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Charles Schumanns Bargespräche Film

Schumanns Bargespräche: Der Zeitlose, der Unsichtbare

Gestern Abend feierte Schumanns Bargespräche, der neue Film über und mit Charles Schumann, auf der Berlinale seine Premiere. MIXOLOGY durfte vor Ort sein. Über einen weiteren Versuch, sich dem Zauber dieses rastlosen Mannes und entrückten Kunstfigur zu nähern. Sicher ist: Ein neuer Beitrag zum Bild Charles Schumanns ist geleistet worden. Chefredakteur Nils Wrage mit einer ersten Besprechung.

Die erste Stimme, die noch im Halbdunkel des Anfangs von Schumanns Bargespräche wirklich zum Zuschauer spricht, ist gar nicht das komplett unnachahmliche Knödelschnarren von Charles Schumann, sondern die samtigwarme Stimme Axel Milbergs. Jener Schauspieler, dessen sonorer Bariton eine akustische Eleganz verkörpert, die jedem Umfeld die Aura von vorzeitlich Entrücktem, von wohliger Ruhe verleiht. Und sie gibt auch dem Film Schumanns Bargespräche von Marieke Schroeder, der nach vier Jahren Produktionszeit endlich fertig geworden ist, von Anfang an ein ganz spezielles Timbre: Das des abstrakt Skulpturalen, des Entrückten. Denn die Figur, der sich Schroeder annähert, braucht im Prinzip gar keine Worte: Es ist Charles Schumann, Bar-Pionier, Lebemann, Hagestolz und wahrscheinlich der einzige deutsche Bartender, der in seinem Heimatland mehr oder minder vielen Menschen bekannt ist.

Schumanns Bargespräche: Die Gefahr liegt im Subjekt

Gerade dieser Umstand allerdings – Schumanns Bekanntheit, sein ikonisches, wie in Lehm gefurchtes Gesicht, seine Bedeutung auch für den Mainstream – macht es umso komplizierter, diesen Mann noch zu beschreiben, ihn so zu erzählen, dass man Neues über ihn erfährt, ohne in Klischees abzugleiten. Überdies musste ein neuer Ansatz her: Bereits anlässlich seines 75. Geburtstages im letzten September produzierte Schroeder für den Bayerischen Rundfunk die Dokumentation „Von Kirchenthumbach in die Welt“, die den Werdegang Schumanns vom pfälzischen Bauernhof bis zur eigenen Bar in München nachzeichnete. Eines wollen die Schumanns Bargespräche deshalb eindeutig nicht sein: eine Biografie Schumanns.

Für Schumanns Bargespräche nimmt Charles Schumann daher eine Doppelrolle ein: Er ist zugleich Protagonist und Gast, Befragter und Befragender, Besprechender und Besprochener. Dass dabei tatsächlich das Gespräch als journalistisch-erzählendes Instrument so stark in den Vordergrund gerückt wird, ist eine Wohltat und gibt erstaunliche Blicke frei auf Schumann und die Menschen, die er besucht und mit denen er spricht: Etwa Jack McGarry, Dev Johnson, Dale DeGroff und Steve Schneider aus New York, gar der mittlerweile verstorbene Sasha Petraske. Colin Field in Paris, Asbel Morales in Havanna, Hidetsugu Ueno in seiner High Five Bar in Tokio. Und nicht zuletzt die philosophische Runde um Maxim Biller, Beate Hindermann und Stefan Weber in der Berliner Victoria Bar.

Der Ort als Symbol

Es sind zeichenhafte Orte und Personen, die Schumann trifft und mit denen er über die Bar als lebendigen, nirgendwo gleich funktionierenden Organismus spricht. Und nach einer gewissen Zeit stellt sich der erstaunliche Eindruck ein, dass dort auf vielen Ebenen sehr komplexe Kommunikationsvorgänge geschildert und konserviert worden sind – weil das Bild, das Schumanns Gesprächspartner widerspiegeln, letztlich zu einer Auffächerung führt. Von Schumann. Aber auch vom Wirken der Gesprächspartner selbst, deren Ehrfurcht vielfach fast haptisch spürbar wird. Auch die Kommunikation zwischen Schumann und den von ihm besuchten Menschen ist zeichenhaft: Es geht darin nicht vordergründig um Erkenntnis im Sinne eines Dokumentarfilms, sondern um Stimmungen, Atmosphären, die Magie spezifischer Orte und Vorgänge, außerdem überraschend und wohltuend wenig um den Drink an sich. Die Bargespräche ergeben ein sinnliches Kaleidoskop der Bar als sozialem Raum, als Summe aus Menschen und Kommunikation – wie es vielleicht auch die wichtigste abstrakte Quintessenz von Schumanns Büchern ist.

