TOP
Andreas Till vom Pacific Times in München im Interview zum 25-jährigen Jubiläum

25 Jahre „Pacific Times“: Andreas Till im großen Interview

Das »Pacific Times« in München feiert 25-jähriges Bestehen, ihr Mastermind Andreas Till, seit drei Jahren auch Alleininhaber, fast zeitgleich seinen 50. Geburtstag. Zwei Anlässe, ein Glas zu erheben. Was den Sunnyboy nicht an nachdenklichen Ansichten hindert – bis hin zur Bewirtungsphilosophie seines Großvaters.

Andi Till ist pünktlich wie immer. Als wir im Pacific Times eintreffen, endet gerade die kleine Rechtsberatung durch seinen Sohn, einen Jura-Studenten. Der Positivdenker Till fasst die Szene nur zusammen und widmet sich lieber der Espressomaschine. Die Gäste haben schließlich noch nichts zu trinken! Am Ende werden es neben dem Kaffee zwei Glas Champagner und ein Campari Seltz als Arbeitsbehelf sein. Diese Mischung passt auch zum Inhalt des Gesprächs – eine Tour d’Horizon mit dem Münchner Urgestein: über unterschiedliche Gästegenerationen, den Image-Wechsel durch Corona bis zum richtigen Gebrauch digitaler Medien.

MIXOLOGY: Lieber Andi, das Jubiläum lässt du ein ganzes Jahr feiern – was erwartet die Gäste?

Andreas Till: Wir haben Gäste, die seit 20 Jahren zu uns kommen, aber nur sehr unregelmäßig in München sind – zum Beispiel bei Messen. Um denen die Möglichkeit zu geben, das ganze Jahr mit uns zu feiern, machen wir Themenmonate. Im Februar hatten wir die Tiki-Welt, jetzt im März machen wir Champagner und Austern, was mir sehr am Herzen liegt, um das aus der Event- und Blingbling-Ecke rauszuholen und zu zeigen, dass das einfach geil schmeckt. Das kann man in München gut machen, weil die Leute zwar viel damit feiern, aber auch damit angeben. Im April geht’s weiter mit der mediterranen Welt und vor allem mit Anis, die Küche wird dazu Mezze servieren. Im Mai kommt dann Aperitivo und wir hoffen, dass wir das schon draußen machen können, um etwa unseren »Seltz« mobil anzubieten. Juli ist der eigentliche Jubiläumsmonat – wir haben am 21. Juli 1997 eröffnet –, da gibt’s Klassiker aus 25 Jahren.

MIXOLOGY: Wie kam es zu dem Namen des Pacific Times, in dem ja auch das Angebot an die gute Zeit steckt, das du den Gästen machst?

Andreas Till: Ich glaube, dass der Name heute wieder gut in die Epoche passt. Für mich ist eine Bar eine Art Oase, so wie in Casablanca: Auch wenn draußen der Krieg tobt, gibt es einen Ort, an dem die Leute einfach etwas trinken und die Alltagsprobleme vergessen. Dafür steht zum einen das Wort Pacific vom lateinischen pax (=Friede). Daher gilt bei uns: »keine Politik oder Religion« sowie so ein paar Standards der Gastronomie, die wir uns berechtigt auf die Fahnen geschrieben haben. Natürlich sind die Sorgen nicht weg, nur weil du etwas trinkst. Der zweite Bestandteil, die Times, haben wir versucht mit diesem Kolonialstil widerzuspiegeln. Auch wenn das historisch ein düsteres Kapitel ist, hat die Kolonialzeit doch gastronomisch einen neuen Servicelevel gebracht. Das ist für uns wichtig. Ein Gast ist nicht König in dem Sinne, wie das oft diskutiert wird. Aber wir sind dazu da, dass er am Ende glücklicher hinausgeht.

