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Was bringt das Zesten im Fliegen, Ago Perrone?

Agostino „Ago“ Perrone hat den Martini perfektioniert. Niemand zelebriert ihn auch in der Herstellung so wie der Barchef der Connaught Bar in London. Hat sein charakteristisches Zesten in hoher Höhe einen aromatischen Effekt, oder ist es vielmehr elegante Show? Wir haben den Meister persönlich gefragt. Natürlich: Straight up with style – and don’t forget the smile.

Im Sommer kann man am Soho Square in London manchmal eine Gruppe von Flairbartendern dabei beobachten, wie sie das kunstvolle Werfen von Flaschen, Gläsern und Shakern üben. Nur wenige hundert Meter weiter westlich, in der Connaught Bar in Mayfair, kann man Ago Perrone dabei zusehen, wie er eine Zitronenzeste in ein Glas gleiten lässt.

Und nun kann man mal Vermutungen darüber anstellen, was von beidem spektakulärer aussieht.

Natürlich ist die Frage im Grunde genommen eine rhetorische, den selten wurde eine Zeste kunstvoller durch die Luft gewirbelt und durfte aus größerer Höhe ihre Aromen abgeben. Was zur nächsten Frage führt: Ja, was bringt denn das alles? Hat das alles auch einen Sinn, oder ist das am Ende doch nur fancy Firlefanz? Auch Perrone hat schließlich eine Flair-Ausbildung genossen. Ist das nun eine Art sophisticated Flair? Aber der Reihe nach.

Ago Perrone und sein Blitzstart im Connaught

Das ehrwürdige Connaught Hotel, das bis zum ersten Weltkrieg „Coburg Hotel“ hieß und dann aus irgendwelchen marketingtechnischen Gesichtspunkten heraus nicht mehr, unterzog sich 2007 einer Generalsanierung, in derem Resultat sich auch Platz für eine Bar fand – und die Connaught Bar sorgte schnell für Furore; erst letzten Herbst konnte man der ansehnlichen Trophäensammlung den Titel der zweitbesten Bar der Welt hinzufügen (eine zweite Bar namens „Coburg Bar“ gibt es außerdem noch als Reminiszenz an den früheren Namen, aber über die spricht nie jemand).

„Director of Mixology“ Agostino „Ago“ Perrone hat da vor zwölf Jahren fast aus dem Stand heraus einen Rennwagen auf die Piste gesetzt, der von Anfang an um die Weltmeisterschaft mitfahren konnte. Geschafft hat er das mit Kreativität und einem sicheren Gespür für den Umgang mit Tradition, wie er in einer Kulisse wie der des ehrwürdigen Connaught unabdingbar ist.

Zestenmeister und Martini Magician

Es ist insofern kein Zufall, dass der Signature Drink der Bar ein Klassiker wie der Martini ist, und wer jemals das Privileg genießen durfte, Perrone selbst bei der Bereitung desselbigen zusehen zu dürfen, der hat damit das Recht erworben, bis an sein Lebensende seine Mitmenschen mit dieser Information nerven zu dürfen, entsprechend den unvergessenen Tresengenossen, die einst höchstpersönlich dabei waren, als Bon Scott sang und Manni Kaltz flankte.

Der Trolley, der eigens zur Präsentation des Connaught Martini an den Tisch gerollt wird, ist ein mobiler Altar für ein Hochamt zu Ehren der heiligen Dreifaltigkeit aus Gin, Wermut und Zeste, aber gleichzeitig auch das Pult des Zauberkünstlers, das Magie und Staunen verspricht – mit dem Unterschied, dass man zwei Meter daneben eine Jungfrau zersägen könnte, und man würde das erst bemerken, wenn der Trick schiefgeht und blutende Gliedmaßen zu Boden purzeln. Nicht grundlos bezeichnet man Perrone als den „Martini Magician“.

Aus fünf Bitters-Aromen kann man zusätzlich wählen, um in das Feintuning seines Martini einzugreifen – Kardamom, Koriander, Lavendel, Tonka oder die Eigenkreation „Dr. Ago“ stehen zur Verfügung; zusammen mit der Auswahl an Gin (Standard ist Tanqueray No.10) sowie der Wahl zwischen Zeste oder Olive sind die Wahlmöglichkeiten nahe an unendlich.

