Pascal Kählin und seine Bar 63: Lucky Punch für die Zürcher Langstraße
Mit der Bar 63 in Zürichs altem, wildem Ausgehkiez hat sich Pascal Kählin einen echten Lebenstraum erfüllt. Darin kommt zusammen, was sein Leben geprägt hat – die Leidenschaft für die Nacht, die Karibik, interessante Menschen und natürlich: Rum. Lokaltermin an „Zürichs schönster Ecke“.
Morgens, halb elf, in der Langstraße. Bei Acid gibt es keine synthetischen Drogen, sondern Latte Art. Da ist die rosa Metzgerei mit angeschlossenem Naturweinhandel, dort jene den nicht-deutschsprachigen Touristen die Orientierung erleichternde Longstreet Bar. Entweder war die Müllabfuhr schon da oder wird schlichtweg nicht gebraucht. Dazu passt, dass Puffs hier nicht „Puff“ heißen, sondern „Kontaktbar“. Schöne, heile Schweiz! Ein paar Meter nach links, und schon steht man an jener Ecke von Roland- und Zinistraße, die ein Schweizer Magazin als „schönste Zürichs“ bezeichnet hat. „Chez Sylvia“ steht über der Tür des asphaltgrau gestrichenen Eckhauses, das mit seiner roten Markise und dem zierlichen Balkon einen Hauch Montmartre verströmt. Hier bringt Pascal Kählin frischen Südseewind in die Zürcher Barszene.
Von Chez Sylvia übers Total zur Bar 63
Angefangen hat das alles mit der Bar 63 ein paar Meter die Straße hinunter. „Total“ hieß die 1997 illegal neben einer Polizeistation eröffnete Kneipe, die Kählin gemeinsam mit Jonas Schwarz, Daniel Lüthi und Michel Monod, genannt Mono, betrieb. Wer heute durchs weinglasblank polierte Zürich spaziert, vergisst ja gerne mal, wie viel Tohuwabou hier früher war. Dada, Punk und Hausbesetzung! Über den Tresen der Total Bar ging zu Beginn hauptsächlich lokales Bier und „mit Glück zwei Gin & Tonics pro Woche“.
Zehn Jahre später waren die Räumlichkeiten in der Rolandstraße 63 frei. Und weil deren Vorbesitzerin Sylvia Uttinger – „eine schöne Frau mit tiefem Ausschnitt“ – so eine coole Socke war, hat man den Schriftzug „Chez Sylvia“ über dem Eingang stehengelassen.
Tiki-Mugs zwischen Palmwedelgrün und Karibikblau
Im Gegensatz zu schönen Frauen mit tiefen Ausschnitten ist der Gastraum der Bar 63 elf Jahre später kaum gealtert. „Die Technik müsste mal erneuert werden“, brummt Pascal Kählin, während er dem Gast einen Filterkaffee und sich selbst einen Espresso zubereitet.
Zur Jeans trägt er eine dunkelblaue Strickjacke und einen auffälligen Silberring. Seine Augen sind tatsächlich karibikblau. Zeit, sich ein wenig im Raum umzusehen. Die Wände sind aus Ziegelstein oder palmwedelgrün gestrichen. Quer hindurch verläuft ein geschwungener Tresen, linkerhand eine Sitzecke, die so auch in einem Jugendzentrum stehen könnte. Ganz im Gegensatz zu den hinterm Tresen aufgereihten Tiki-Mugs.
Pascal Kählins Leben für Rum, Rhum & Ron – in Zürich lebt der Punch
Kählins Liebe zu Rum, Rhum, Ron, wie der Titel seines Buchs lautet, ist eng an seine Karibiksehnsucht geknüpft. Mit fünfzehn war er mit seinem Vater zum ersten Mal in Grenada, mit zwanzig dann allein. Dort, am alpenschneeweißen Strand, ist er auf den Geschmack von Rum Punches gekommen. Mit leuchtenden Augen erzählt Kählin, der aus dem zwanzig Kilometer von Zürich entfernten Baden stammt, von der Magie drei Mal drei Meter großer Bars und ihrem aus vier Flaschen Rum bestehenden Sortiment. Beinahe können wir das Meer rauschen hören. Besser als ein Stromsparventilator kühlt da natürlich so ein eiskalter Punch, mit seinem süßen, trügerisch-da-starken Versprechen von ewigem hang loose.
