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„Aufstehen, nach Selenskyi schauen, Kaffee kochen.“ (Bar-)Journalismus im Zeichen des Krieges

Die russische Invasion in der Ukraine hat alles verändert. Es ist nach Corona ein noch hässlicheres Thema, über das man als Barmagazin weder schreiben noch nicht schreiben kann. Vor allem dominiert es unser aller Denken und Handeln. Martin Stein sucht nach Worten für einen neuen Alltag, in dem wenig ist wie zuvor.

Auf den Toiletten der Connaught Bar hat man mittlerweile den Herren, der einem beim Händewaschen den Hahn auf- und wieder zudreht, durch einen schlichten Sensor ersetzt. Auch wenn damit wieder eine ehrenwerte Profession durch eine Maschine ersetzt wurde, macht es das Erlebnis des Wasserlassens doch um einiges weniger verstörend.

Wenn es dann vielleicht noch passiert, dass man von Ago Perrone die Geschichte erzählt bekommt, wie Innenarchitekt David Collins bei einem Besuch mit seiner guten Freundin Madonna dann doch zu der Überzeugung gelangte, dass der Teppichboden raus müsse aus der Bar, dann – spätestens dann – wird einem wieder bewusst, dass man sich in einer ziemlichen Parallelwelt befindet.

Krieg ist ein Deutlichmacher

Dieses Gefühl hat unsereins immer mal wieder, gerade wenn er in Kontakt mit einer durch die eigene Herkunft nicht vorgesehenen Form von Luxus gerät; für dieses Gefühl braucht man nicht einmal einen Krieg in der Nachbarschaft.

Mit Krieg wird das Gefühl allerdings deutlicher. So ein Krieg ist ein großer Deutlichmacher. Als Getränkejournalist treibt man sich ja gerne an Örtlichkeiten herum, die viel schöner sind als eine durchschnittliche Alltagsörtlichkeit, und gerade in den letzten Jahren war die Versuchung größer als sowieso schon, den durchschnittlichen Alltag ganz gepflegt hinter sich zu lassen. Spätestens durch Corona wurde der durchschnittliche Alltag dann zu etwas, das man eigentlich kaum mehr ansehen wollte – der Alltag jetzt, seitdem die Panzer rollen, lässt sich nur leider nicht mehr hinter sich lassen.

Schon während der Pandemie war es eine ständige Frage, worüber man denn überhaupt noch berichten solle in einem Barmagazin, wenn nicht über The Little C: So ziemlich jeder einzelne Leser war und ist massiv von der Pandemie betroffen, und trotzdem kann man nicht über (bis jetzt) zwei Jahre hinweg nur über das eine, hässliche Thema reden. Nun hat man sich mehr schlecht als recht einem Hauch von Silberstreif entgegengeplagt, und prompt gibt es ein neues, noch hässlicheres Thema, über das man, als Barmagazin, weder schreiben noch nicht schreiben kann.

Krieg ist immer, aber woanders. Nicht mehr.

Ach was, schreibt spätestens Facebook-Kommentator Nummer vier, plötzlich kümmert dich die Ukraine, und was ist mit dem Jemen und Eritrea und all den anderen Konflikten, die dir seit Jahren am Arsch vorbeigehen? Tja… da ist schon was dran. Meine allgemeine Moral ist nicht vorbildlich. Vielleicht bin ich aber auch nur der etwas geringere Heuchler. Es ist wahr, die meisten von uns leben seit Anbeginn ihrer ganz privaten Zeitrechnung in friedlicher Beschaulichkeit, in der Krieg im Grunde eine mittelbare, hauptsächlich televisionäre Angelegenheit ist. Man spendet ein bisschen und wählt nicht die AfD, und gut. Krieg ist immer, aber woanders. Brecht hat’s gesagt: „Nichts von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt zu essen. Zufällig bin ich verschont.“ Und doch leben wir, und wir leben gut.

Niemand von uns kann sein Leben führen und gleichzeitig das Leid des Planeten in voller Empathie aufnehmen. Jetzt aber ist der Krieg in der Nachbarschaft, und das ändert vieles. Der Krieg rückt uns auf die Pelle. Ist es so verwerflich, dass uns betroffener macht, was uns betrifft? Wenn Sorge um die eigenen Freunde oder Angst um die eigene Zukunft mitspielen? Kennen Sie das Lied von Funny van Dannen, das Lied von der räumlichen Distanz? „Während du verliebt bist sind andere völlig verzweifelt… Und während du verwöhnt wirst werden andere von Bomben zerfetzt… Das hört sich schlimm an, ist es aber nicht ganz. Denn zum Glück gibt es die räumliche Distanz.“ Ach ja.

