist ein einfaches Begriffsduo: „Gastgeber“ hier, „Mixologe“ dort. Ein dankbares Paar, das sich nach Belieben und ohne große Mühe mit Gegensätzen aufladen, mit Extremen versehen und gegeneinander in Stellung bringen lässt. Der Gastgeber fungiert darin meist als jener selbstlose, von allem Ego befreite Mensch, der nur da ist, um Wünsche zu lesen, seine eigenen Vorlieben unterzuordnen, sich dem abstrakten Dienst an seinem Besucher zu verschreiben. Er ist der Gute. Der Mixologe hingegen ist der, der hochtrabend und angeblich entrückt-weltfremd mit der Handwerkskunst befasst ist, Dinge fort- und manchmal auch zu hoch entwickelt, der das, was im Glas stattfindet, wichtiger nimmt als den, der für den Inhalt jenes Glases irgendwann bezahlt. Er ist in diesem Gleichnis meist der Böse.

Feierabend für die Gastgebertumsbeweihräucherung

Die Mär vom selbstlosen, immer zuvorkommenden und niemals missionierenden Gastgeber, sie ist zwar vielleicht nicht so alt wie das Gastgewerbe selbst, aber zumindest so alt wie das Wiederauferstehen der klassischen Barkultur. Und die Debatte darum ist seit einiger Zeit eines der beherrschenden Themen im öffentlichen Diskurs der Branche, vielleicht sogar das Thema überhaupt.
Eben weil es so leicht, so bequem ist, die These vom guten Gastgeber immer wieder und mit ziemlich hoher Applausgarantie herauszuhauen. Irgendwann kommt dann der Moment, an dem man sich denkt: Jetzt reicht’s aber mal. Genug damit. Feierabend für die ganze Gastgebertumsbeweihräucherung.
Denn wer nun, nach den offenbar erfolgreich überstandenen neurotischen und egomanen Geburtswehen der mixologischen Renaissance, plötzlich meint, mit dem Gastgebermantra der Weisheit letzten Schluss gefunden zu haben, macht einen ebenso fatalen Fehler wie jener Starbartender, der seinem Gast gegenüber augenrollend deutlich macht, dass er dessen Bestellung missbilligt. Mit einer solchen Diagnose, plötzlich einfach immer laut „Gastgeber, Gastgeber, Gastgeber!“ als Patentlösung herauszuschreien, macht man es sich zu einfach. Warum? Das hat mehrere Gründe.

Vom Enfant Terrible zum Mahner

Vor allem ist es zunächst einmal vollkommen bescheuert und überflüssig, darauf hinzuweisen, dass Mitarbeiter wie Bartender, Kellner, Maîtres, Sommeliers oder sonst wie im Service tätige Menschen gute Gastgeber sein sollen. Denn das ist vollkommen implizit. Ein integraler Anspruch ans Berufsbild der besseren Gastronomie. Vielleicht sogar der zentralste überhaupt. Immer wieder zu postulieren, es gehe für einen Bartender eigentlich nur darum, Gastgeber zu sein, ist, als würde man von einem Bäcker immer nur verlangen, einfach tagein, tagaus das gleiche gute Brot zu backen.
Sicher ist: Man begeht keinen Fehler, darauf immer mal wieder hinzuweisen. Vor allem, wenn man junge, ambitionierte Barleute ausbildet, die naturgemäß ungestüm sind und sich ausprobieren wollen. So mancher heute mahnende Barbetreiber war früher selbst ein enfant terrible mit Allüren.
Doch macht man das zuviel, zu ausschließlich und zu einseitig, stumpft die Behauptung nicht nur ab, nein – sie entwertet sich selbst und alles andere, was der Beruf des Bartenders in den letzten knapp 20 Jahren an Entwicklung genommen hat. Denn ebenso wenig wie der vor Ego und Arroganz strotzende „Alchemist“ die Zukunft der Bar sein kann, ist es der ewige Gastgeber, dem man im Laufe der Jahre eingeredet hat, dass es eigentlich vollkommen egal ist, wie seine Drinks schmecken, ob er kreativ ist oder ob der den handwerklichen Teil des Alltagsgeschäftes eigentlich verstanden hat. Solange er ein toller Gastgeber ist.
Und was ist eigentlich ein toller Gastgeber? Ist das ein Typ oder ein Mädel, der oder die immer einen netten, aber gefahrlosen Witz auf den Lippen hat und sich ansonsten als vollkommen unterwürfiger Diener präsentiert? Ohne Ecken, ohne Kanten? Demut vor dem Beruf und dem Gast ist gut (wer würde das mehr unterschreiben als der Autor dieser Zeilen), aber es gibt einen Punkt, an dem aus „demütig“ irgendwann „devot“ wird. Ist das die Prämisse des Gastgebens? Ein Bartender, der seine handwerklichen Fähigkeiten nicht mehr zeigen darf (oder eben, wie erwähnt, gar nicht mehr braucht)? Der im Gespräch mit dem Gast nicht mehr über Drinks reden darf, vielleicht sogar über eine eigene Rezeptur? Man wage die These: Viele Gäste genießen auch das; mit dem Bartender über die Geheimnisse und Kniffe hinter dem Glas zu sprechen.

