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Traveling Bartender Teil II: „Wir leben auch für uns!“

Im ersten Teil unserer neuen Serie Traveling Bartender waren wir im Norden unterwegs. Teil Zwei führt uns mit Athen, Sizilien und Barcelona ins südliche Europa. Auch hier haben reisewillige Bartender ihre Erfahrungen mit unterschiedlichen Kulturen und Mixstationen gemacht. André Zauner, Thomas Matzke und Doreen Philipp erinnern sich.

Europa, das ist vor allem die politische Idee einer Wertegemeinschaft gänzlich unterschiedlicher Akteure mit dem Ziel, zusammen und einheitlich über komplexe Thematiken hinaus eine Übereinkunft zu finden, die alle zufriedenstellt. Ein solches Leitbild dieser 28 häufig miteinander ringenden Staaten aus allen Ecken des Kontinents erscheint trügerisch einfach, wird in der Realität häufig genug von seinen konzeptuellen Problematiken erdrückt.

Europa ist jedoch viel weniger als politische Überzeugung denn als gesellschaftliches Optimum zu verstehen. Denn was uns die offenen Grenzen, die damit verbundene Freizügigkeit von Waren, Personen und Dienstleistungen, ein für jedermann zugänglicher Arbeitsmarkt und nicht zuletzt Programme wie Erasmus brachten, scheint heutzutage zur Selbstverständlichkeit verkommen, obgleich es die Nachkriegsgeneration einst zurecht der Genialität der Sache wegen zu Tränen rührte.

Traveling Bartender: Ab ans Brett!

Genug der Politik und Gefühlsduselei! Lassen wir die negativen Diskussionen über Reglementierungen, Parlamente, Rettungsschirme und Nazi-Vergleiche deutscher Politiker beiseite und reden wir darüber, wie bereichernd eine andere Barkultur für den deutschen Bartender sein kann. Und gerade ob der Diversität zu beleuchtender kulturellen Zentren der Nacht begeben wir uns auf unserer Reise nach Athen, Sizilien und nach Barcelona.

Traveling Bartender: Weiße Rosen aus Athen

Athen ist ein Kuriosum. Hat sein Renommee als Tourismus-Destination zur Zeiten der Finanzkrise stark gelitten und war die Schließung zahlreicher Unternehmen die Folge, so erfuhr die Bar-Szene innerhalb der letzten Jahre fast schon einen Renaissance-artigen Aufschwung. Viele neue Bars platzierten sich am Firmament der Nacht und zeichneten sich recht schnell durch hohe Kreativität aus.

Das bemerkte auch der heute im Provocateur arbeitende André Zauner, der im Zuge des Jägermeister-Stipendiums die Chance bekam, sich der Athener Schule zu nähern. Rückblickend sieht der ehemalige Traveling Bartender seine Zeit mit den Hellenen als sehr lehrreich. Nicht nur unterstreicht er den hohen Grad an Professionalität beim Umgang mit Spirituosen, Gästen und dem allgemeinen Standard, den er mitunter als höher als in Deutschland bezeichnet, besonders ist ihm die mediterrane Lebenseinstellung in Erinnerung geblieben. „Die Art, wie man an Drinks herangeht, ist einfach viel unbeschwerter und geradezu leichtfüßig. Gerade was die Kreativität angeht, ist es häufig deutlich progressiver als in Deutschland“, so Zauner, den es erst letztes Jahr nach Griechenland in die Botsalino-Bar verschlug.

Vor allem – das bekräftigt er mit seiner Aussage noch einmal – sei ihm die Detailverliebtheit aufgefallen. „Man achtet sehr auf kleine Dinge wie Licht, Musik, Atmosphäre – auf diese hidden champions wird viel Wert gelegt. Das fand ich bemerkenswert.“

Besonders schätzte Zauner die Tatsache, dass in Athen Qualität über Quantität gesetzt wird und man grundsätzlich immer mit zwei Barbacks arbeitet, damit sich der Bartender vollends auf das Mixen und seine Gäste konzentrieren kann. Zwar sei es durchaus eine Herausforderung gewesen, sich in einem Land zu verständigen, ohne die Sprache zu sprechen, doch mindert das auf keinen Fall seine positiven Eindrücke.

Montepulciano oder Mafia?

