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Life is Bitter Fernet-Branca

Life is bitter: Eine Kampagne stößt sauer auf

„Du hattest von dieser Kampagne die Schnauze voll? Und den Post trotzdem angeklickt. Life Is Bitter.“ So oder so ähnlich hätte ein Plakat von Fernet-Branca aussehen können. Die Kampagne des Bitter-Riesen stößt auf Befindlichkeiten und evoziert Klagen – von anderen Werbern. Juliane Reichert mit einem Ausblick vom Elfenbeinturm der Eitelkeiten.
Das Prinzip der Kampagne ist einfach: Etwas könnte so schön sein – ist es aber nicht. Es folgt der Hashtag „LifeIsBitter“, gedruckt wird das Ganze auf schwarz, daneben die Fernet-Branca Flasche und am liebsten an Orten, die häufig frequentiert werden, auf Flächen, die kein Mensch übersehen kann. Die Agentur Pilot Hamburg und Fernet-Brancas Importeur Borco-Marken-Import versuchen mit der aus Skandinavien adaptierten Kampagne, mit humoristisch-sarkastischem Ansatz den bitteren Momenten des Alltags mit einem Augenzwinkern zu begegnen.

Life is bitter, denn das Berghain ist beleidigt

Zum Beispiel auf den unmenschlichen Häuserfassaden entlang der Alexanderstraße in Berlin-Mitte. Da stand im Jahr 2016 dann „Fürs Berghain ziehst Du ein Hemd und schicke Schuhe an – und schaffst es immerhin bis zur Tür.“ Gemeint ist damit natürlich, dass man es aufgrund der strengen Tür weiter hinein leider nicht schafft. So zumindest ein Klischee, für welches das Berghain als einer der begehrtesten Clubs überhaupt durchaus bekannt ist. Bei einem Renommee wie diesem hätte man sich ein wenig mehr Gelassenheit durchaus vorstellen können. War aber nicht so. Das Berghain listet Borco-Produkte daraufhin komplett aus. Ein bisschen zimperlich, könnte man meinen.
Wir fragen Frau Dr. Tina Ingwersen-Matthiesen vom Borco-Vorstand nach ihrer Meinung: „Da sich vermutlich niemand ein Hemd und schicke Schuhe für einen Berghainbesuch anziehen würde, gingen wir davon aus, dass die Ironie hier offensichtlich sei. Die Reaktion des Clubs haben wir natürlich mit Betrübnis zur Kenntnis nehmen müssen. Wir sind dennoch zuversichtlich, dass sich unser Verhältnis zum Berghain in Zukunft wieder verbessert.“

Life is bitter … auch in Magdeburg

Einmal abgesehen vom Absatz im Berghain, ist diese Reaktion natürlich ein Traum für eine jede Werbekampagne. Offensichtlich (ins Schwarze) getroffen hat die Kampagne auch einige Magdeburger Gastronomen. Diese hatten sich von einem Plakat mit der Aufschrift „Du wirst befördert und versetzt nach Magdeburg“ provozieren lassen und daraufhin in den sozialen Medien ein Video verbreitet, in dem sie Fernet-Branca ins Klo kippen.
Eigentlich erstaunlich, sich zu einer solchen Gekränktheit zu bekennen. Schlucken, lachen, weitermachen wäre gewiss auch eine mögliche Reaktion gewesen. Das machen für Tina Ingwersen-Matthiesen auch andere Magdeburger deutlich: „Solche Reaktionen stellen eher eine extreme Ausnahme dar. Zahlreiche Magdeburger haben das Motiv humorvoll aufgenommen und uns nach Magdeburg eingeladen, um die schönen Seiten der Stadt zu entdecken.“