Viele von uns kennen Russen oder Ukrainer oder beides, und andere lernen jetzt gerade die ersten Ukrainer seines Lebens kennen. Die alten und die neuen Realitäten reiben aneinander. Man hört das Knirschen. Ich habe in Regensburg meinen Geburtstag nachgefeiert, sobald das nach dem Lockdown möglich war, weil ich mir dachte, na ja, nicht feiern bringt auch keinem was, und dann dachte ich noch so halb, wer weiß, wie oft man noch…

Das Essen, das vom Buffet übrig geblieben ist, haben dann die ersten Flüchtlinge bekommen, die nachts mit dem Bus in die Stadt gebracht worden waren. Das war Zufall und ich bekam das erst im Nachhinein mit, aber es hat mich ein bisschen gefreut. War ein gutes Buffet. Die alten und die neuen Realitäten reiben aneinander. In Kiew ist jetzt auch Lockdown, und in den Bars machen sie keine Bottled Drinks, sondern Molotow-Cocktails.

Es ist auch diese Absurdität, die vielen zu schaffen macht, glaube ich; zumindest mir. Die Website der Barometer Bar Show in Kiew, geplant für Ende September, ist nach wie vor online, und warum auch nicht, denke ich mir; wer macht sich gerade jetzt die Mühe, auf solche Nebensächlichkeiten zu schauen. „Due to invasion the upcoming event might be …“

Neue Grenzen

Auch Moskau hat sich als Bar-Stadt einen Namen gemacht; was wird davon übrigbleiben? Diese Frage ist angesichts des Mordens natürlich nebensächlich, aber hinter ihr versteckt sich das größere Problem: Es ist klar, dass unabhängig vom Ausgang des Krieges die Welt eine andere sein wird, und dabei keinesfalls eine bessere. Es geht nur um das Ausmaß des Schlechteren, das kommt, und damit meine ich nicht die Höhe des Benzinpreises.

Die Oligarchen müssen zukünftig vielleicht eher im Heimatland saufen gehen. Schade, dass Wenedikt Jerofejew nicht mehr darüber schreiben kann. Die World’s 50 Best Bars nehmen jetzt die russischen Bars aus der Wertung und haben sich damit in der Rangliste der beschissensten Boykott-Ideen ganz nach oben manövriert.

Das Schöne an der Bartenderszene ist ja das Internationale, und man merkt es diesen Menschen an, wie charakterbildend das Leben über die Grenzen hinweg ist, wie dieser Beruf Kosmopoliten im besten Sinne erschafft. Jetzt wird es wieder neue Grenzen geben. Charkiv wird hart umkämpft. Da war mein Opa auch schon, denke ich mir. Der hat bloß damals noch „Charkov“ gesagt. Mein ehemaliger Türsteher ist Russe und völlig am Ende, weil er sich um seine Verwandten in Odessa sorgt. Und meine Versicherung hat mir mitgeteilt, dass der Versicherungsschutz für meine Cocktailbücher – mein einzig nennenswerter Besitz – ab sofort nicht mehr für die Ukraine gilt, plus 200 Kilometer von der Ukraine aus nach Russland hinein. Dann wäre es wohl versicherungstechnisch ok, damit nach Moskau zu reisen, denke ich mir, und frage mich, ob das bedeutet, dass die Risikobewertung der ERGO für Wladimir Putin noch ganz gut ausschaut.

Über Bäume sprechen

Der Alltag ist komplexer als jeder Drink. Es geht ans Eingemachte. Aufstehen, nach Selenskyi schauen, Kaffee kochen. Ich mag keine Fähnchen mehr schwenken und vor allem keine Profilbilder mehr anmalen. Das hilft auch nicht gegen das Gefühl der Hilflosigkeit. Meine Prä-Kriegs-Äußerungen zur Ostpolitik waren nicht besonders treffend, und darum bleibe ich da mal lieber etwas stiller. Ich blättere nach, was Huntington vor 25 Jahren zur Ukraine gesagt hat, und werde auch nicht nennenswert schlauer. Ich bin ja auch nur ein kleiner Getränkejournalist. Aber worüber schreiben, und worüber nicht? Nochmal Brecht: „Was sind das für Zeiten, in denen ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“

Es ist trotzdem gut, ab und zu über Bäume zu sprechen, auch wenn Krieg ist. Um über Bäume zu sprechen, muss man zumindest mal aufstehen und aus dem Fenster schauen, und das ist ja auch schon mal was. Die Ukrainerin, die ich auf der Bar Show in Athen kennengelernt habe, ist sicher in Berlin angekommen. Der Krieg, in dem mein Opa war, blieb immer eine sehr theoretische Angelegenheit für mich, auch wenn ich die Schusswunden in seinem Körper immer noch sehen konnte, und auch wenn kein Tag ohne Hitler-Doku vergeht. Die Kuba-Krise und die Angst der Menschen damals? Theoretisch. Afghanistan, Jemen, auch Jugoslawien vor noch nicht so langer Zeit: alles irgendwie theoretisch. Wenig greifbar.

Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass so viele Menschen so bereitwillig in den Krieg ziehen: weil er so theoretisch und wenig greifbar ist. Bis er dann mal da ist. Mit dem Tod ist das ganz ähnlich: Wir wissen, dass es sich dabei um eine unvermeidliche Zwangsläufigkeit handelt, glauben aber andererseits, dass diese Tatsache hauptsächlich für alle anderen gilt. Und das stimmt natürlich nicht.

Credits

Foto: Eduard – stock.adobe.com

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