Ein paar Tausend nautische Seemeilen entfernt von Griechenland liegt eine malerische Insel mit zweifelhaftem Ruhm. War sie einst Rückzugsort und operatives Zentrum mafioser Tätigkeiten, so machte Sizilien auch das ein oder andere Mal wegen eines Vulkanausbruchs von sich zu hören.

Es ist hier, wo Thomas Matzke – mittlerweile im Kölner Little Link tätig – von 2009 bis 2012 seine Zeit als Traveling Bartender verbrachte. Für die Eröffnung eines 5-Sterne-Luxushotels zog es ihn zusammen mit seiner Freundin in die süditalienische Provinz. Matzke erinnert sich: „Meine erste Hürde war natürlich die Sprache. Das Erlernen einer Sprache wie Italienisch ist besonders schwierig, wenn man sie sich auf einer Insel wie Sizilien aneignen soll, die in ihrer Geschichte in den Händen unterschiedlichster Besatzer war. Hier existieren von Dorf zu Dorf andere Dialekte.“

Auch an die Reglementierungen musste er sich zunächst gewöhnen. So verlangte das kommunale Gesetz, dass Ressorts damals mindestens 50% des Personals aus Einheimischen stellen mussten. Hier ergab sich häufig das Problem, dass das aus Deutschland entsandte Fachpersonal auf viel höherem Kenntnisstand war als die einzuarbeitende, einheimische Gilde. Eine Herausforderung für den jetzigen Wahlkölner. „Viele Angestellte hatten noch nie ein Hotel von innen gesehen, trotzdem waren alle bemüht und herausgefordert, die 5-Sterne-Standards zu erfüllen und zu halten.“

Der König Aperitif

Auch bekam es Matzke mit einer ganz landestypischen Eigenheit zu spüren, die man als Traveling Bartender nicht immer auf dem Schirm hat: der Saisonarbeit. „Das Geld floss meistens in den Monaten März bis November, dann wurde das Wetter schlecht und der Tourismus kam zum Erliegen. In dieser Zeit musste man möglichst viel Geld zusammensparen, um zur Not ohne Job durch den Winter zu kommen.“

Die Arbeit an der Bar beschreibt er als mit Deutschland keineswegs zu vergleichen. Dadurch, dass die Italiener starke und überzeugte Verfechter ihrer Aperitif-Kultur sind, konnte er sein Talent für Digestifs und Cocktails nur bei internationalen Gästen so wirklich ausspielen. „Das war ein mixologischer Nachteil. Man hatte sich zwar viel vorgenommen und angeeignet, konnte es aber selten abrufen, weil die Nachfrage nicht da war. Das ist in norditalienischen Städten wie Turin, Venedig, Rom oder auch Mailand sicherlich anders.“

Unvergesslich werden für ihn immer die Eindrücke sein, die er mit der Insel verbindet. Ob das traditionelle Mittagessen bei der Mutter seines Freundes, ein Spaziergang am Strand nach Feierabend oder einfach nur das Auf-sich-Wirken-lassen der atemberaubenden Schönheit einer bezaubernden Flora und Fauna mit Peroni in der Hand. Die kleinen Dinge, die plötzlich ganz ergreifend schön sind und an Wert gewinnen. Dennoch gab es auch die kritischen Momente, die nachdenklich stimmten. So, als sein Freund ihm den Unterschied zwischen Deutschland und Italien plastisch vor Augen hielt: „Deutsche leben, um zu arbeiten, Sizilianer arbeiten, um zu leben.“

Ruhiger sei er geworden; er rege sich weniger schnell auf, so Matzke, der schnell merkte, dass die Uhren in Italien in Puncto Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit gänzlich anders ticken als in hiesigen Breiten. Er empfiehlt jedem Bartender den Ortswechsel und habe Lebenserfahrungen gemacht, die ihm keiner nehmen könnte. Ganz nebenbei lernte er dabei eine Sprache, eine Kultur sowie Land und Leute kennen, all dies untermalt von traumhaften Bildern.

Traveling Bartender in Bar-Celona!