»Wir beschäftigen uns mit sehr viel peripheren Dingen, aber die essenziellen bleiben oft auf der Strecke: Eis, Zitrusfrüchte, Minze. Das sind lauter Dinge, die ließen sich heute einfach recherchieren.«

— Andreas Till

Pacific Times

Baaderstraße 28
80469 München

Mo - Do 18 - 01 Uhr, Fr & Sa 18 - 02 Uhr

Andreas Till im Interview über 25 Jahre Pacific Times
„Essen und Trinken sind für mich das Höchste, aber mir schmeckt es nicht alleine.“ Andreas Till mag es gesellig.

MIXOLOGY: Kannst du dich noch an den 21. Juli 1997 – und eine völlig andere Bar-Welt – erinnern?

Andreas Till: Klar! Die Monate davor waren eine riesige Baustelle, der Laden ja früher viel kleiner. Hier, wo wir sitzen, war die Wirtswohnung. Wie bei jeder Neueröffnung brannte am Ende die rote Lampe – wir wollten um 17 Uhr aufsperren, letztendlich ist es dann 19 Uhr geworden. Einer der ersten Gäste war Jochen Hirschfeld (Tiki-Liebhaber, Fotograf und Filmemacher), der wohnt hier im Viertel. Ebenfalls aus dem Viertel kamen die Jungs aus dem Joe Peña’s, wo ich vier Jahre gearbeitet hatte. Dort haben wir zwischen 17 und 21 Uhr 1100 Drinks für je 6,50 DM geschickt! Die letzten Bestellungen nahmen wir um 20 Uhr an und haben das dann bis neun Uhr abgearbeitet. Das war für mich die größte Schule an Geschwindigkeit und Organisation, die es gab.

MIXOLOGY: Vermutlich auch, weil es keine sechs Signature Cocktails gab, sondern aus einer großen Karte bestellt wurde?

Andreas Till: Ja, die 1990er. Mai Tai und Caipirinha, Long Island Iced Tea und Hurricane waren natürlich äußerst beliebt. Und wir haben pitcherweise Margaritas verkauft, das gehörte zum Tex-Mex-Konzept. Und all die Leute kamen nun ins Pacific in der Erwartung, dass es auch Happy Hour gäbe. Dabei war das hier ganz was anderes: im Kolonialstil mit Ventilatoren an der Decke, Korbsesseln, deutlich eleganter und weg von der Pitcher-Kultur. Hier wollten wir tatsächlich Qualität liefern zu einem fairen Preis, da musste man das Publikum erst finden.

MIXOLOGY: Wobei ja auch die Verfügbarkeit etwa von Obst eine andere war …

Andreas Till: Ich behaupte ja: Die wenigsten Kollegen machen sich den Gedanken, dass wir da meist unreife Zitronen verarbeiten, die vielleicht mit den erwähnten Zitrusfrüchten der alten Bücher nichts zu tun haben. Oder vielleicht doch, denn es gab ja auch früher schon Transportprobleme. Daher ist es immer unheimlich schwer, sich über alte Rezepte Gedanken zu machen, weil man nicht weiß, in welcher Qualität und Beschaffenheit das damals verfügbar war. Das Positive ist, dass man heute viel verfügbar hat, wenn man sich intensiv mit seinen Zutaten beschäftigt. Ich glaube nur, dass der Tellerrand größer gefasst wird, als er sein müsste. Wir beschäftigen uns mit sehr viel peripheren Dingen, aber die essenziellen bleiben oft auf der Strecke: Eis, Zitrusfrüchte, Minze. Das sind lauter Dinge, die ließen sich heute einfach recherchieren. Klar haben wir einen medialen Overflow, aber wenn ich an meine Zeit zurückdenke: Da bist du in eine Bibliothek, hast auf Mikrofiche versucht, ein Buch zu finden, dann musstest du in der Bibliothek das Buch und vielleicht auch noch die richtige Seite finden. Da sehe ich schon einen großen Luxus, was das Thema Recherche und Austausch betrifft.

