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Der Albra schockt richtig

Schon David A. Embury hat bewiesen, dass nicht nur gelernte Bartender Drinks zuzubereiten wissen. Auf diese Weise hat auch der Cynar-Drink Albra den Weg nach Deutschland gefunden. Barfly Julian Knecht hat den Highball auf einem seiner Streifzüge durch die USA entdeckt und in die FCUK Yoga Bar gebracht. Wobei der Albra eigentlich ein Buck ist.

Vor noch nicht allzu langer Zeit fragte mich ein geschätzter Arbeitskollege und Freund, ob ich einmal zum Heimspiel seines Vereins – des 1.FC Afrisko – in Berlin-Wedding kommen wolle. Kreisliga. Während viele der Vorstellung eines Ambientes bestehend aus angerissenen Plastiksitzschalen, vertrocknetem Bolzplatzgras, Solero Eis-Mülleimern und wütenden Hobby-Trainern mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht sonderlich viel abgewinnen können, stellt diese für viele doch vor allem eines dar: den gelebten Traum.

Nirgendwo sonst wird so leidenschaftlich gekämpft, in Zweikämpfe gegangen, geflucht als ginge es um Leben und Tod. Nirgendwo anders werden Abstiege derartig beweint und Aufstiege dermaßen euphorisch gefeiert: Der Amateurfußball ist eine willkommene Abwechslung in dem Einheitsbrei voller Trainer ohne wirkliches System, absurder Transfersummen und Millionen an Übertragungsrechten. Der Amateurfußball ist die Realität, die uns zurück auf den Boden holt.

Die Bar zwischen Kreisklasse und Oberliga

In der Bar unterscheiden wir nicht in Ligen. Zwar mag es, inoffiziell und als offenes Geheimnis begünstigt durch all die Influencer der Social Media-Plattformen, eine Rangliste von Bars geben, die als besonders hochwertig und fancy erachtet werden, doch wird glücklicherweise keine Klassifizierung vorgenommen. Das ist auch gut so, unterscheidet sich Fußball doch von der Bar vor allem insofern, als dass ersterer ein ergebnisorientiertes „Produkt“ ist und Leistung hier im Gegensatz zur Bar in einem festgesteckten zeitlichen Rahmen erbracht werden muss. Doch haben die Bar und der Fußball dahingehend etwas gemeinsam, als dass es auch in der Barwelt eine Art Amateur-Gilde gibt: die sogenannten Barflys.

Der Albra-Import

Julian Knecht ist eine solche Person. Eigentlich geht er einem ganz gewöhnlichen Beruf nach und vertritt als Rechtsanwalt in Essen Woche für Woche neue Mandanten in Rechtsstreitigkeiten. Doch irgendwann fing er an, sich für Cocktails zu interessieren. In der Essener FCUK Yoga Bar lernte er nach Feierabend neue Drinks kennen – zu Hause las er ihre Entstehungsgeschichte nach. Schnell besuchte er Workshops, bereiste andere Barländer dieser Welt und war infiziert von der ihn umgebenden Szene.

Es gibt da draußen viele Barflys. Das verdanken wir all den hart arbeitenden Bartendern, die eben nicht nur dazu in der Lage sind, hervorragende Drinks zu kreieren, sondern auch eine Euphorie über ihren Beruf hinaus zu vermitteln wissen. Sie sind die Väter der Barflys, die ihrerseits das Erlebte weitererzählen und andere Mitmenschen für die Cocktailkunst begeistern wollen. Es ist nicht so zu hoch gegriffen, von einer stillen Cocktail-Revolution zu sprechen; oder zumindest von dem sich durchsetzenden Prädikat der Qualität. Das erfreut!

Ein bisschen Highball, ein bisschen Cynar

Julian fing an, in der FCUK Yoga Bar auszuhelfen, Schichten zu übernehmen und Drinks zu kreieren. Einen davon stellen wir Ihnen heute vor: Weil er gut ist und weil er zeigt, dass beide Seiten sich befruchten können. Knecht lernte den Modern Classic auf einer seiner vielen Reisen als Barfly nach Kalifornien kennen und brachte ihn zurück nach Deutschland.

„Albra“ klingt zunächst nicht sonderlich spektakulär, ist aber eine den Zeitgeist treffende Variation und huldigt der über Deutschland niedergehenden Welle der Highball-Kultur. Doch ist der aus Vodka, Minzsirup, Cynar, Zitrone und Tonic Water bestehende Drink überhaupt dieser Kategorie zuzuordnen?

Der Albra ist mehr. Ein Buck nämlich. Schenkt man der peniblen, von David A. Embury vorgenommenen Unterscheidung Glauben, so baut ein Buck (Spirituose, Säurequelle, Filler) quasi auf einem Highball (Spirituose, Filler) auf. Er ist quasi ein Twist der bekannten Kategorie, seine namentliche Anfügung an Drinks (z.B. London Buck) hat sich allerdings nicht wirklich durchgesetzt. In Vergessenheit ist er nicht geraten, nur werden die in seinem Stil gemixten Drinks zumeist einfach unter dem Begriff des Highballs subsummiert.

Der Albra setzt auf Cynar und Vodka

Der Albra bedient sich des in deutschen Bars weitgehendst stiefmütterlich behandelten, italienischen Amaro Cynar. Der hierzulande vielfach als Digestif bekannte Likör in einer leichtfüßig-erfrischenden Highball-Variante stellt sich als ausgesprochen gelungenes Pairing heraus. Nicht nur vermittelt er dem Drink durch seine dem Cynarin der Artischocke entnommenen Bitterstoffe den benötigten Konterpart zum süßlich-frischen Minzsirup, der Cynar harmoniert auch auf erstklassige Weise mit dem Tonic als Filler – mit dem er als Tanzpartner zusammen auch auf jeder lista delle bevande der italienischen Trattoria um die Ecke auftritt. Man könnte gar soweit gehen und sagen, der Cynar wäre der heimliche Star im Drink, wird seine Präsenz nicht durch eine andere geschmacksreiche Spirituose gestört, sondern durch die Hinzugabe des Vodkas sanft begleitet.

Julian Knecht hat mit seinem Import der amerikanischen Highball-Kultur mit italienischem Gusto ein kleines Kunststück in die hiesige Barszene geschmuggelt. Hat er mit dem Cynar einen vom deutschen Publikum noch immer geschätzten Bitterlikör in der Hand, so setzt er diesen im Albra mit einfachen Zutaten in der anderen Hand dezent, aber überaus präsent in Szene. Die Zitrone verleiht dem Albra die charakteristische Säure eines Bucks, um den letzten, erfrischenden Sonnenstrahlen vor einem bitterlich-kalten Winter zu huldigen. In dubio pro „Albra“.

Credits

Foto: Foto: Sarah Liewehr. Post: Tim Klöcker.

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