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Die Bar am Steinplatz ist die erste deutsche Hotelbar mit einer alkoholfreien Barkarte. Was heißt das?

Barchef Willi Bittorf und sein Team setzen in der Bar am Steinplatz in Berlin auf eine Karte voller alkoholfreier Signature Drinks. Ist das ein mutiger Schritt, ein Kalkül der Aufmerksamkeit oder einfach nur Spaß am Experiment? Wir sind nüchtern geblieben und haben nachgefragt.

Längst gibt es gehobene, unabhängige Trinkstätten in Hamburg, München oder Berlin mit einem verstärkten Angebot an Low-Abv-Drinks und alkoholfreien Cocktails, die mit der klebrigen Assoziation Mocktails nichts mehr zu tun haben. Sogar die Zahl gänzlich alkoholfreier Bars ist im Steigen begriffen. In Berlin postiert die Zeroliq Bar in Friedrichshain seit Kurzem mit alkoholfreien Craft-Bieren, Weinen, Cocktails und Longdrinks schon vor Corona als „zero booze“. Im Dubliner The Virgin Mary heißt es „Alcohol is off the list“, womit man sich in die weltweit wachsende Range so genannter Sober Bars eingereiht hat.

Barchef Willi Bittorf wagt in der Bar am Steinplatz das alkoholfreie Experiment

Auch die Bar am Steinplatz ist nun alkoholfrei

Und gerade auch einige Hotelbars folgen dem allgemein gestiegenen Wellness- und Gesundheitsbewusstsein und nähern sich diesem bei ihrem liquiden Angebot. So serviert die Verbena Bar im Schweizer Fünfsternehotel Waldhof Health & Medical Excellence dem gesundheitsbewussten Stil des Hauses entsprechend nur Drink-Kreationen ohne Alkohol. Dänemarks Boutique-Hotelkette Brøchner bedient neben dem bestehenden, höher- bis hochprozentigen Trinkangebot mit einem No/Low Concept die steigende Nachfrage nach softeren oder nullprozentigen Trinkgelüsten.

Und in Deutschland ist es nun die Bar am Steinplatz in Berlin, die als erste Hotelbar ihre Hauskarte mit zehn alkoholfreien Signature Drinks präsentiert; auf einer weißen Tafel mit schwarzem Schriftzug, der die gezeichneten Kreationen umspielt, wird sie gereicht. Prägnanter und coronatauglich spiegeln die schwarzen Glas-Tischplatten der Hotelbar den „maximalen Genuss ohne Reue“ in weißem Schriftzug wider.

Es ist die erste Barkarte, die Willi Bittorf als Bar Manager zu verantworten hat. Mit ausschließlich alkoholfreien Signature Drinks setzt er damit eine erneut markante Entscheidung für das Hotel in Charlottenburg, das auch von MIXOLOGY bereits mehrfach ausgezeichnet wurde (Hotelbar des Jahres 2017 und 2018 bei den MIXOLOGY Bar Awards). Mehr als vier Monate lang tüftelten Willi Bittorf und sein Team an der Entwicklung der Getränkekarte. Gründe für die Entscheidung, auf eine Signature Karte voller alkoholfreier Cocktails zu setzen, sie die steigende Nachfrage seitens der Hotelgäste, Locals oder Touristen nach Low-Abv- wie auch alkoholfreien Cocktails.

„Auch mir liegen beide Themen sehr am Herzen“, betont Willi Bittorf, der sich bereits zu seiner Zeit in London im Mosimann’s Private Member Club oder der Gong Bar im Shangri-Là Hotel intensiv damit beschäftigt hat, bevor er nach dem Headbartending in der Lang Bar des Waldorf Astoria Berlin im September des Vorjahres in die Fußstapfen des früheren Steinplatz-Barchefs Christian Gentemann getreten ist.

On the Seaside

Zutaten

4 cl Undone Not Vermouth (Seetang Infusion)
2,5 cl Limette
1 cl Zuckersirup
2 Sprüher The Seventh Sense Smooth Vanilla Bitters
Prise Salz
Topping: Swiss Mountain Spring Salty Grapefruit

Alkoholfreie Brücke war keine leichte Aufgabe

Ursprünglich stehen Low-Abv-Drinks im Fokus des neuen Trinkentwurfs. Dass das Barmenü schlussendlich doch komlett alkoholfrei ausfällt, hat mit der Neueröffnung nach Corona, der Hausphilosophie mit dem Wunsch nach medialer Aufmerksamkeit sowie auch Erfolgsdruck zu tun. „Die Nachfrage nach Low-Abv-Getränken war vor allem im Restaurant gegeben, und unser Haus definiert sich sowohl darüber als auch über die Bar. Daraus hat sich die Idee der alkoholfreien Karte kristallisiert. Eine sichere Brücke zwischen meiner eigenen Vorstellung des alkoholfreien Konzepts und den Anforderungen des Hauses zu bauen, war in der Tat keine leichte Aufgabe“, erzählt Bittorf. Das erste Feedback der Gäste ist jedoch positiv. „Die Rückmeldung über die Möglichkeit, alkoholfrei zu trinken, ist gut und wird geschätzt, auch wenn tatsächlich einige Gäste alkoholische Drinks zu sich nehmen.“

Der Aperitif-Gedanke war bei der Konzeption nicht angedacht. „Aber das könnte sich entwickeln. Wir erleben, dass Gäste als Aperitif anstelle eines Glases Sekt unseren Sekt-Cocktail wählen. Das freut uns“, so der Barchef. Der Drink „Let’s talk about Sekt, Baby“ wird mit schwarzem Johannisbeer-Essig, Vanillesirup, Verjus und alkoholfreiem Sekt serviert. Eine Prise Salz, die in den anderen neun alkoholfreien Signature Drinks das Aromenspiel beeinflusst, braucht dieser Drink nicht.