»Das ist der Punkt, wo ich jetzt mit dem Champagner hin möchte. Dass man nicht ein Glas Champagner bestellt, sondern eine Marke. Aber nicht weil es eine bestimmte Marke ist, sondern weil es mit einem sensorischen Profil hinterlegt ist.«

— Andreas Till

MIXOLOGY: Gibt es auch Cocktails, nach denen die Nachfrage einfach irgendwann aufgepoppt ist?

Andreas Till: Kennst du diese Geschichtsbücher mit dem Zeitstrahl, wo Ereignisse parallel dargestellt werden? So ist es mit Drinks. Diese Sehnsucht nach Drinks, die das Fernweh stillen, war offensichtlich. Charles (Schumann; Anm. d. Red.) hat ja nicht von ungefähr genau in der Zeit sein Tropical Barbuch herausgebracht. Aber das kann man nicht so an Dekaden festmachen. Ich habe für mich persönlich z. B. erst vor zehn Jahren Italien entdeckt. Die Münchner fuhren immer an den Gardasee, das hat mich abgetörnt. Dazu kommt, dass meine Eltern aus Ungarn kommen, daher waren wir in den Ferien immer eher am Plattensee unterwegs. Wien war da näher als Mailand. Und daher habe ich den Aperitivo erst spät entdeckt. Welcher Drink en vogue ist, ist also immer an einen Kontext gebunden. Hier in München war es so, dass in den 1990ern Tequila aufkam. Für mich ist das immer noch mit schönen Bildern verbunden. Weil es zeigt, egal wie viel Geld die Leute haben und was sie erlebt haben: Ob mit Drinks oder Essen, spielt gar keine Rolle, die Gastronomie ist ein Mittel, um Leute mit auf eine Reise zu nehmen. Da geht es auch um das Gesellschaftliche. Essen und Trinken sind für mich das Höchste, aber mir schmeckt es nicht alleine.

MIXOLOGY: Vermisst du etwas von früher – und sei es nur, dass mehr konsumiert wurde?

Andreas Till: Gute Frage. Vielleicht war früher die Bereitschaft größer, für Cocktails und Champagner mehr Geld auszugeben. Wenn ich mich erinnere, dann stand im Nachtcafé in München auf jedem Tisch ein Champagnerkühler. Andererseits war der Anspruch deutlich geringer, auch der Anspruch der Bartender. Du konntest alles verkaufen. Wenn du eine Margarita mit Cachaça gemixt hast, ist das keinem aufgefallen. Der heutige Anspruch lohnt aber nur, wenn Gäste das wertschätzen. Wenn heute auf jedem Kanal irgendeine Kochsendung läuft – von Kitchen Impossible bis zu First Dates, wo auch Kulinarik als Hintergrundmusik dient –, dann wird der Aufwand vom Gast auch vielfach anders wahrgenommen.

MIXOLOGY: Wobei es ja auch die Theorie gibt, dass deutlich mehr Kochsendungen geschaut werden, als gekocht wird …

Andreas Till: Stimmt, ist für viele auch eine Ersatzbefriedigung. Aber wir merken es hier bei uns in der Bar. Da sind die Leute bereit, für weniger Drinks mehr zu zahlen und sich damit eine Erfahrung oder ein Erlebnis mit nach Hause zu nehmen. Anfang der 1990er ist man in eine Bar oder in ein Restaurant gegangen und hat nur Pinot Grigio gesoffen. Dann kam Chardonnay, dann gab’s eine kurze Phase mit Sauvignon Blanc und dann hat es begonnen, dass man nicht nur eine Rebsorte bestellt hat. Man hat gefragt: Was habt ihr offen? Und das ist der Punkt, wo ich jetzt mit dem Champagner hin möchte. Dass man nicht ein Glas Champagner bestellt, sondern eine Marke. Aber nicht weil es eine bestimmte Marke ist, sondern weil es mit einem sensorischen Profil hinterlegt ist. Das geht dann auch mit Drinks: Es gibt ein Phänomen, das das schön erklärt, und das ist der Erfolg des Negroni in den letzten Jahren. Der kam auch durch den Mythos, der jetzt mehr mitschwingt, aber ebenso durch die unheimliche Varianz. Und der Gast nimmt das nicht nur wohlwollend hin, er lässt sich gern auf dieses Spiel ein.

