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Warum man Arrack zum Freund haben sollte

Ein echter Rowdy, laut, unangepasst und rücksichtslos: Warum man Arrack zum Freund haben sollte

Ganz am Anfang des gemischten Drinks im modernen Sinne steht der Arrack. Er spielt heute kaum noch eine Rolle an der Bar – auch, weil er im zeitgenössischen Cocktail nicht wie eine typische »Ba-sis« funktioniert. Arrack ist anders. Aber viel wichtiger, als man meinen mag.

Keine Angst vor Arrack! Auch wenn es auf den ersten Blick so wirken mag, als solle man sich besser von ihm fernhalten. Alles mal wieder ziemlich un-übersichtlich, beim ersten Purgenuss vielleicht sogar fast ungenießbar und 2019 auch irgendwie nicht mehr richtig wichtig. Wirklich? Keinesfalls!

Zwei Formen von Arrack

Der indische Begriff Arrack ist tatsächlich alles andere als präzise. Er bedeutet lediglich so viel wie »Branntwein« und ist somit ziemlich unspezifisch. Zwei große Arrack-Stile lassen sich dennoch grob voneinander unterscheiden: Da wäre erstens der aus Sri Lanka stammende »Ceylon Arrack«, der als Ursprungsstil des Arracks und somit als eine der ältesten Spirituosen der Welt gelten kann und der heute fast immer in Column Stills aus Kokos-Palmwein destilliert wird. Zweitens: Der in Pot Stills destillierte javanische »Batavia Arrack« (um den es hier geht), bei dem Zuckerrohrmelasse und roter Reis die Basis bilden.

Klar: Diese Einteilung ist sehr holzschnittartig. Denn im westlichen Indonesien wird ebenfalls Arrack aus Zuckerpalmsaft hergestellt, und auch die Philippinen, Goa und Südindien stellen ein so benanntes Destillat aus Kokos- oder Dattelpalmen her. Da wir uns aber auf Batavia Arrack konzentrieren wollen, sei dies nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Ebenso wenig geht es um den vor allem im arabischen Raum geschätzten Arak, dessen markantestes Aroma Anis ist und der am ehesten dem Rakı oder Ouzo verwandt ist.

Von Schulbänken und Pausenhöfen

Wäre die Kategorie der Zuckerrohrdestillate eine Schulklasse, würde es sich sicher um eine handeln, die man bereits von Weitem auf dem Schulflur hören kann. Freilich: Auch in diesem Klassenverbund gibt es Angepasste, Streber, Everybody’s Darlings und ein paar Turnbeutelvergesser.

Im Gegensatz zu anderen Spirituosenkategorien allerdings auch überproportional viele vom Schlage derer, die in der letzten Reihe des Klassenzimmers sitzen und nichts Besseres zu tun haben als den Unterricht zu stören. Batavia Arrack wäre dann jener Schüler, der gar nicht erst zum Unterricht erscheint, weil er auf der Toilette raucht oder gerade Graffiti an der Turnhalle malt. Ein echter Rowdy, laut, unangepasst, rücksichtslos. Wütend, weil miss- oder unverstanden, vergessen und zu häufig übergangen. Der unangefochtene Chef der Mofa-Gang – kein Wunder, dass man mit dem javanischen Destillat so viel Spaß haben kann!

Erste Stunde: Geschichte

»Batavia« ist der lateinische Name der Niederlande und so hieß deshalb auch vom 17. bis zum 19. Jahrhundert die indonesische Hauptstadt Jakarta, die von 1619 bis 1799 das Hauptquartier der »Niederländischen Ostindien-Kompanie« in Asien darstellte und bis zur Unabhängigkeit Indonesiens die Hauptstadt Niederländisch-Indiens war. Ein Blick auf die niederländische Kolonialgeschichte erklärt, warum Arrack einst auch in Europa eine so große Rolle spielte. Die Niederländische Ostindien-Kompanie transportierte seit dem frühen 17. Jahrhundert Waren aus Asien auf dem Seeweg nach Europa. Das heutige Jakarta stellte für diesen Zweck das asiatische Handelszentrum der Firma dar. Während einige Güter wie Zuckerrohr und Kaffee direkt auf Java angepflanzt wurden, kamen andere Güter beispielsweise aus China auf die Insel und wurden von dort aus nach Amsterdam verschifft. So kamen Pfeffer, Zimt und andere Gewürze, Tee und Kaffee, Textilien, aber eben auch Arrack auf dem Seeweg nach Europa.

Nicht nur auf den Schiffen, die gen Westen segelten, auch auf den indonesischen Inseln herrschte zu dieser Zeit vermutlich nicht selten Knappheit, was aus Europa nach Java importierte Waren anbetraf. Neben Grundnahrungsmitteln wie Butter oder Öl wurden dort sicher auch Genussmittel wie Weine oder Genever des Öfteren schmerzlich vermisst. Vermutlich entstand dadurch die Idee, mit dem auf Java hergestellten, pur eigentlich kaum genießbaren Arrack eine Art Wein herzustellen.