Werber beleidigt von guter Werbung

Ganz zu schweigen von dem medialen Clou, den die Kampagne in Hamburg gelandet hatte. Und das nur mit zwei Plakaten. Vor allem geärgert hatte sich der Jung von Matt/Sports-Chef Raphael Brinkert über ein Plakat in Hamburg Ottensen bzw. Altona, das da resümierte: „Früher gab es hier ehrliche Arbeiter. Jetzt gibt es Werber.“
Es grenzt beinahe an Unmöglichkeit, eine Werbekampagne, die Werbern Unehrlichkeit vorwirft, nicht ironisch zu begreifen. Doch es ist gelungen. Und wurde seitens Jung von Matt – die sich auf ein Gespräch mit MIXOLOGY ONLINE im Übrigen nicht einlassen wollten – direkt an den Werberat weitergetragen.
Wer einen Werbespaß über Werber beim Werberat verpetzt, dem wurden die Pausenbrote früher zurecht geklaut. Auch Tina Ingwersen-Matthiesen war über die Reaktion auf diesen Flight der seit 2016 beständigen Kampagne erstaunt. „Besonders emotional reagieren die Menschen stets, wenn es um ihren Wohnort geht – ob das Duisburg, Chemnitz, Magdeburg oder Köln-Chorweiler ist. Am meisten überrascht hat uns das riesige Echo auf das Plakat in Ottensen 2017 [Anm. d. Red.: Plakat s.o.]. Hier hätten wir den Protagonisten ein wenig mehr Humor zugetraut.“

Life is bitter, aber der Weg dahin unterhaltsam

Apropos Humor – wir stellen uns eine solche Kampagnenkonzeption relativ unterhaltsam vor. Gibt es einen Beauftragten der jeweiligen geografischen Befindlichkeiten? Zumindest nach außen wirken Arbeitsprozesse wie diese beinahe ähnlich heiter wie das Social Media-Team der Berliner BVG.
Tatsächlich hat die Kreation der Plakate einen Crowdsourcing-Charakter: „Sowohl bei Borco als auch bei Pilot gibt es dankenswerterweise Mitarbeiter, die aus allen Regionen Deutschlands kommen. So sammeln wir erst einmal Ideen für die Motive und texten sie anschließend auf den Punkt. Wie Sie sich sicher vorstellen können, ist dies ein sehr unterhaltsamer Prozess, der allen Beteiligten viel Freude bereitet“, so Tina Ingwersen-Matthiesen. Ja, das können wir uns in der Tat vorstellen.

Fernet-Branca und der Elfenbeinturm der Eitelkeiten

Während der Planung zur Zeit der ersten Flights, gerade mit Blick auf Hamburg, habe der Markenimport genau wie die Agentur eine gewisse Vorahnung gehabt, dass die Kampagne einschlagen könnte. „Letztendlich ist es für uns aber doch immer wieder eine Überraschung, welche Motive aus welches Echo stoßen. So sind die Flights nicht nur für die Konsumenten, sondern auch für uns spannend“, definiert Tina Ingwersen-Matthiesen.
Nun, und eben für manche Werber. Oder Clubs. Oder Gastronomen. Keine Überraschung, dennoch einmal wieder der Beweis dafür, wie emotional Werbung ist. Es geht darum, zu einer bestimmten Zeit den Nerv der Zeit zu treffen. Und zwar bei eben den Leuten, die sich durch ihn treffen lassen. Sich treffen lassen und darüber lachen. Das geht und auf einem Streifzug durch den Online-Auftritt der Kampagne kann man das merken. Und nein: Weder Borco noch Pilot haben uns für diese Erwähnung Geld bezahlt. Aber so funktioniert Werbung, wenn sie denn funktioniert.
Klar, die Voraussetzung, bittere Aromen mit bitterem Humor zu verknüpfen hat nicht jeder. Aber es ist allemal origineller als die Darstellung rauchiger Whiskys mit bärtigen Männern oder Tiki-Rum mit Bikini-Mädels. Endlich eine Kampagne, die all die trifft, deren Elfenbeinturm der Eitelkeiten erschütterbar ist. Der Rest horcht auf, schmunzelt über sich und lässt möglicherweise für ein paar Sekunden von dem allumfassenden Perfektionismus ab, dem weite Teile unserer Außendarstellung anheimgefallen sind. Und, ganz pragmatisch gesehen, sind Kränkungen natürlich immer auch Belustigungen – was die Kampagne in den Social-quasi-Medien zum Selbstläufer macht. Und immer auch eine unbekannte Variable mit sich bringt. Alles ist eitel – was Gryphius schon zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges wusste, macht uns diese Kampagne abermals bewusst. Danke sehr.

Life is bitter, but goes on…

Und wo es Überraschungen geben soll, da braucht es Überraschungsmomente. Zu den Flights der Fernet-Branca-Kampagne in diesem Jahr verraten wir daher noch nichts. Life is nun einmal bitter…

Credits

Foto: Tim Klöcker

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