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Erweckungserlebnisse für Baden-Baden: Arman Gülenay und sein Armando's

Erweckungserlebnisse für Baden-Baden: Arman Gülenay und sein Armando’s

Am Ende der Kreuzpassage in Baden-Baden beginnt der Anfang der lokalen Cocktailkultur: Arman Gülenay, genannt Armando, hat dort seine Bar Armando’s eröffnet. Auch ein ehemaliger US-Präsident hat ein wenig damit zu tun, wie wir bei unserem Besuch erfahren haben.

Man geht eigentlich nicht durch Baden-Baden; vielmehr wandelt man. Flaniert. Das Städtchen wirkt, als wäre es seinerzeit bereits von den Römern als verkehrsberuhigt konzipiert worden. Eingebettet in eine reizvolle Hügellandschaft, gleichsam eine natürliche Barriere gegen alles Böse außerhalb, und mit einem kleinen Flüsschen, dessen Zweck hauptsächlich darin zu bestehen scheint, den Anlass für viele hübsche kleine Brückchen zu bieten, damit das Wandeln abwechslungsreich bleibt.

Eine beschaulich-bourgeoise Atmosphäre kennzeichnet Baden-Baden; wenn es Armut gibt, dann versteckt sie sich gut, und ansonsten könnte die Stadt jederzeit als Kulisse für eine historistische Vorabendserie im Öffentlich-Rechtlichen dienen. Alles recht herrschaftlich hier, aber auch ein wenig verschlafen. Man kann, wer hätte das gedacht, Baden in Baden-Baden; für seine Heilquellen ist die Stadt seit den Römern bekannt. Die ganze Stadt scheint auch recht intensiv auf die Zielgruppe Kurgast ausgerichtet zu sein; ein Gangster-Rapper aus Baden-Baden hätte ein kleines Problem mit seiner Street Credibility.

Arman Gülenay, genannt Armando, bietet seiner Heimatstadt zeitgenössische Cocktailkultur
Arman Gülenay, genannt Armando, bietet seiner Heimatstadt zeitgenössische Cocktailkultur

Armando's

Kreuzstraße 3
76530 Baden-Baden

Armando’s: Das Wagnis

Es gehört Mut dazu, eine Bar mit Anspruch in einer Stadt zu eröffnen, deren Lust am gustatorischen Abenteuer sich an der Caféhaus-Bestellung am Nebentisch ablesen lässt: einmal den Erdbeerbecher bitte, und ein Bananensplit. Natürlich ist das eine ungerechte Verallgemeinerung, klassische journalistische Überheblichkeit, die meint, aus jeder Momentaufnahme das Gesamtbild ableiten zu können; kurz drauf geschaut, kenn ich mich schon aus. Andererseits ist es nachts so ruhig, dass man sich fragt, ob die Einwohner schon vom Ende der Pandemie-Ausgangssperren gehört haben. Wenn die Redaktion des „Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ einen ihrer Planetentester ausgerechnet nach Baden-Baden schicken sollten, dann läuft die Erde Gefahr, wieder von „mostly harmless“ auf „harmless“ heruntergestuft zu werden.

Und eben deshalb ist es ein Wagnis, in ein Umfeld, das sich seit langer, langer Zeit selbst zu genügen scheint, ein modernes Barkonzept hineinzusetzen. Der Badener Arman Krayt Gülenay ist dieses Wagnis eingegangen, und seit etwa einem halben Jahr ist das Armando’s in der Kreuzpassage am Start – Armando’s nach dem Spitznamen des Betreibers. (Und in der ehemaligen Location der No Name Bar.)

Wenn ein Arman zu einem Armando verballhornt wird, dann klingt das ein wenig nach dumpfdeutscher Kleingartenkosmopolitik, Bibione-Level eins b. Allerdings hat Arman seinen Spitznamen tatsächlich von einem US-Präsidenten verliehen bekommen, und auch noch von einem der besseren der jüngeren Vergangenheit (auch wenn das nicht sooo viel heißen mag). Bill Clinton höchstpersönlich genoss bei einer exklusiven Party wiederholt die Getränkekünste Armans, was aber wohl seiner Fähigkeit nicht zuträglich war, sich den fremden Vornamen zu merken. Kurzerhand machte er aus dem Arman einen Armando, der Name blieb haften und ziert nun eben auch die erste eigene Bar Gülenays, nach Stationen unter anderem im Roomers, Rizzi und Medici.

Das Armando's hat sich rasch einen Ruf bei Kollegen aus der Gastronomie gesichert
Das Armando's hat sich rasch einen Ruf bei Kollegen aus der Gastronomie gesichert

Im Armando’s beginnen Erweckungserlebnisse

Wie gesagt, ein Wagnis, andererseits: allerhöchste Zeit! Respekt, Armando! Vielleicht wusste Baden-Baden vorher nicht, wie sehr sie dich brauchen, aber sie lernen es jeden Tag ein bisschen mehr. Arman Gülenay beweist didaktisch ein ebenso feines Händchen wie am Shaker.

