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ARTESIAN BAR – ABFAHRT VON DER SIEGERSTRASSE?

Nach dem Abgang von Alex Kratena und Simone Caporale hat auch ihr Nachfolger bereits das Handtuch geschmissen. Wo früher Charme war, herrscht heute Unverbindlichkeit. So lebt das seit 2012 als beste Bar der Welt ausgezeichnete Artesian im Londoner The Langham Hotel eher vom Vermächtnis des kreativen Duos als von erneuter Innovation. Da darf die Frage erlaubt sein: Quo vadis, Artesian Bar?

Bei einem Besuch der zu den weltbesten Bars gehörenden Artesian Bar im Londoner Stadtteil West End sind Freude, Neugier und Erwartungshaltung der Gäste bestimmt durchwegs verschieden gelagert – wahrscheinlich aber sind sie allesamt ziemlich hoch. Schließlich besucht man nicht alle Tage die Bar der Extraklasse, in der man zu abendlichen Spitzenzeiten oder an den Wochenenden eine gute Weile in der Warteschlange einplanen muss, um einen raren Tischplatz zu ergattern.

Eine Bar, die seit 2012 nicht nur den Titel „The World’s Best Bar“ des Drinks International Magazine trägt, sondern im Laufe der Jahre viele weitere Auszeichnungen eingeheimst hat. Beim renommierten „Tales of the Cocktail“ in New Orleans gewann sie die Titel „World’s Best Bar“ und „World’s Best Bar Team“ (2014), „World’s Best Hotel Bar“ (2012 und 2014) und „World’s Best Cocktail Menu“ (2011). Im vergangenen Jahr erhielt das Artesian im Fünfsternhotel an 1C Portland Place, Regent Street, sowohl bei den „Bartender Choice Awards“ in Schweden und bei den Spirited Awards die Auszeichnung „Best International Bar“.

P wie P(our)

Ehr- und erfolgsversprechend für die Evolution des sowohl von der internationalen Fachwelt geachteten und von Gästen gestürmten Trinktempels waren die Head Bartender Alex Kratena und sein Stellvertreter Simone Caporale. Die beiden Aushängeschilder haben für die Außenwelt völlig unvermutet im Oktober des Vorjahres nach der vierten Krönung zur weltbesten Bar ihre Kündigung eingereicht. Und so trennten sich die Wege der Artesian Bar und des fulminanten Bartender-Ensembles Kratena und Caporale, das die Bar gemeinsame fünf Jahre lang auf der Siegerstraße leitete.

Die beiden Frontmänner der dank ihnen mit Preisen überschütteten Bar machen weiterhin gemeinsame Sache: „P(OUR)“ heißt ihr im Frühjahr diesen Jahres ins Leben gerufene Symposium, eine Arbeits- und Netzwerk-Plattform für alle Akteure der Getränkeindustrie, das erstmals im Juni in Zusammenarbeit mit Cocktails Spirits in Paris stattfinden wird. „Gastfreundschaft ist eine Frage des Teamworks“, werden die beiden Barpersönlichkeiten auf der „The World’s 50 Best Bars“-Homepage in „The A Team“ zitiert. Eine professionelle, im besten Falle freundschaftliche Teamarbeit mit gegenseitigem Respekt und einer gehörigen Portion Spaß an und bei der Arbeit wirke sich auf die Ausübung des Gastgeber-Daseins und zuletzt auf den Gast aus. Und das macht das Wesen eines guten Gastgebers aus.

Die neue Charmedefensive

Diesen vielzitierten „staff’s charm“, ein unvergleichlicher und eine in Bar-Rankings mitentscheidende Bewertungsgrundlage, versprühte das „former“ eingespielte Bartender-Duett auf leichte, authentische Art und Weise. Aus innerster Überzeugung Gastgeber zu sein und nicht nur für die Arbeit in die Rolle eines solchen zu schlüpfen, sowie gleichsam viel Herzblut in die Entwicklung eines innovativen Barkonzepts zu stecken, damit ebneten die Bar-Koryphäen den Siegeszug der Artesian Bar und stellten diese auf die Überholspur.

Genau dieser Charme jedoch scheint der Artesian Bar verloren gegangen zu sein. Im Vordergrund steht jetzt die Servicequalität, und auch wenn diese den Anforderungen einer Fünfsternhotel-Bar entspricht und die Karte entsprechend umgesetzt wird, hat man das Gefühl, mehr in rege Betriebsamkeit und eine unverbindliche Atmosphäre geraten zu sein. Die Latte für die Nachfolger der beiden Bar-Präsenzen liegt hoch. 2012 wurde Alex Kratena als „Best International Bartender“ gewürdigt, im Folgejahr ernannte ihn „Tales of the Cocktails“ zur „Bar Personality of the Year 2013“.

Ziemlich problematisch war es, als die Bar im Oktober 2015 gar kein Team mehr hatte, denn die Mitarbeiter des Dream-Teams haben ihrem Arbeitsplatz zu gleicher Zeit den Rücken gekehrt. Phillip ‚Pip’ Hanson aus Minneapolis hatte es als nachfolgender Head Bartender im Artesian nicht leicht, einerseits das dicke Erbe der Bar-Größen anzutreten, andererseits mit einem komplett neuen Team durchzustarten und dabei auf der Überholspur zu bleiben. Mitte März dieses Jahres hat er nach nur knapp vier Monaten das Bartuch geworfen. Aus „professionellen Differenzen“, hieß es.

Quo vadis, Artesian Bar?

Hanson hatte keine Zeit, Spuren im artesischen Tempel zu legen. Wohl aber Kratena und Caporale. Immer noch sind es ihre Cocktail-Botschaften, die sich in auf Holz eingravierten Goldlettern der Hauskarte auf phantasievolle Weise widerspiegeln. Das Qualitätswerk des Ensembles Kratena und Caporale ist nach wie vor mit der Welt des Artesian verbunden. Ein exzellentes Vermächtnis aus der Hand zweier Profis mit Leib und Seele. Doch wie lange wird es reichen, sich bloß auf diesen konzeptionellen Lorbeeren auszuruhen?

Am 6. Oktober 2016 werden die Karten neu gemischt, wenn die besten 50 Bars der Welt wieder gewählt werden. Die Gastgeber Kratena und Caporale und ihr Team haben tiefe und vor allem inhaltliche Spuren hinterlassen, ihr Ausscheiden ist das Endeeiner speziellen Atmosphäre. Eine solche zu „erarbeiten“ wird schwierig. Aber ist es zu viel verlangt, ein Glas Wasser zu hochprozentigen Drinks sowie reichlich nachgefüllten Chips- und Nussschälchen zu verlangen? Es sollte eigentlich selbstverständlich sein. Immerhin trägt die Bar den Namen der unter den Hotel-Fundamenten befindlichen artesischen Wasserquelle. Wasser gäbe es also genug.

Credits

Foto: Foto via Artesian.

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