Obacht vor hohler Kritik

Genauso schlimm wie das Gastgeberlamento selbst ist aber die implizite Abwertung, die man damit der oben schon erwähnten Entwicklung des gesamten Berufs angedeihen lässt. Denn ein Bartender sollte eben nicht vor allem ein guter Gastgeber sein. Ja, er soll ein guter Gastgeber sein. Aber all jene Mahner, die mittlerweile pausenlos darauf herumreiten, vermitteln mit jeder Wiederholung, mit jeder neu vorgebrachten These, mit jeder neuen, hohlen Kritik der angeblichen „Mixologen“ plötzlich den Eindruck, als sei all das, was es an handwerklichem, technischem und edukativem Fortschritt gegeben hat, absolut wertlos oder bestenfalls zweitrangig.
Und das ist das Furchtbarste, was man sich überhaupt vorstellen kann. Auf einmal all die Errungenschaften eines ganzen Handwerks negieren, nivellieren und relativieren mit der Behauptung, es brauche nur einen gutgelaunten, selbstsicheren aber stets höflichen Typ hinter der Bar? Das ist aus Sicht des gesamten, entwickelten und sich noch immer entwickelnden Berufsstandes absoluter Quatsch.
Denn eine gute Bar lebt niemals nur davon, dass dort gute Gastgeber wirken. Eine gute Bar lebt auch von guten Drinks. Man kann sich dann einfach selbst überlegen, ob man Bartender, die sich noch immer mit der Weiterentwicklung von Rezepturen beschäftigen, neue Arbeitstechniken erschließen oder (Himmel Hilf!) an einer Competition teilnehmen (das absolute derzeitige Credibility-Sakrileg!) dann fordernd-abwertend als „Mixologe“ verschreit oder anerkennt, dass sie vielleicht auch das mit Leidenschaft tun. Aus Liebe zum Beruf. Und in vielen Fällen auch im Interesse ihrer Gäste.