»Wir haben auch viele Gäste, die sagen: »Pacific Times? Da war ich vor 20 Jahren immer.« Das ist ein schönes Kompliment, denen zu zeigen, wir sind immer noch da und besser als in den Anfangszeiten. Nicht auf einer Skala, aber darin, den Gästen was Gutes zu tun. Früher ging es ja darum, möglichst viele Drinks hinauszuballern.«

— Andreas Till

Andreas Till macht einen Campari Seltz
Es gibt wohl kaum jemanden in Deutschland, der sich derart intensiv mit Campari Seltz beschäftigt hat wie Andreas Till

MIXOLOGY: Vielleicht ist das anhand des Gins noch deutlicher, da ging es ja auch erst um immer feinere sensorische Abstufungen. Doch auf lange Sicht werden da wohl die vertrauten Geschmacksprofile siegen.

Andreas Till: Absolut, Gin hat das vielleicht aufgemacht, ja. Und es geht um Sicherheit und Vertrauen. Das haben wir auch im Lockdown gesehen, als sich die Leute Drinks mitnehmen konnten. Die haben einen Gin & Tonic mitgenommen, einen Aperol Spritz, die jeder Depp daheim machen kann. Und in Zeiten, wo wir alle Einschränkungen hatten, musst du dich auch einfach belohnen. Das ist wie ein Butterbrot – ein gutes Butterbrot ist einfach geil! Das ist, was die Leute gelernt haben, und wir sind genau bei dem Punkt: Zehn Gins reichen vollkommen aus, um eine Karte sensorisch abwechslungsreich zu bespielen.

MIXOLOGY: Wie viele Leute schauen denn wirklich auf die 50 Whiskys in einer Karte und die teils absurde Menge an puren Spirituosen in einem Menu?

Andreas Till: Die echten Kenner interessiert eher, was es außerhalb der Karte gibt. Wir haben dafür unser eigenes Cocktailbuch, ein kleines Nachschlagewerk. Für die Gäste, aber auch für uns. Also eher unser Hauslexikon als eine Getränkekarte, mehr als Arbeitstool gedacht. Gäste, die interessiert sind, blättern da auch drin. Der größte Ritterschlag aber, den man in der Gastronomie bekommen kann – wenn die Gäste dir die Freiheit überlassen, was sie essen sollen! Das hat auch mit der Ausbildung zu tun. In Deutschland wirst du im Service immer noch gefragt »… und was machst du im richtigen Leben?« Daher muss man sich den Status auch erarbeiten, dass Gäste wissen, der ist nicht nur heute da, um Geld zu verdienen. Sondern der ist hier, weil ihm das Spaß macht und er sich auskennt. Wenn du diesen Status hast, dann bist du echt Champions League. Und das ist auch das, was mich in den letzten 25 Jahren immer angetrieben hat und auch heute noch aus dem Bett treibt: Ich habe noch viele Punkte auf der Liste, wo ich weiß, die gehen noch besser. Da kannst du professioneller werden oder mehr Tiefgang zeigen. Ich mein’, wir haben 600 Spirituosen. Die Hälfte kannst du im Hinterkopf haben, wenn du gut bist. Das heißt, du musst dich ständig wieder hineinfuchsen, musst Sachen verkosten und hinterfragen. Dein Geschmack verändert sich, der Geschmack der Gäste ändert sich und der Kontext ihrer Verarbeitung. Daher ist es der schönste Beruf, den man haben kann, weil er nie aufhört sich zu verändern und immer wieder auf eine neue Art befriedigend sein kann.