Der personalisierte Martini

Aber wie sagt der Chef so schön? „Den absoluten perfekten Martini gibt es nicht. Für jeden Gast ist das ein anderer. Aber den streben wir an. Wir personalisieren den Martini.“

Steht die Wahl fest, beginnt das Zeremoniell. Das Rührglas wird gekühlt. Die Bitters werden ins Spitzglas geträufelt. Die hauseigene Wermutmischung wird eingegossen, danach der Gin, der Jigger ruht zwischendrin majestätisch auf einem Eiswürfel. Die Bewegungen sind präzise, fließend, unaufgeregt, graziös. Der Barlöffel zwirbelt lautlos durch die Materie.

Und daaaaaann …

… hebt Ago Perrone das Rührglas weit über Kopfhöhe und gießt ein feines Rinnsal talwärts, zielsicher in das tiefe Martiniglas, kein Tropfen wird verschüttet, nichts spritzt – und gleichzeitig zestet er mit der linken Hand in die Kaskade hinein. Die Bewegungen sind tatsächlich die eines Magiers, ausladend, rund und schwungvoll; die Zeste wird zum Trapezakt ohne Netz und doppelten Boden.

Ago Perrone kombiniert Erfahrung und Eleganz

Man staunt wie der Eingeborene, der den Missionar erstmals beim Anzünden einer Zigarette beobachtet. Der krönende Abschluss des Spektakels jedoch liegt in der beiläufigen Perfektion, in der das abknickende Handgelenk die Zeste nach ihrem Akrobatikakt ins Glas befördert. Es gab mal Schauspielschulen, die ihren Schülern beibrachten, wie Steve McQueen aus einem Auto aussteigt. So muss man sich das vorstellen. Eine Studie in Minimalismus. Wer sie in ihrer scheinbaren Unscheinbarkeit übersieht, hat das Wesentliche verpasst.

Dann reißt sich der Eingeborene aber instantan wieder zusammen, streift die überbordende Enthusiasmierung professionell ab und lässt den knallharten, investigativen Journalisten wieder zum Vorschein kommen: ja, mit Verlaub, bitteschön, was bringt denn die ganze Sache so rein, Dings, also: qualitativ-geschmacklich? Na?

Zwar hat man ja das Getränk vor sich stehen und könnte sich die Frage selbst beantworten – göttlich, Meister, vielen Dank aber auch – jedoch: Ist denn dem eigenen Urteil noch zu trauen nach dieser Darbietung? Verneigen sich die Geschmacksknospen vielleicht schon allzu dienstfertig? Wurde man von der Darbietung eingelullt und präkonditioniert?

Ago Perrone lächelt das wissende Lächeln dessen, der dem Eunuchen Sex und dem Analphabeten Shakespeare erklären soll. In wenigen Schlagworten umreißt er das Planetensystem, das sich um die Sonne seiner Cocktails dreht. Um die Fertigkeiten geht es, um Textur, Geruch, die Transformation der Zutaten zu etwas, das mehr ist als die Summe der Einzelteile; um den Geist eines Getränks, um Erfahrung… und um Eleganz.

Ago Perrone und das Zesten im Fliegen: Luft für den Martini

Eleganz ist etwas Großartiges. Ähnlich wie Geld haben sie meistens andere. Aber macht sie einen Cocktail besser? Weshalb um Himmels willen sollte man denn die Aromen einer Zeste einen halben Meter über dem Getränk freisetzen? Da kann man sie doch auch gleich über die Klimaanlage in den Raum blasen, oder? Mitnichten, erklärt der Director of Mixology geduldig. „Das Zesten nahe am Glas lässt all die schweren Öle, die man eigentlich nicht haben will, mit ins Getränk fallen. Weiter oben gelangen nur die feinen Aromen mit dem Strahl nach unten.“

Und das Abseihen des Martini aus dem Obergeschoss herab? Ganz ähnlich, erfahren wir. „So gelangt Luft in dieses an sich sehr alkoholische Getränk, was es wiederum leichter macht.“

Es stimmt, der Connaught Martini ist von unfassbarer Leichtigkeit. Wobei nach wie vor nicht auszuschließen ist, dass man doch auch der Zubereitung wegen beschwingt ist. Wie viele man wohl trinken muss, um das letztgültig zu entscheiden? Egal. Ago Perrone, die Connaught Bar und deren Martini sind ein perfektes Beispiel für die Reibungsflächen eines Berufs, der sich nie so ganz entscheiden konnte, ob er eher dem Handwerk oder doch der darstellenden Kunst zuzuordnen ist.

Ganz offensichtlich muss man das auch nicht. Oder, in den Worten Ago Perrones: „Das Geheimnis liegt darin, einfache Dinge auf außergewöhnliche Weise zu tun.“

Zest drop.

Credits

Foto: The Connaught

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