Schumanns Bargespräche

Natürlich wohnt einer solchen Herangehensweise gleichsam eine Gefahr inne, der sich der Film auch tatsächlich nicht vollends erwehren kann. Denn durch seine inhaltliche Disposition, gepaart mit seiner großteils minimalistischen Soundscape und vielen Slow-Mo-Passagen, trägt Schumanns Bargespräche selbstverständlich gleichfalls weiter zur Mystifizierung, zur Festigung der Kunstfigur namens Charles Schumann bei.

Zur inszenatorischen Manifestation einer sendungsbewussten und unsagbar einflussreichen Person, die von vielen gekannt, bewundert und gefeiert wird, während der auf so spezielle Art reservierte Mensch Schumann den meisten Leuten – wohl auch vielen persönlich Bekannten – wahrscheinlich auf ewig verschlossen bleiben wird.

Der Mensch hinter der Figur

Die besonderen, wirklich magischen Momente in Schumanns Bargespräche sind daher jene seltenen Augenblicke, in denen diese Inszenierung der Figur leichte Risse bekommt, in denen sie menschlich bröckelt, und zwar ohne dabei ihren Protagonisten bloßzustellen: Wenn man den sonst ausnahmslos im Anzug bekleideten Mann plötzlich im durchgeschwitzten Kapuzenpulli beim Boxen zu Gesicht bekommt – in seinem vielleicht privatesten Umfeld überhaupt. Wenn dem so Selbstbewussten im Gespräch mit Julie Reiner über Frauen hinter der Bar ein wenig die Worte fehlen. Noch mehr aber in den Szenen, in denen man merkt, dass hinter dem oft so schmissigen Impresario ein zutiefst reflektierter Mann schlummert, der sich selbst, das „Ankommen“ und auch das Alter auf melancholische Weise hinterfragt: „Ich will ja auch nicht irgendwann wie so ein Bocuse [Paul Bocuse, d. Red] sein, den man im Rollstuhl reinbringt und bei dem sich die Leute dann fragen, ob ich’s wirklich bin“, hört man Schumann vor seiner Bar sitzend sagen, danach senkt er den Blick einen Augenblick beiseite. Man merkt, dass vielleicht sogar an ihm, dem Bar-Zeitlosen, die Zeit ein wenig nagt.

Eine Szene später sieht man ihn, den immer statuenhaft korrekt gekleideten, im hellen Anzug im südfranzösischen Sand liegen, nahe den Stätten, an denen seine gastronomische Laufbahn einst begann – und zu denen er eine Rückkehr bis heute nicht ausgeschlossen hat. In diesen besonderen, vielleicht vom Protagonisten ungewollt emotional beladenen, aber unkitschigen Szenen gewinnt der Film, auch durch die hochsensible, meditative und mitunter streng-formale Kameraarbeit von Niv Abootalebi, eine cineastische Qualität. Weil in ihnen endgültig nicht mehr einfach dokumentiert, sondern resümiert, geträumt, ins Innere geschaut wird.

Dem Menschen Charles Schumann wird sich die Öffentlichkeit, obwohl er in ihrer Mitte stattfindet, wahrscheinlich niemals wirklich nähern können, sein Kern wird unsichtbar bleiben. Aber ein Kunststück gelingt Schumanns Bargespräche dann doch: Der Kunstfigur und Ikone Charles Schumann eine neue Facette zuzuordnen. Die Kunstfigur, die ständig über ihre Vergangenheit zu sprechen gebeten wird, schaut in diesem Film aus der Gegenwart auf sich selbst und die durch sie mitgeformte Realität. Und das alles mit dieser herrlich unperfekten Stimme, die dennoch so viel schöner ist als jene von Axel Milberg.

Schumanns Bargespräche
– Dokumentarfilm –
Buch, Regie & Produktion: Marieke Schroeder
Kamera: Niv Abootalebi
mit: Charles Schumann, Dale DeGroff, Jack McGarry, Sasha Petraske, Julie Reiner, Ted Haigh, Robert Simonson u.a.
102 Minuten; Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Japanisch
Kinostart: 12. Oktober 2017

facebook.com/schumannsbargespraeche.film

Credits

Foto: Filmstill aus Schumanns Bargespräche © by Niv Abootalebi

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