MIXOLOGY: Lass uns über die Gäste reden! 25 Jahre sind ja eine Generation, rücken da schon Pacific-Times-Besucher nach?

Andreas Till: Die frühen Gäste kamen eher nicht aus der Umgebung. Das mit der Neighbourhood hat sich tatsächlich erst durch Corona ergeben. Weil wir im Lockdown auf der Straße standen und Drinks to go verkauft haben und die Nachbarn uns nicht als arrogante Barleute wahrgenommen, sondern in normalen Klamotten gesehen haben. Wir arbeiten ja mit Barjacken, das ist schon so ein bisschen eine Hemmschwelle, um einfach reinzugehen und was zu trinken. Die glaubten vielleicht, da muss ein Drink 20 Euro kosten – was er nicht tut.

Was aber tatsächlich passiert ist mit dem Publikum – da muss ich nochmals in die Zeit im Peña’s zurückgehen –, die waren damals alle im Studium und ließen sich in der Happy Hour zu überschaubaren Preisen verwöhnen. Die kannten aber meinen Anspruch und sind dann zu uns herüber – was dann auch einherging mit den Fortschritten, die sie im Leben gemacht haben. Heute sind sie in beachtlichen Positionen, haben Kinder in die Welt gesetzt und die sogar bei uns in die Kunst des Trinkens eingeführt. Wir haben hier so zwei bis drei Generationen an Gästen. Das beste Beispiel ist vielleicht die Tochter von Jochen Hirschfeld: Die hat letzten Samstag mit ihrem Freund hier ihren ersten Cocktail allein genossen – und Jochen saß zwei Tische weiter. Sie hat hier ja, in der Fensterbank schlafend, Teile ihrer Kindheit verbracht. Das ist schon süß – und ein bisschen stellvertretend für viele Gäste von uns. Wir haben auch viele Gäste, die sagen: »Pacific Times? Da war ich vor 20 Jahren immer.« Das ist ein schönes Kompliment, denen zu zeigen, wir sind immer noch da und besser als in den Anfangszeiten. Nicht auf einer Skala, aber darin, den Gästen was Gutes zu tun. Früher ging es ja darum, möglichst viele Drinks hinauszuballern.

»Mein Großvater hat in der legendären ungarischen Nationalmannschaft mit Ferenc Puskás gespielt, hat aber nie diesen Status erlangt und für Barcelona gespielt oder viel Geld verdient. Am Ende seines Lebens hat er sogar Pullover genäht, um ein Zubrot zu verdienen.«

— Andreas Till

Andreas Till im Interview
Andreas Till verbringt nicht jede frei Sekunde vor dem Smartphone: „Das zieht dich runter, macht alt und müde.“

MIXOLOGY: Da passt die nächste Frage, eigentlich ein Kompliment, gut dazu: Du bist Jahrgang 1972 und das Nachtgeschäft hat anscheinend wenig Spuren bei dir hinterlassen. Gibt es ein Geheimnis dazu?