Die Karte im Armando’s weist ihren Gästen behutsam den Weg heraus aus dem Altgewohnten hinein in ein neues geschmackliches Urlaubsland, ohne sie zu verprellen. Auch an der Bar funktioniert Erziehung nur ohne erhobenen Zeigefinger. Im Badischen ist nach wie vor der Wein auf der Karte wichtig, und die Cocktails bauen erst einmal darauf auf, die Klassiker – Negroni, Boulevardier, Whiskey Sour, Daiquiri etc. – in einer soliden Qualität zu bereiten, mit hochwertigen Spirituosen und frischen Säften. Was in manchen Metropolen gerne vergessen wird: an nach wie vor viel zu vielen Orten der Republik wird der Name ehrenwerter Mischgetränke nach wie vor von irgendwelcher Happy-Hour-Plörre und Discogülle besudelt und beeinträchtigt das Erwartungsspektrum des Durchschnittsgastes nachhaltig. Also gilt es, das scheinbar bekannte neu zu machen – aber eben in gut. So beginnen Erweckungserlebnisse.

Im Armando's gibt es viel klassische Drinks und zeitgenössische Milk Punches
Im Armando's gibt es viel klassische Drinks und zeitgenössische Milk Punches

Der Hausherr ist ein bekennender Milkpuncher

Armandos Eigenkreationen setzen dem Fundament der alten Cocktailschule ein paar gemütliche neue Appartements auf. Wohltuend, dass Arman Gülenay nicht auch gleich von seinem „Lab“ schwadroniert, in dem er seine Werke zusammenkomponiert, und dem würde seine Kundschaft vermutlich auch mit einem Kopfschütteln begegnen. Es gibt viele Plätze, an denen ein Rotationsverdampfer überflüssig ist, aber in Baden-Baden ist er es ganz besonders. Armando ist stattdessen ein bekennender Milkpuncher und setzt voll auf das daraus resultierende Tandem aus Klärung und Mundgefühl: sein Crystal Mojito versprüht brasilianische Leichtigkeit, die Pina Colada Soda schickt den Sahne-Opa aufs Laufband, und der Hollowman gibt der Idee des Gin Fizz die lange verloren geglaubte Moderne zurück. Man kann es gut aushalten im Armando’s, gar keine Frage. Emoji-Herzchen in den Augen blitzen auf, wenn man auf der Karte unter den Snacks den „Käse des Tages“ erblickt. Liebe.

Die ersten, die sich mit Freuden auf das neue Angebot stürzten, waren, oh Wunder, die Kollegen aus der Gastronomie, denen genau dieses Stück an Heimat außerhalb der eigenen Bude gefehlt hatte. So genießt Gülenay das besondere Privileg, dass sein Dienstag immer mal wieder den Umsatz eines Samstags schlägt, weil da eben die vereinte Zunftgemeinde einen frühen Feierabend in den eigenen Lokalen gerne bei ihm ausklingen lässt. Es sollte ja ohnehin Gesetz sein, dass es Gaststätten für Menschen aus Gaststätten zu geben hat, und darüberhinaus bleibt es auch ein ewig gültiger Life Hack für alle „normalen“ Gäste: Wer gut essen will, achtet darauf, wohin die Wölfe laufen – nicht die Schafe.

So werden die Nächte lang und länger, und die 25 Plätze drinnen plus 20 draußen sind immer schnell gefüllt. Die Badener kosten die neuen, unbekannten Früchte, und siehe da, sie schmecken ihnen. Das Armando’s scheint auf einem sehr guten Weg zu sein, und es ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass jemand wie Arman Gülenay, ein Familienmensch, der sehr an seiner Heimat hängt, nicht seiner Passion zuliebe in eine Metropole ziehen muss. Die Möglichkeit, mit Kreativität und Leidenschaft der eigenen Heimatstadt seinen Stempel aufzudrücken, ist doch eigentlich in vielerlei Hinsicht der größere Preis.

Am Armando’s führt kein Weg vorbei

Vielleicht tut dieses Baden-Baden ja auch nur so harmlos. Man darf nicht vergessen, dass einiges an der hiesigen Fassadenpracht auf dem Ruin verzweifelter Spielbankbesucher beruht. Wer weiß, vielleicht wurde diese hübsche Parkbank da hinten einst unwillentlich von Fjodor Dostojewski finanziert, der sich in Baden-Baden so gründlich ruinierte, dass er über Selbstmord nachdachte? Seine Frau, deren Ehering er schließlich auch noch versetzt hatte, möglicherweise über Mord. Vielleicht ließ sich schon damals Dostojewski von der ostentativen Harmlosigkeit dieser Stadt über ihre versteckten Abgründe hinwegtäuschen. Kann es ein, dass diese Baden-Baden eigentlich ein ganz raffiniertes Stück ist? Und der Armando gleich mit? Mit seinem Lächeln, als könne er kein Wässerlein trüben?

Was dem geübten Auge beinahe entgeht: Das Armando’s liegt in der Kreuzpassage, und das ist, möchte man entrüstet ausrufen, eine Unwahrheit, eventuell gar eine Lüge! Wieso Passage? Keine Spur von Passage, nach ein paar Metern hört der Weg einfach auf! Man hat gewissermaßen am Ende der sogenannten Passage nur die Möglichkeit, in ein Nagelstudio zu gehen – oder eben ins Armando’s. Eine gezielte Irreführung!

Gut, man könnte auch einfach umdrehen, aber dann hätte man ja den ganzen Weg umsonst gemacht. Und wenn man sich dann auch nicht grade die Nägel machen möchte, dann setzt man sich eben ins Armando’s. Bleibt einem ja fast nichts anderes übrig.

Der raffinierte Kerl.

Credits

Foto: Maria Kovaleva (@lovelyus.studio Baden-Baden)

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