TOP
sandkerwa bamberg

Die Sandkerwa in Bamberg: Das Ende einer Tradition?

Die Sandkerwa in Bamberg ist eine Woche voller Biertradition, die bis zu 300.000 Menschen anzieht. 2017 fällt sie jedoch aus. Nun schieben sich Politik und Veranstalter die Verantwortung hin und her, während die Angst wächst, ob das Volksfest überhaupt wieder wird stattfinden können. Peter Eichhorn mit einem Einblick aus dem Frankenland.

Bamberg ist immer eine Reise wert. In dem UNESCO Weltkulturerbe gilt es, die Atmosphäre der Altstadtgassen zu genießen, den großartigen Dom mitsamt dem mysteriösen Bamberger Reiter zu bewundern oder gar den seltenen Jugendstil-Abort auf dem ZOB zu bewundern.

Für Getränkefreunde ist Bamberg auf einem beständig attraktiven Weg. Neben den zahlreichen Brauereien, den typischen Rauchbieren, dem AU – jenem Bier, das sich mit zwei Buchstaben bestellen lässt – und den fränkischen Weinen, ist auch die Barszene in Bamberg derzeit bestens aufgestellt. Die Resultate der letzten Cocktailwettbewerbe bezeugen, dass die Mixologie längst nicht nur in den Großstadtmetropolen beheimatet ist. Orte wie Ostbar, Das Schwarze Schaf, Kawenzmann, Dudes, Plattenladen oder Schluckspecht beweisen dies eindrucksvoll.

Die Sandkerwa in Bamberg steht in jedem Reiseführer – noch…

Neben Cocktails gibt es auch in diesen Bars wohlüberlegte Gerstensäfte. Denn Bamberg wäre nicht Bamberg, wenn der Biergaumen und die Braukultur der Region nicht angemessen gewürdigt würden. Passend zum Bier gibt es eine Veranstaltung, die in keinem Reiseführer-Büchlein fehlen darf und die für die Stadt eine beträchtliche Außenwirkung und Werbung erzeugt: Die Bamberger Sandkerwa. Eine Woche voller Veranstaltungen, Feierlichkeiten und Biertradition, die alljährlich Ende August an die 300.000 Besucher aus nah und fern anlockt.

Hochdeutsch müssten wir zu dem Event „Sandkirchweih“ sagen. Also Feierlichkeiten zur traditionellen Kirchweih der St. Elisabeth-Kirche in der Gegend rings um die Sandstraße in der Altstadt.

Seit 1951 entwickelte sich die Veranstaltung vom frühen Nachkriegsvergnügen zu einem der bedeutendsten Werbeträger der Stadt und der Region. Die lokalen Bierspezialitäten werden dabei vielfältig ausgeschenkt und als Höhepunkt wartet auf die Besucher das „Fischerstechen”, eine Interpretation eines ritterlichen Lanzenduells mit den Mitteln der Fischer. Bei dieser Tradition, die auf das 15. Jahrhundert zurückgeht, versuchen die Bootsführer, sich gegenseitig mit Rudern oder Stangen ins Wasser zu befördern.

Sandkerwa ist das bedeutendste Fest Oberfrankens

Initiator der Sandkerwa war der Malermeister Franz Albinger, eine erste Attraktion sollte die Beleuchtung der Gebäude entlang „Klein-Venedig“ bedeuten. Aber der Star der Veranstaltung bleiben das großartige fränkische Bier und die Volksfeststimmung, die die Sandkerwa zum bedeutendsten Fest in Oberfranken, aber vor allem für die Bamberger selbst, macht.

Aber nicht in diesem Jahr. Für 2017 ist die Sandkerwa vom Veranstalter, dem „Bürgerverein 4. Distrikt Stadt Bamberg e.V.“ abgesagt worden. Den Verantwortlichen im Verein ist es nicht leicht gefallen, den Bürgermeister im Mai in Kenntnis zu setzen, dass man sich in diesem Jahr nicht im Stande sieht, die Veranstaltung gemäß der Auflagen und Vorgaben der Stadt sinnvoll durchzuführen. Die 67. Auflage der Sandkerwa wird also nicht stattfinden, jedenfalls nicht in diesem Jahr.