Andreas Till: Sport habe ich früher viel gemacht, aber mit dem Einstieg ins Berufsleben damit aufgehört. Also das kann’s nicht sein. Wenn ich nachdenke, wie ich mich selbst belohne, dann ist das vermutlich genau der Anspruch, mit dem ich auch Leute glücklich mache. Ich bin gerne auch Gast in Bars, liebe schönes Wetter und genieße das Gefühl, dass man sich auf das Positive konzentriert. Da sind wir in München auch ein bisserl gesegnet durch die Lage, du bist schnell am Meer, egal ob Triest oder an der kroatischen Küste, du kannst in einer Stunde in den Bergen sein, in drei bist du am Gardasee. Da ist auch das Wissen, in so einer Lage zu sein, unheimlich wichtig. Das ist das eine, was mich energetisch auflädt. Das Zweite: wenn wir Gäste glücklich machen. Und da haben wir in den letzten drei Jahren ein Team, wo das alle leben. Unser Tagesablauf beginnt auch so, dass wir uns jeden Tag um 17 Uhr zum Personalessen treffen und für eine Stunde über Kleinigkeiten unterhalten oder Dinge, die man im Stress nicht diskutieren möchte. Ich habe gestern erst mit den Jungs diskutiert, wie energetisch verschwenderisch ich es finde, dass wir jede freie Sekunde mit unseren Smartphones beschäftigt sind. Selbst beim Pinkeln holst du’s raus und schaust. Das macht dich krank! Und das in einer Zeit, wo du – wie gerade – nur mit negativem Input versorgt wirst. Das zieht dich runter, macht alt und müde. Ich habe gelernt, das nicht an mich heranzulassen.
Und noch was: Ab dem Zeitpunkt, wo du Wirkungstrinken betreibst, zerstört dich das. Den Effekt kann man oft beobachten: Man versucht, sich für den Arbeitstag zu belohnen, indem man nach der Arbeit noch auf zwei Drinks geht, anstatt schlafen zu gehen. Wir wissen alle, was in der Nachtwelt los ist – da geht es um Alkohol und um Drogen und das ist auf Dauer nicht gesund. Da hatte ich das Glück, von meiner Mentalität her, nichts zu suchen, was es nicht zu finden gibt. Da bin ich kein Signor Rossi. Mein Glück liegt tatsächlich im Schlaf. Ich schlafe zwar wenig, mal sind es drei, sechs oder acht Stunden, aber da freu’ ich mich und dann geht es mir gut. Und das hält mich tatsächlich jung.

MIXOLOGY: Nach all der Rückschau auf ein Vierteljahrhundert Pacific Times: Wie geht es weiter? Was sind die Pläne für die nächsten Jahre?

Andreas Till: Meine Zukunft sehe ich hier, dass ich meinen Leuten mein Wissen und die Erfahrung, die ich habe, zur Verfügung stellen kann und dass ich ihnen Drinks machen kann. Man soll nicht vergessen: Wir kriegen in der Gastro zwei Boni, die zu den höchsten Gütern gehören, wenn man mal die Gesundheit ausblendet – das ist Zeit und Geld. Diesen Vertrauensvorschuss zu bekommen, das erfüllt mich und das möchte ich nicht die nächsten zehn oder 15 Jahre erleben, sondern das ist Teil meiner Lebensphilosophie. Das habe ich früh bei meinem Großvater mitbekommen, der in der legendären ungarischen Nationalmannschaft mit Ferenc Puskás gespielt hat, der aber nie diesen Status erlangt hat und für Barcelona gespielt oder viel Geld verdient hat. Am Ende seines Lebens hat er sogar Pullover genäht, um ein Zubrot zu verdienen. Wenn wir als Kinder bei meinem Großvater gewohnt haben in den Ferien, dann kamen Puskás und Co. zum Kartenspielen. Manchmal haben sie uns mitgenommen ins Café als Vorwand. »Eis für die Kinder«, hieß es, aber die Herren haben sich Unicum gegönnt. Mein Großvater hat immer gezahlt: »Das sind meine Gäste – auch wenn die zehn- oder hundertmal mehr haben als ich. Solange sie in meinem Haus sind, mache ich alles, damit sie sich wohlfühlen.« Das hat mich beeindruckt und geprägt, dass es mein Leitsatz für den Job geworden ist. Wir machen das auf eine professionelle Weise, verlangen Geld dafür. Das heißt aber auch: Da muss ich mehr bieten als daheim!

MIXOLOGY: Lieber Andreas, danke für das Interview.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Print-Ausgabe 2-2022 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Für diese Wiederveröffentlichung wurde der Artikel formal angepasst, blieb aber inhaltlich unverändert. Informationen zu einer Einzelheft-Bestellung findet sich hier, Information zu einem Abonnement hier

Credits

Foto: Christoph Grothgar

Kommentieren