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Die Bar Henri Lou in Wien

Der Barname gibt dem Gast zwar immer noch Rätsel auf, das Henri Lou hat aber einen sanften Relaunch hinter sich. Markus Raidls Barkarte setzt nicht nur auf Martinis, sondern auch auf Technik, die auch bei vollem Betrieb funktioniert und der Hotelbar plötzlich mehr externe Kundschaft als Hausgäste beschert.
Lou Andreas-Salomé nicht zu kennen, gilt selbst im bildungsbürgerlichen Wien nicht als Schande. Gelesen wird nichts mehr von ihr. Berühmt ist allemal das Bild, in dem sie Paul Rée und Friedrich Nietzsche spielerisch mit der Peitsche antreibt, heiraten wollte sie keinen von beiden. Der Wien-Bezug der Schriftstellerin und Psychoanalytikerin ist über Sigmund Freud, den sie lebenslang verehrte, gegeben. Und so beschloss man das mondän klingende Pseudonym dieser lebensbejahenden und unabhängigen Frau zum Namen der Bar des Palais Hansen Kempinski zu machen. Hier endet die Vorgeschichte.
Süßes Wien, bitteres Wien
Denn die Bar gibt es seit der Eröffnung des Fünf-Stern-Hotels am Schottenring im Vorjahr. Mit dem neuen Bartender Markus Raidl wurde diesen Monat aber auch die Karte der Henri Lou umgekrempelt. Sherry Cobbler, Hanky Panky und Pegu Club führen die Liste der „Classics“  (12 bis 16 Euro) an. Die Liebe zum Detail steckt aber in den beiden ersten Seiten der umfangreichen Barkarte, aus der auch das Angebot an 40 Champagner-Sorten heraussticht. Die Signatures wurden komplett überarbeitet bzw. im Mai neu auf die Karte gesetzt. Das Geburtsjahr der Dichter- und Denkermuse Lou gibt etwa dem Holunder-frischen 1861 den Namen, der Twist Raidls auf den Dirty Martini, sein Number 10, wird mit Thai Basilikum, schwarzer Olive und Tanqueray Ten gemixt, dazu kommt der Wiener Wermut von Burschik. „Regionale Zutaten sind mir sehr wichtig“, so findet sich die von Leonhard Specht wieder belebte Traditionsmarke nicht zufällig des Öfteren in der Karte wieder
Teeblätter geraten unter Druck
So auch im Wiener Klassik Martini, der mit Marillenmarmelade und –brand mit rein österreichischen Zutaten ins formschöne Y-Glas kommt. Vor allem die Tee-Auswahl kommt momentan zu besonderen Ehren. Die 47 Sorten, die von Andrew Demmers Teehaus stammen, werden in einem fast spielerischen Reigen genutzt, um damit Rapid Infusions herzustellen. Mit dem neuen Aufsatz samt Ventil (gegen Überdruck) bringt das iSi-Sahne-Gerät das Aroma von Feststoffen in die Flüssigkeit direkt im Shaker. Vor allem mit aromatisierten Grüntees funktioniert das Schnell-Infusionieren bestens. „Früchtetees sind oft fast zu intensiv, die herben Grünteearomen passen aber beim Gin & Tonic perfekt“, so der experimentierfreudige Neo-Barchef des Hansen Kempinski.
Patisserie als Trumpf
„Ich trinke übrigens selber gerne Tee und man kann auch nur auf einen Tee zu uns kommen“, gibt der 33-jährige das niedrigschwellige Motto vor. Denn den Kardinalfehler vieler Wiener Hotelbars, die nicht direkt von der Straße, sondern nur über die Lobby – samt taxierender Blicke vom Bellboy bis zum Concierge – zugänglich sind, hat man vermieden. Momentan, so freut man sich im Inneren der„Henri Lou, überwiegen sogar die hausfremden Gäste an den drei Tagen, die man geöffnet hat. Ansonsten wird in der Zigarrenlounge oder der Lobby den Drinks gefrönt. Das Zusammenspiel mit den beiden Restaurants des Hauses funktioniert bestens, vor allem mit dem französischen Patissier, der etwa die begleitenden Schokoladen zu den Single Malts liefert. Und manchmal streicht Raidl spät heimkehrenden Gästen auch selbst ein stärkendes Butterbrot, wenn das stadtbekannt gute Beef Tartar nicht mehr als Barfood verfügbar sein sollte.

Credits

Foto: Bar Henri Lou

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