Der „Let’s talk about Sekt, Baby“ kommt mit schwarzem Johannisbeer-Essig, Vanillesirup, Verjus und alkoholfreiem Sekt
Der „Who is Frank ,Palani‘ Baum“ ist eine Hommage an einen deutschen Gitarristen - und alkoholfreies Tiki

Nicht bloß alkoholfreie Pendants

Eine bloße Umwandlung beliebter Klassiker in alkoholfreie Pendants würde der Vorstellung einer alkoholfreien Barkarte mit einem hochwertigen und in monatelanger Teamarbeit kreierten Menü keinesfalls gerecht. Die Tische, der Tresen, der Eingangsbereich, das gesamte Interieur verheißt eine neue Marschrichtung an jenem Tresen, dessen Barkarte bei den MIXOLOGY Bar Awards ebenfalls zur Barkarte des Jahres 2019 gewählt worden war.

Das Spektrum an hochwertigen, alkoholfreien Destillaten und Bieren habe sich erweitert, die Nachfrage gerade die Qualität dieser Güter erhöht. „Das war vor drei Jahren noch nicht so. Mittlerweile sind beispielsweise alkoholfreie Craftbiere Granaten. Die Qualität wird weiter ansteigen, und die Verbreitung geht dank Instagram und sozialer Medien sehr schnell“, wirft Willi Bittorf einen Blick in die Zukunft.

Die drei Komponenten Karottensaft, Sanddornnektar und Schwarzkirsch-Essig machen etwa einen „Who is Frank ,Palani‘ Baum“ zu einem komplexen, alkoholfreien Tiki-Drink. „Das ist gewissermaßen German Tiki Style, denn Frank Palani war ein deutscher Musiker und Gitarrist mit hawaianischem Musikstil“, erklärt Bittorf. Inspiriert von einem klassischen Ramos Gin Fizz mit Sahne, Gin und Säure, ist der Ramos 0,5% Vol. der Bar am Steinplatz als einziger Drink eine alkoholfreie Abwandlung zu einem klassischen Vorgänger. Die Sahne wird durch Ayran, Gin durch ein alkoholfreies Destillat und alkoholfreies IPA ersetzt, die Prise Salz tut ihr übriges und das Erscheinungsbild des Ramos trügt: statt cremig, schwer und stark, schmeckt die alkoholfreie Variante erfrischend und leicht.

Aber: Man ist trotzdem keine Sober Bar

Aber ob On the Seaside (zu sehen im Aufmacherbild sowie Rezeptur) Winning Horse named Julep, Chamomile Gro(o)ve, Give me 5 oder Garden Smash – neben hochwertigen, alkoholfreien Destillaten, Bieren oder Sekt, Sirups, Bitters oder Kräutern und Gewürzen steckt in ihrer Vielfalt nur die Gemeinsamkeit des einheitlichen Preises von elf Euro, die gesundheits- und ernährungsbewusste Gäste gerne bezahlen. „Mehr wären Gäste wahrscheinlich nicht bereit, für einen alkoholfreien Drink zu bezahlen. Wir kommunizieren mehr mit den Gästen und erklären den Aufwand hinter manchen Drinks. Gäste, die sie bestellen, haben auch wirklich Lust darauf“, so Bittorf.

Eine Sober Bar will und wird die Bar am Steinplatz aber nicht sein. „Das wäre geschäftsschädigend, und wer sich als Sober Bar bezeichnet, sollte durchgängig alkoholfrei sein“, so der Barchef, und meint weiter: „Wir können und wollen die etablierte Trinkkultur nicht über Bord werfen.“ Daher gibt es neben der alkoholfreien Barkarte weiterhin das gewohnte Trinkangebot; liebgewonnene Klassiker wie Manhattan und Martini sowie eine vielfältige Bierauswahl neben Schaumweinen und Spirituosen. „Wenn ich einen Blick auf unser schönes Rückbuffet werfe, die bemalten Tische sehe und den ersten positiven Resonanzen lausche, führt es sich schon irgendwie richtig an“, resümiert Willi Bittorf, der bei jeder Schicht nach Feedback und ehrlicher Kritik jagt.

Und da viele Gäste auch nach dem fünften Drink der neuen Karte noch nüchtern sein dürften, kann man zumindest davon ausgehen, dass ihre Meinung nicht durch Alkohol getrübt ist …

Credits

Foto: Hotel am Steinplatz, Autograph Collection

Comments (2)

  • Ben

    Eine kleine Frage am Rande:
    Sind Bitters nicht immer mit Alkohol?
    Ich denke an Angostura, Peychaud, Orange, Grapefruit Etc.
    Bezüglich der Rezeptur von „On the Seaside“?
    Danke euch und liebe Grüße

    reply
    • Mixology

      Hallo Ben,

      zu deiner Nachricht: ja. Cocktail Bitters enthalten Alkohol bzw. werden damit hergestellt.

      Gleichzeitig geht es auch um die jeweilige Menge und die Defintion. Als „alkoholfrei“ dürfen in Deutschland Getränke bis 0,5% Vol. bezeichnet werden, da z.B. schon Fruchtsäfte durch natürliche Gärung bis zu 1% Vol. haben können. Bei wirklichen 0,0% wäre die Bezeichnung „ohne Alkohol“.

      Zwei Sprüher Bitters sind in der Relation auf die restliche Menge des Drinks also zu vernachlässigen.

      Liebe Grüße,

      Die Redaktion

      reply

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