Der Arrack diente dabei als Konzentrat, das mittels Wasser oder Tee, der auf Java im Überfluss vorhanden war, wieder auf Weinstärke gebracht wurde. Durch die Zugabe von Zucker und Zitrusfrüchten fügte man dieser Wein-Attrappe Süße und Säure hinzu, die Zugabe von Likören oder fortifizierten Weinen ließ ihm Fruchtigkeit oder sogar das schmerzlich vermisste Weinartige angedeihen. Nur noch im Hintergrund, wahrnehmbar, aber subtil geisterte so der Arrack umher, sorgte für das alkoholische Kitzeln, war durch Verdünnung jedoch milder, gedämpft, gezähmt.

Nach der großen Pause: Musik

Ein Begriff, den man im Zusammenhang mit Batavia Arrack, aber auch mit jamaikanischen Rums häufiger hört, ist Funk. Und zwar völlig zu Recht! Diese aus der Musik entlehnte und auf Arrack problemlos übertragbare Vokabel geht auf den afroamerikanischen Slang der 1950er-Jahre zurück, in dem »funky« ein Synonym für »erdig«, »schmutzig«, aber auch »intensiv« oder »erregt« war.

Die anfängliche Bedeutung des Wortes – ebenfalls zu Batavia Arrack passend – war Rauch (vom lateinischen fumigare = räuchern), konnte aber auch einen schlechten oder zumindest strengen Geruch meinen. David Wondrich spricht vermutlich daher bezüglich Arrack auch von Hogo, einer amerikanischen Verballhornung des französischen Begriffs haut goût, der in der Küchensprache den süßlichen, strengen und intensiven Geruch und Geschmack von überlang oder zu warm abgehangenem Wild bezeichnet, der von manchem Gourmet als Würze sehr geschätzt wird, solange er nicht übermäßig präsent ist.

Arrack ist somit eher als Gewürz oder Konzentrat zu verstehen, nicht als Basisspirituose im herkömmlichen Sinne. Ein Arrack Sour à la David Embury wird kaum Begeisterungsstürme auslösen. Sein vielschichtiges und zugleich ausdrucksstarkes Geschmacksprofil, seine Fruchtigkeit, aber auch seine Rau-chigkeit wollen verstanden sein, bevor er zum Einsatz kommt.

Ruby Punch

Zutaten

1 Teil Cold-Brew-Tee-Konzentrat
5 Teile stilles Wasser
2 Teile Lemon Sherbet
2 Teile Batavia Arrack
2 Teile Ruby Port
Muskatnuss

Vom Arrack zum Punch

Wenn wir uns über Batavia Arrack unterhalten, werden wir zwangsläufig schnell auch auf Punches zu sprechen kommen. Eigentlich sogar schon geschehen: Denn das Herabsetzen auf Weinstärke ist nichts anderes als das Zubereiten eines Punches. Der Arrack machte den Punch populär. Vermutlich als erstes auf hoher See, bei Seeleuten der Royal Navy und Piraten, später auch in den Salons der Denker und Lenker der damaligen imperialen Staaten, in Charles Dickensʼ Speisezimmer und auch an den Tafeln der Gründerväter der Vereinigten Staaten – lange bevor in der neuen Welt (vom Punch ausgehend) die Idee entstand, ein gemischtes Getränk in Individualportionen zu servieren. Vor dem Cocktail (als generischer Begriff), der im 19. Jahrhundert das Ruder übernahm, steht der Punch, als Vorgänger und Wegbereiter. Mit Arrack.

Mathe: das kleine Punch-Einmaleins

Ein Punch, wie er im 17. und 18. Jahrhundert zubereitet wurde, war mitnichten das, was wir uns vielleicht 1985 irrigerweise darunter vorgestellt haben mögen. Kein klebrigsüßer, mit Säften überladener Fancy-Drink in einem lächerlich großen Glas mit überbordender Garnitur – und allen Schildkröten, Walen, Fischen und was da sonst noch in den sieben Weltmeeren kreucht, fleucht und schwimmt zum Trotz mit mindestens zwei Trinkhalmen, Kunststoff-giraffenstirrer und einem Fruchtspieß oder Bananendelfin verziert. Er besteht aus dem, was vor 250 Jahren als exotisch galt, weil es von für damalige Maßstäbe unvorstellbar weit weg herkam: aus Zitrusfrüchten, Gewürzen, Zucker und Tee. Und häufig eben auch: Arrack.

Ein Punch ist ein High-End-Getränk – oder kann es zumindest sein, misst man ihm die gleiche Ernsthaftigkeit und Aufmerksamkeit bei der Auswahl der Zutaten, bei der Zubereitung und beim Servieren bei. Und ganz wichtig: Es handelt sich um einen communal drink – Punch trinkt man nicht allein und er verändert sich aufgrund der fortschreitenden Verwässerung von Tässchen zu Tässchen, das man der Punchbowl entnimmt. Deshalb kann man auch viel von ihm trinken. Ein Punch ist leicht, hat nicht zu viel Alkohol und eignet sich deshalb perfekt als session drink.

Hausaufgabe also: Hört James Brown, so laut es geht, und bereitet euren Gästen einen Ruby Punch zu. Lasst die Mofas aufheulen! Der Schulhof gehört uns!

Anmerkung: Dieser Text erschien ursprünglich in der Ausgabe 3/19 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur

Credits

Foto: ©Caroline Adam

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