Einige nicken dies ab. Der CSU-Fraktionschef im Bamberger Stadtrat, Helmut Müller, wird im „Fränkischer Tag“ zitiert: „Die Sandkerwa ist eine Belustigung für das Prekariat (…) Niedere Schichten kommen zusammen, um sich zu besaufen.“ Hilfreich und respektvoll ist eine solche Aussage sicher nicht, weshalb sich die CSU-Fraktion auch rasch von ihrem Vorsitzenden distanzierte.

Die Sandkerwa als Opfer der Ewiggestrigen?

Diese Terminabsage bedauert auch Markus Raupach, einer der versiertesten Kenner der deutschen und insbesondere der fränkischen Bierszene sowie Autor des Buches „Brauereien und Brauereigasthöfe in Franken“: „Das voraussichtliche Ende der Bamberger Sandkerwa stimmt mich als begeisterten Bürger der Stadt sehr traurig – und nachdenklich. Da ist einerseits der scheinbar grenzenlose Egoismus der Ewiggestrigen.” Früher sei die Sandkerwa ein schönes Fest gewesen, beschaulich, klein und heimelig. Jetzt aber sei sie nur noch ein Massenevent für Betrunkene und Wildpinkelnde aller Art, so Raupach. „Dabei vergessen diese Menschen einerseits, dass sie selbst einfach älter geworden sind und sich ihre Gewohnheiten und Bedürfnisse verändert haben. Andererseits ist es mir nicht verständlich, warum sie nicht den einfachsten Weg wählen: Nicht hingehen oder vielleicht fünf Tage in den Urlaub fahren.“

Tradition trifft Wirtschaftlichkeit

Der Aufschrei ist insgesamt groß, bildet die Sandkerwa doch einen dick rot markierten Fixpunkt im alljährlichen Kalender der Bamberger. Und natürlich auch der Gastronomen, Händler, Hoteliers und Politiker. Im Idealfall trifft Tradition auf Wirtschaftlichkeit, und wenn alles gut läuft, sind am Ende alle Beteiligten glücklich. Dafür müssen sie aber auch gleichen Strang ziehen. Ist das in Bamberg sinnvoll geschehen?

Der Bürgerverein, in dem die Geschäftsführer und zahlreiche Helfer die Arbeit rings um die Sandkerwa ehrenamtlich verrichten, kann die Sicherheitsauflagen und die Haftungsbedingungen nicht alleine erfüllen. Der Bürgerverein betont, bereits mehrfach über die vergangenen Jahre auf die veränderten und erschwerten Rahmenbedingungen hingewiesen zu haben. Bürgermeister Andreas Starke (SPD) hingegen betont im Bayerischen Rundfunk zur Absage: „Das war für mich genau so eine überraschende Nachricht wie für die Öffentlichkeit. Wir hatten bei der Stadt keinerlei Ankündigung dafür.”

Funktionärs- statt Fischerstechen um die Sandkerwa

Noch im Mai führte der Bürgerverein Gespräche mit der Politik, teilweise unter vereinbartem Stillschweigen, aber ohne Ergebnis. Gastronomen und Händler beschworen die Beteiligten und zeigten Unterstützungsbereitschaft. Eine Umfrage des Bamberger Instituts für empirische Studien (BACES) ergab, dass 85% der Bamberger die Sandkerwa befürworten.

Entsprechend zahlreiche Solidaritätsbekundungen erfolgten aus zahlreichen Bereichen des öffentlichen Lebens. Nach der Absage schätzt der Verband der Marktkaufleute und Schausteller den wirtschaftlichen Schaden auf 500.000 Euro. Insider munkeln hinter vorgehaltener Hand, dass eine Summe von 25.000 Euro zur Gewährleistung der Sicherheitsanforderungen gereicht hätte, um die Veranstaltung zu ermöglichen. Andere sprechen von einer Geringschätzung der städtischen Verantwortlichen gegenüber dem Bürgerverein und attestieren eine „städtische Überheblichkeit” in der Behandlung. Was sagt die Politik? Die SPD-Fraktion lehnt eine Beteiligung der Stadt an einer Sandkerwa-Gesellschaft ab.

Weniger Sand im Getriebe 2018?