High Volume & High End

Es kann die eine Wahrheit darüber, was ein guter, vielleicht gar ein großer Bartender in sich zu vereinigen hat, niemals geben. Dafür spielen viel zu viele Faktoren in diese Bewertung und Fragestellung mit hinein. Ebenso ist es am Ende auch eine Frage jedes Barbetreibers, was er für einen Betrieb führen möchte – High Volume? High End? Oder beides zusammen, falls das überhaupt möglich ist? Wer auf simple Drinks (vielleicht auch mit Anspruch) und davon möglichst viele setzt, muss ungleich mehr darauf achten, dass er eine Truppe am Start hat, die viele unterschiedliche Gästetypen in großer Menge „abholt“.
Dafür braucht es spezielle Charaktere, eine andere Gastgeberrolle als in einem Speakeasy mit 20 Plätzen. Aber es gibt auch andere Typizitäten von Bars. Bars, die den Drink an sich mehr in den Vordergrund stellen, und das mit allem Recht der Welt – kein Gast wird gezwungen, sich das „anzutun“. Und nirgendwo steht geschrieben, dass ein Bartender, der sich wochenlang mit der Frage beschäftigt, wie lange er mit den handgeschlagenen Eisblöcken einen Martini rühren muss, gleichzeitig für seine Gäste kein guter Host ist. Vielleicht wirft die High Volume Bar mit den dennoch soliden Drinks am Ende des Tages mehr Gewinn ab. Das gibt aber nicht einer ganzen Branche das Recht, kollektiv an jenen Bartleuten herumzumäkeln, die ihren Fokus anders setzen – schon gar nicht dann, wenn deren Bars auch funktionieren.

Stillstand, Musealität und irgendwann auch Verfall

Die große Gefahr, die das Mäandern um die Gastgeberglorifizierung in sich birgt, ist es – ja, heikles Parkett! – den Gast zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken. Er soll dort stehen, im Mittelpunkt. Er ermöglicht die gesamte Branche. Aber der devote, immer nur bedienende Bartender, der sich, seine Vorlieben und Kenntnisse in der Bar nicht mehr einbringen darf, der also ausschließlich aus einer abstrakten Erwartungshaltung des Gastes her gedacht wird, bedeutet: Stillstand, Musealität und irgendwann auch Verfall.
Im Prinzip gipfelt dieses Konzept vom Immer-Nur-Geben-Was-Verlangt-Wird irgendwann in einem Proto-Brian-Flanagan. Ein Clown, der Entertainer ist und nebenbei immer die gleiche Ware produziert. Den entwickelnden, denkenden, geistig motivierten und fortschrittswilligen Bartender braucht die Welt genauso wie den herzlichen Gastgeber. Gäbe es diesen Bartender, diesen Menschentypus nicht – in den deutschen Restaurants und Bars stünden noch heute Schwarze Mädchentraube, Chantré mit Cola, Eierlikör und Küstennebel auf dem Tisch, flankiert von zerkochtem Rosenkohl, brauner Grundsauce und faserig-zähem Schmorbraten, den die Leute vor einem halben Jahrhundert mal für lecker gehalten haben.
Den Fortschritt gibt es nicht, ohne dass über ihn geschimpft wird. Und freilich wirft eine gut geführte McDonald’s-Filiale mehr Gewinn ab als ein Sternerestaurant. Doch es hat glücklicherweise immer wieder Menschen gegeben, die sich mit reinem Erfolgsdenken nicht zufriedengegeben haben, sondern die weitergedacht haben, mit Begeisterung, Motivation und Initiative. Über diese Menschen und ihre Ideen wird auch heute noch gesprochen, sie haben Einfluss genommen. Für sie steht der Begriff „Mixologe“, für das Weiterdenken. Der reine, devot liefernde Gastgeber mag funktionieren, er wird vielleicht auch reich durch seine Eigenschaften. Aber er wird in vielen Fällen nichts von dauerhaftem Wert erschaffen. Er konserviert, auf hohem oder niedrigem Niveau, den Status Quo.

Gastgeber oder Mixologe: alles in einem oder beides zugleich

Doch Gäste sollen (und wollen häufig auch) ein wenig gefordert werden. Auf positive Weise. Mit Aufmerksamkeit, Fingerspitzengefühl und Begeisterung. Ein wirklich guter Bartender weiß das aber alles. Denn er ist Mixologe und Gastgeber. Zugleich.

Credits

Foto: Shutterstock; Drink & Post-Produktion: Tim Klöcker

Kommentieren