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Solidargemeinschaft Bar-Community? Leider Bullshit

Die Stimmen mehren sich, dass es mit der Solidarität unter Bars und Bartendern nach dem Lockdown nicht so weit her ist. Viele würden nur auf sich achten und durch das Nicht-Einhalten von Auflagen das Vertrauen von Seiten der Behörden und der Politik gefährden. Strategisch ein großer Fehler vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung und besonders angesichts des kommenden Herbstes. MIXOLOGY Online hat sich umgehört – und zum Teil drastische Antworten erhalten.

Eine der gerne geäußerten Wesensmerkmale der Barcommunity ist die gute Vernetzung miteinander und vor allem die große Solidarität untereinander. Bullshit! Jedenfalls, wenn man sich die Beobachtungen und Erfahrungen einiger Bartender sowie die Mahnungen aus der Politik betrachtet. Seit den schrittweisen Lockerungen nach dem quälenden Lockdown ist es offensichtlich mit der Solidarität und der strategischen Vernunft in einem erheblichen Teil der Szene nicht mehr weit her.

„Dass die Bars zusammenhalten ist Fassade, Fake News“, sagt Marco Beier, Betreiber des Patolli in München. „Ich sehe immer öfter, dass ohne Spuckschutz an der Bar bedient wird. Ohne Maske, ohne Abstand und ohne Einhaltung der Dokumentationspflicht. Das kann uns irgendwann allen schaden. Dann sind es genau die, die jetzt die Regeln nicht einhalten, die als erste am lautesten jammern, wenn es wieder zu Sanktionen gegen uns kommt. Wenn man sich selbst an die Vorgaben hält, fühlt man sich von den Kollegen, die das nicht tun, verarscht.“

Keine Prohibition, aber mehr Kontrollen

Wirft man einen Blick auf die aktuelle Lage, könnten Bars schon bald wieder zu den Leidtragenden der Entwicklung werden. Weltweit hat sich die Zahl der Infizierten innerhalb der letzten sechs Wochen von 10 Millionen auf 20 Millionen verdoppelt. In Deutschland steigt die Zahl ebenfalls rasant an. Und vielleicht das alarmierendste daran: die Neuinfizierten werden immer jünger, Krankheitsverläufe werden immer schwerer. Laut Lagebericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) hat sich der U20-Anteil von der Karwoche bis vergangene Woche fast vervierfacht (6 Prozent zu 23 Prozent).

Anders ausgedrückt: Das Durchschnittsalter der Neuinfizierten ist in diesem Zeitraum von 52 auf 34 Jahre gesunken. Das rückt die hauptsächliche Klientel, die als klassische Barbesucher angesehen werden kann, immer mehr in den Fokus. In Bayern und Hamburg gibt es in manchen Hotspots bereits Einschränkungen des Alkoholausschanks. In Berlin hat Anfang der Woche Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) in einem Interview mit der Berliner Morgenpost für Aufregung gesorgt. Sie brachte dort ein Alkoholverbot in Kneipen und Bars ins Spiel, wenn sich dort die Disziplin nicht verbessern würde. Ausgelöst vermutlich durch die Torstraße in Berlin-Mitte, illegale Park-Raves oder die Vorkommnisse in Neukölln.

In einer Kneipe hatten sich laut Berliner Zeitung viele Gäste infiziert. 68 Gäste und sieben Angestellte wurden in Quarantäne geschickt. 41 Personen waren wegen falscher Angaben zunächst nicht zu identifizieren. Bei einer abendlichen Kontrolle von 13 Bars in Neukölln wurden bei 12 von ihnen Verstöße gegen die Auflagen festgestellt. Der gleichen Zeitung sagte der Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Berlin, Thomas Lengfelder: „Wir appellieren die ganze Zeit an Gastronomen und Gäste, sich an die Vorschriften zu halten. Alles andere schadet uns selber.“

Kalayci hat ihre Überlegungen zu einer allgemeinen Prohibition inzwischen abgeschwächt und mit Wirtschaftssenatorin Ramona Pop und Kultursenator Klaus Lederer sitzen zwei bar- und clubaffine Entscheider in der Regierung, die ein derartiges Ansinnen ablehnen. Allerdings mit der Hintertür, dass das momentan gelte. Gleichzeitig will man die Kontrollen verstärken und zusätzliche Mitarbeiter hierfür einstellen. Es wird also enger.

