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Pärchen-Bildung aus Prinzip: Das Art in Wien

Trägt Food- und Cocktail-Pairing ein ganzes Restaurantkonzept? Österreichs „World Class“-Teilnehmer 2015 Philipp Ernst wagt im Wiener Art das Experiment. In der konservativen österreichischen Hauptstadt ist das eine ziemliche Ansage. Und zwar eine mutige.

„Die Schweizer Garde haben wir noch mit den Stubenküken ausgetauscht“. Sätze wie dieser kommen Philipp M. Ernst mittlerweile locker über die Lippen. Bis zuletzt hat der Bartender an der Abstimmung von Speisen und Drinks gearbeitet. Denn nach dem „soft opening“ wird es nun ernst im Ersten Bezirk. Um nicht ganz rätselhaft zu klingen: Zum Stubenküken gab es im Art bisher einen Cocktail namens „Monika L“. Das mit viel Glas und etwas Metall ausgestattete Lokal in der Falkestraße führt nämlich zwei Karten parallel – eine für das Restaurant, in dem Cocktails zu fast jedem Gericht empfohlen werden. Die andere, das eigentliche Cocktail-Menü, regt an, zu den Drinks doch die Kreationen von Sebastian Müller zu probieren.

An sich wäre bei den Gerichten des ehemaligen Sous-Chefs aus dem Palais Coburg teilen angesagt, denn eine fixe Menüfolge gibt es nicht. Dafür serviert er lustige Täuschungen wie ein „Charolais Beef“, das aus Lebercreme und schwarzem Knoblauch besteht. Mit einem „From Smoke to Smother“, dem auf Jinzu und Lagavulin aufgebauten Cocktail, kommt diese Kombination auf 30,50 Euro. Der Drink alleine schlägt mit 12,50 Euro zu Buche. Wenn man nicht zu der Auswahl handverlesener Weine von eher unbekannten Winzern greift. Was wir natürlich nicht tun, denn schließlich ist mittlerweile einer der besten Bartender des Landes in der Hauptstadt sesshaft geworden.

Wiener Pairings statt Istanbul Nights

Für Philipp M. Ernst ist sein Wiener Engagement ein doppeltes Experiment. Bis zum Sommer 2015 hielt der gebürtige Steirer mit der Bar 67 des Hotels Post in Ischgl die Fahnen der Cocktail-Kultur in Tirol hoch. Als „World Class“-Finalist für Südafrika sah er sich dann plötzlich am Scheideweg. Einerseits lockten die neuen Freunde aus Istanbul, die einem Consulter und Trainer wie ihm schon den roten Teppich an den Bosporus ausrollten. Doch mitten in die Reisevorbereitungen hinein kam das Angebot, mit dem Art eine völlig neue Form der Cocktail-Präsentation umzusetzen.

Mit ihm am Shaker steht mit Isabella Lombardo eine Bar-Kollegin, die u. a. im Fabios bereits in Wien tätig war. Auch Ernst ist nach Wien übersiedelt, seine Consulting-Projekte und Aufträge mit dem Barracuda Barcatering sollen aber ebenfalls weiterlaufen. Allerdings wird die erste Zeit des neuen Art viel Zeit beanspruchen. Denn alle Änderungen werden gemeinsam mit der Küche entwickelt, „einige der Kombinationen mit Sebastians Küche haben mich echt überrascht“.

Der Gast kann aber auch „nur“ das Barangebot nutzen, für Casual Dining wartet ohnehin nebenan die Pizzeria Kitch. Saisonale Einflüsse werden sich vor allem am Tresen von Isabella und Philipp abspielen, „mit den Bärlauchblüten etwa haben wir eine Essenz gemacht“. Die Restaurant-Karte, für die eng mit Sebastian Müller, dem kongenialen Koch, gearbeitet wird, soll nach der Sommerpause neu für den Herbst gestaltet werden. „Aber bei den normalen Sirups, Essenzen und Shrubs arbeiten wir immer saisonal“, so Ernst.

Die Cocktail-Köche auf Reisen

Der Ort der durchgezogenen „Paarungsgastronomie“ war übrigens schon einmal eine alkoholschwangere Location, der Club Maria’s Roses hatte hier seine Heimstatt. Auch der im Keller gelegene Club wird im Rahmen des Art-Konzepts bespielt. Am Wochenende gibt es neben dem Resident-DJ auch den „Serenade Punch“, die stilvolle Variante zur Flasche-Vodka-mit-Irgendwas. In der Kristall-Bowle serviert, kommt um 125 Euro ein mit Grapefruit, Limette und Grüntee säuerlich abgeschmeckter Gin-Cooler zum Partyvolk. „Das wollen wir auch noch ausbauen“, setzt Ernst auch bei den Bars im Souterrain auf Qualität. Die Glasware, nach Möglichkeit mit vielen Vintage-Stücken bestückt, ist ein besonderes Markenzeichen des Pairing-Dorados in der Falkestraße.

Dass ein Konzept wie dieses keinen Selbstläufer darstellt, dürfte den fünf Eigentümern, die Ernst engagiert haben, klar sein. „Das erfordert viel Kommunikation“, wieselt der Bartender daher auch oft zwischen den Tischen herum, um die eine oder andere Zutat zu erklären. Selbst wenn das Lokal nicht von Anfang an gestürmt werde, „bin ich dennoch vom Konzept total überzeugt“. Denn der Cocktail, so Philipp Ernst, „wird noch tiefer in die Küche reingehen“. Statt großer technischer Exkurse zum „Cuisine Style“ nennt der Neo-Wiener ein praktisches Beispiel für seine These: „Wenn ich heute auf einen Wettbewerb fahre, habe ich Stabmixer, Pfanne und ISI-Karbonisierer im Gepäck“.

Muscheln-Würzen mit dem Cocktail

Beim „Munich Girls“, einem Vodka-Drink mit Campari, Erdbeere und Chiliessenz, wird die Reiseroute des Bar-Duos Lombardo/Ernst schon recht deutlich. Der Cocktail kommt mit Jakobsmuschel, Spargel und Passionsfrucht an den Tisch, die Würze im zarten Gericht besorgt hier eindeutig das Getränk (12,50 Euro). Noch besser lässt sich das nur zu Beginn kopflastige Art-Konzept bei „The Devil in the shape of a Woman“ an. Hier wird mit der Rauchnote von Don Julio Reposado, Tomate und Chili dem süßen Erbsenpüree Paroli geboten, auf dem eine Garnele mit Lammprosciutto ruht. Dass man auf kombinierte Preisangaben verzichtet hat, nervt allerdings ein wenig. So wird aus dem Sharing-Gedanken der Karte eher ein kalkulatorischer Lego-Baukasten.

Die Wiener Barcommunity jedenfalls hat den Laden schon während des Soft Openings entdeckt – nach der „Bentianna“-Competition im Salon Plafond holten sich die Kollegen aus Fabios, The Sign Lounge und Bei mir ihre Shot-Drinks dann auf der anderen Seite der Ringstraße ab. Denn bei aller Konzeptfreude: Das Art ist manchmal auch einfach nur Bar.

Credits

Foto: Foto via Studiomato.

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