Jetzt ist das ja oft so eine Sache mit aufregenden Urlaubsgetränken: Zu Hause schmecken sie meist schal. Anders bei Kählins Punch 63. Als er ihn zum ersten Mal im garantiert sandfreien Stadtteil ausschenkte, attestierte ihm ein befreundeter Journalist: „Schon jetzt ein Klassiker.“ Er sollte recht behalten. Heute kommen viele Gäste genau wegen dieses, aus 63-prozentigem Rum, Limette, Orgeat, Angostura Bitters, Ginger Beer und Muskat bestehenden Spaßgetränks, und wundern sich längst nicht mehr, dass sie sich daran nicht die Zunge verbrennen, weil „Punch“ ja nicht „Punsch“ ist. Serviert wird er im Hause Bar 63 standesgemäß im Tiki-Becher. „Anfangs hatten wir nur zwölf Stück und waren praktisch nur am Spülen“, erinnert sich der 46-Jährige. „Als wir mehr kaufen wollten, stellte sich heraus, dass es Sammlerobjekte von Mövenpick waren und 40 Franken pro Stück kosteten. Da haben wir nach Alternativen gesucht.“
70 mal Rum in der Bar 63…
Gleiches gilt für den Schnaps. Schon bei der Übernahme der Bar 63 hat sich Kählin ein kleines Rumdepot zugelegt, heute sind es rund 70 Sorten. Hinzu kam seine eigene Kreation, der in Guyana, Trinidad und Martinique gebrannte „Ed’s Rum“, den es in 40-, 47- und 63-prozentiger Ausführung gibt. Eine Sensation sind bereits die auf die transparenten Flaschen gedruckten Prints, „World Famous Rum Punch“ steht da und „Customised Strength“ und die Notenschrift des Songs „Rum & Coca Cola“ von den Andrews Sisters.
Vorbild war das Schild jener Karibikkaschemme, die ihr bescheidenes Auftreten mit den Worten „Mama Lee Easy Going Back-in-Time Refreshment House“ anpries. Während er das entsprechende Schild auf seinem iPhone zeigt, gesteht der Bartender: „Ich liebe diese totale Übertreibung.“ (Die Total Bar gibt es, nebenbei bemerkt, immer noch, sie wird heute von Mono betrieben).
Bar 63
…aber nicht nur!
Auch wenn der Fokus zweifellos auf Rum liegt, wechselt die Karte der Bar 63 zwei bis drei Mal jährlich, und zwar auf ambitionierte Weise. Mal säuft sie sich quer durch Südamerika, mal auf Basis von Enzian und Appenzeller Heuschnaps durch die Schweizer Alpen, dann wieder schwimmt sie im Mezcal. Kreativ wechseln muss sie vielleicht auch, schließlich punktet die größte Stadt der Schweiz mit einer seit Jahren wachsenden Barszene. Oder? Kählin winkt ab: „Ich glaube, der peak ist erreicht. Schon allein, weil die rechtlichen und finanziellen Hürden für Gastronomen so hoch sind.“ Er selbst geht am liebsten in die Spitz Bar oder Kronenhalle, von der es noch die schöne Geschichte zu erzählen gibt, dass die perfekte Glattrasur der Mitarbeiter durch persönliches Angreifen überprüft wird. Blöd nur, dass die meisten Etablissements vor Ende seiner eigenen Schicht schließen, nämlich um Mitternacht. „Dafür kriegt man in Zürich schon um 16 Uhr einen Apéro.“ Und das allein ist ja schon mal kein schlechter Start in den Arbeitstag.
So spät ist es noch nicht, aber spät genug, die Tikihöhle zu verlassen und noch kurz mit dem Lastenfahrrad in Kählins Spirituosengeschäft ein paar Straßen weiter vorbeizuschauen. Wir kommen vorbei an nach abstrakten Künstlern benannten Third-Wave-Coffeeshops und der Schule seiner neunjährigen Tochter. Auch das ist die Langstraße: Ein Ort, an dem Kinder unbegleitet unterwegs sein können. Das 2012 eröffnete J.B. Labat befindet sich in einer ehemaligen Apotheke und verkauft beinahe so viele Sorten Whisky wie Rum. Überhaupt wäre es unfair, Kählin auf diese eine Spirituose zu reduzieren. Er mag auch Agavenbrände aller Art – und auf die berühmte einsame Karibikinsel würde er sowieso ein paar Flaschen guten Kirsch mitnehmen …
Credits
Foto: Eva Biringer
Jan-Jesse
Danke für das schöne Portrait von Pascal und seiner legendären Bar 63 – schon alleine dafür ist Zürich eine Reise wert! Aber bitte bitte liebe Mixologen: Es heisst Zürcher und nicht Züricher – falls ihr wieder mal in der schönen Limmatstadt seid…
Thomas Domenig
Ich kann Pascals Rum-Buch und das JB Labat ebenfalls sehr empfehlen.