Jeder kämpft für sich

Nun kann man einwenden, dass Berlin schon immer Probleme hat, Verordnungen und rechtliche Vorgaben umzusetzen. Aber das Bild ist durchaus übertragbar, auch, wenn die jeweiligen Auflagen Unterschiede aufweisen. Besonders verärgert zeigt sich Eric Bergmann, Geschäftsführer des Jigger & Spoon in Stuttgart: „Da wird von Betreibern und Gästen gelogen und betrogen. Dabei ist die Umsetzung der Auflagen kein Hexenwerk. Ich mache die Beobachtung, dass sich Bars mit einem gewissen Anspruch daran halten, viele andere aber nicht. Es gab auch schon wieder Schließungen. Es ist aber zunächst die Verantwortung des Gastronomen und gehört zur Solidarität miteinander.“

Im Jigger & Spoon registriere man die Gäste per QR-Code, das spare Zeit und man müsse nicht zig Papiere aufbewahren. Die persönlichen Daten sind anonymisiert und können nur im Notfall ausgelesen werden. Die allermeisten Gäste haben Verständnis dafür und machen mit: „Ich will weder hier noch gegenüber den Behörden jemand anschwärzen, aber man ärgert sich maßlos.“ Auch wenn man jemand in sozialen Netzwerken auf sein unsolidarischen Verhalten hinweise, ernte man einen Shitstorm. Bergmann empfiehlt auch höhere Strafen bei Verstößen, die aktuellen seien zu gering und könnten leicht wieder erwirtschaftet werden.

„Am Anfang gab es eine starke Solidarität unter den Bars, aber seit dem Ende des Lockdowns gibt es eine große Kluft zwischen denen, die sich an die Regeln halten, und den Verweigerern auf der anderen Seite“, erklärt Reinhard Pohorec von der Tür 7 in Wien. Er könne den Drang, auf Teufel komm raus wieder Umsatz zu generieren, verstehen, mancher Kollege stehe eben mit dem Rücken zur Wand. Aber „wir haben auch die Aufgabe, zivilisatorische Regeln einzuhalten“. In der Krise müsse man in jeder Phase miteinander arbeiten. Im Moment schaue aber eher jeder nur auf sich.

Seriösität ist der Schlüssel

Auch jenseits der Metropolen sieht es oft nicht besser aus. „Anfangs haben Vernetzung und Zusammenhalt gut funktioniert, inzwischen haben sich aber Fronten gebildet. Es gibt jene, die gelernt haben, mit den Maßnahmen umzugehen – und andere, denen das schwer fällt. Überraschenderweise ist das oft die alte Garde, die sich wenig kooperativ zeigt“, analysiert Danny Müller, Inhaber Wein-Tanne, Jena. Es herrsche eine starke Verunsicherung unter Gastronomen, auch gegenüber der Zukunft. „Wir sind Teil eines großen Spiels, das wir gewinnen müssen. Das heißt, nicht nur Auflagen und Einschränkungen einhalten, sondern auch neue Konzepte entwickeln. So schnell werden wir das Virus nicht los.“

Ähnliches berichtet Paul Sieferle, Mitbetreiber des Sieferle & Kø, Hagestolz und Odeon in Mannheim. „In der Craft-Cocktail-Szene sind sich alle mit einem guten Ruf der Verantwortung bewusst. Es gibt aber auch Gastronomen, die ganz offen kommunizieren, dass sie sich nicht an die Regeln halten, da sie sonst bankrott seien.“ Dabei sei man strategisch besser aufgestellt, wenn man sich auch gegenüber der Politik als Vorbild zeige. „Aber gerade kann man sehen, dass da die Stimmung kippt. Dabei bekommen wir von der Stadt viel Support. Man fühlt sich ernst genommen. Wir haben sogar mit Hendrik Meier einen ‚Nachtbürgermeister‘, das sollten wir nutzen und nicht gefährden, weil sich einige Touri-Bus-Lokale nicht darum scheren.“

Posten von Bildern keine vertrauensfördernde Maßnahme

Gerade meldet das RKI die höchste Zahl der Neuinfektionen in Deutschland seit Mai. Wenn die Zahl der aktiven Fälle weiter so steigt, wie im Durchschnitt der letzten sieben Tage, wird es weitere 21 Tage dauern, bis sie sich verdoppelt hat. Dann kommt der Herbst mit einer wieder aufflammenden Aerosol-Debatte in geschlossenen Räumen, die Risiken in Schulen und Universitäten – und Bars. Es ist bekannt, dass es zur Gefährdungslage und den entsprechenden Maßnahmen sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Allerdings sollte man sich in Deutschland bewusst sein, dass die Politik aller Wahrscheinlichkeit nach nicht den schwedischen Weg gehen wird.

Daher ist es zielführender, wenn Bars und Bartender Vertrauen aufbauen. Das Posten von Bildern auf sozialen Medien, auf denen man sieht, wie ohne jeden Schutz und Abstand der Gin & Tonic am Tresen schmeckt, oder aber Fotos von Menschentrauben ohne Maske vor und in der Bar feiern, dürfte kontraproduktiv sein. Falls es zu weiter verschärften Auflagen, gar einer Prohibition oder einem partiellen neuen Lockdown kommt, werden das viele Bars und Kneipen nicht überleben. Alles zu tun, dass Behörden und Politik Bars und deren Mitarbeiter als seriös im Umgang mit möglichen Infektionswegen wahrnehmen, ist praktizierte Solidarität.

Credits

Foto: Hyo-Song Becker

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