Bamberg-Insider Markus Raupach kommentiert: „In meinen Augen sind die handelnden Personen von Stadt und Bürgerverein ihrer Verantwortung und ihrem Auftrag nicht gerecht geworden. Für beide hätte die Maxime gelten müssen, dass die Sandkerwa als Veranstaltung auf jeden Fall erhalten bleiben muss. Dem hätte die Stadt ihre Ansprüche und der Bürgerverein seine Emotionen unterordnen müssen. Dafür sind beide jeweils von ihren Bürgern bzw. Mitgliedern gewählt worden – und nicht als Totengräber. Stattdessen rächt sich nun einerseits die jahrelange Nichtbeachtung und Geringschätzung der Veranstalter durch die Stadt, andererseits fühlen sich die Hauptverantwortlichen auf der Seite des Bürgervereins nicht in der Lage, über ihren Schatten zu springen – ebenfalls sehr schade und mit den traurigen Konsequenzen.“

Immerhin erklärte Stadtsprecherin Ulrike Siebenhaar, man habe in der Kommunikation große Fortschritte gemacht und auch die Stadtspitze hätte sich mit konkreten Vorschlägen beteiligt. Aber der Planungsrückstand für 2017 ist zu groß, und so mündet alles in den Plan, 2018 einen neuen Versuch zu starten, das traditionelle Kirchweihfest neu zu beleben.

Dazu müssen alle am gleichen Strang ziehen. Politik, Bürgerverein, Gastronomen. Kulturgut und Wirtschaftsfaktor müssen Hand in Hand gehen, dann können Veranstaltungen dieser Art allen nützen und Freude bereiten. Schließlich geht es nicht nur um Bier, sondern um einige der besten Biere der Welt. Dass es sich um ein Volksfest handelt, bedeutet eben auch bestimmte Nebenerscheinungen, die ein Volksfest nun einmal aufweist.

Kommt Bamberg mit einem blauen Auge davon?

Auch Markus Raupach beobachtete die finalen Verhandlungen: „Am Ende lag ein Angebot der Stadt auf dem Tisch, das ganz vernünftig klang: Sie würde die Veranstalter finanziell absichern und möchte als Gegenleistung eine 50-prozentige Beteiligung an der Sandkerwa-GmbH. Einer der beiden GmbH-Geschäftsführer hätte das akzeptiert, der andere sah es als Ausverkauf der Lebensleistung der Bürgervereins-Verantwortlichen der letzten 60 Jahre“, so der Bamberg-Insider. „Hier hätte sich sicherlich eine Einigung finden lassen, wenn man gewollt hätte – vielleicht mit einer Ausstiegsklausel, einem Veto-Recht oder anderen Regelungen. Stattdessen gibt es nun keine Sandkerwa mehr, und eine Neuauflage wird schwierig. Denn im nächsten Jahr müssen alle Genehmigungen neu beantragt und erteilt werden – einen Bestandsschutz gibt es nach der Pause nicht mehr. Dazu werden alle Schausteller, die nun in diesem Jahr einen Ersatzstandort gefunden haben, dort sicherlich auch im nächsten Jahr wieder stehen, und eben nicht auf der Sandkerwa. Mein Wunsch ist, dass die Bamberger mit einem blauen Auge davonkommen und wir ab 2018 wieder feiern können. Wenn nicht, habe ich viele schöne Erinnerungen in meinen Fotoalben, in meinen Büchern – und in meinem Herzen.“

Rose oder Dorn

Der Bürgerverein erklärt abschließend: „Auch in anderen Städten und Gemeinden kämpfen viele Organisationen und Vereine um das Weiterbestehen ihrer Traditionsveranstaltungen.“ Hier ist jedenfalls Unterstützung und Verantwortung der Politik gefordert. Berliner kennen es nur allzu gut, wie es sich anfühlt, wenn eine Stadt nach außen hin mit ihrer Kultur- und Clubszene wirbt, diese aber vor Ort kaum unterstützt oder gar sterben lässt. Wie sagt ein altes Sprichwort: „Der Ausgang lehrt, ob die Rose blüht oder der Dorn sticht.“

Credits

Foto: via Shutterstock

Kommentieren