Wir reisen weiter in ein Land, das seit geraumer Zeit mit schweren innenpolitischen Problemen zu kämpfen hat. Die Konzentration hin auf eine seit Jahrhunderten andauernde Rivalität zwischen Madrilenen und Katalanen gipfelte unlängst in einer Unabhängigkeitsbestrebung letzterer. Brisant vor allem im Hinblick auf die Wirtschaftsleistung der iberischen Halbinsel, die fast ausschließlich von den stolzen Katalanen erbracht wird. Unser Besuch führt uns also unweigerlich in die Touristen-Hochburg und Roadtrip-Metropole der freiheitssuchenden Generation Y: Barcelona.

Hierhin verschlug es Doreen Philipp im Jahre 2014 im Rahmen des Jägermeister-Stipendiums. Lange hegte sie bereits zuvor die Sehnsucht nach Me(e)hr, traute sich jedoch diesen großen Schritt zunächst nicht zu. „Ich bin viel zu Deutsch und pflichtbewusst gewesen, um meiner Neugier zu folgen und die Koffer zu packen.“ Anfängliche Schwierigkeiten ergaben sich vor allem durch die Sprachbarriere. „Zunächst regnete es nur Absagen. Ich entschied mich für einen Intensiv-Kurs in Spanisch und glaubte weiter an mein Ziel.“

Diese Entscheidung sollte sich bezahlt machen, bekam sie kurze Zeit später die Chance, Seite an Seite mit Guiseppe Santamaria und Giamao Gianotti (Beide Gewinner spanischer World-Class-Ausgaben) in der Ohla Boutique-Bar zu arbeiten.

Gestatten, mein Name ist Nobody

Dennoch merkte Philipp schnell, was dieser Wandel und das Wirken in einem anderen Arbeitsumfeld alles mit sich brachte. „Zunächst kennt dich halt keine Sau und du fängst wieder ganz von vorne an“, formuliert sie salopp. Diese mühsame Sisyphus-Arbeit des Vagabunden, des durch die Welt ziehenden Bartenders, ist Bürde und Chance zugleich. Anders gesagt: Zwar musst du dir erst wieder einen Namen machen, aber dein guter Name wird auch weniger schnell leiden. „Du kannst erst einmal alles machen, worauf du Lust hast.“

Der Ortswechsel war nicht nur mit dem Erlernen einer gänzlich anderen Mentalität verbunden, sondern brachte auch Änderungen des Arbeitsplatzes mit sich. Philipp, die zuvor im Bayerischen Hof tätig war, musste sich anfänglich erst an die Eigenheiten eines kleinen Boutique-Hotels gewöhnen.

Rückblickend sieht sie den Gang ins Ausland vor allem als Selbstreflexion mit anderer Perspektive. „Erst dann wird dir bewusst, wie eng vernetzt, professionell, kompetitiv und gleichzeitig freundschaftlich die deutsche Barszene eigentlich ist. Wie dicht das Netz an Wissen ist, wie stark der Zusammenhalt. Wie groß die Bandbreite an Schulungen und wie selbstverständlich das gegenseitige Empfehlen. Wie liebevoll jedes Daumen-hoch im Virtuellen gemeint ist, dem in absehbarer Zeit tatsächlich ein Gläschen zum Anstoßen folgt.“

Besonders bleibt mir bei all ihren Erzählungen eines hängen: Man lernt, dass man überall die beste Version von sich selbst sein kann, oder eben nicht. Dass alles so viel intensiver ist, wenn man sich mal aus der Wohlfühlzone raus traut.

Keine Zeit für Klischees

Und so sieht man, dass vorsichtiges Differenzieren immer angebracht und erforderlich ist. Klischees von untätigen Südländern ohne Geschäftssinn und mit viel Zeit sind nichts als vorgefertigte Rollenbilder des Ignoranten ohne Reisekoffer. Ob Italien, Griechenland oder Spanien, Barkultur wird auch hier gelebt, wenn auch – das ist das schöne, ja spannende – anders als in Deutschland.

Ein Traveling Bartender kann diese neue Szene aufsaugen, sich von ihr inspirieren lassen. Mal bringt sie ihn dazu, umzudenken, mal festigt sie seine Standpunkte. Immer, jedoch immer, so weiß auch Doreen Philipp, gilt es eine gesunde Balance zu halten: „Ja, es stimmt, wir leben für unseren Gast und gleichzeitig genauso für uns!“

Credits

Foto: Foto via Pixabay.

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