Wiedergeburt als Retro-Utopie: Das „Barfly’s“ in Wien schreitet in die Zukunft
An klassischen American Bars hat die Donaustadt keinen Mangel. Das zwei Jahre zur Baustelle verwandelte „Barfly’s“ wurde dennoch schmerzlich vermisst. Doch dem Kokon der Baugerüste entschlüpft ein Schmetterling, der Teil eines Gesamtkonzepts – Marke „Roaring Twenties“ – wurde. Aber auch eine ordentliche Portion Grand Budapest Hotel schwingt mit. Nur eben in Wien.
Die Phantomschmerzen einer umgebauten Bar sind die Griffe ins Leere. Dass derlei Bewegungsroutinen aber nicht nerven, sondern es von den Routiniers Alan und Bernhard eher lachend zur Kenntnis genommen wird, dass der Wermut nun woanders steht als früher, liegt an zwei Gründen: Nach über zwei Jahren hat das „Barfly’s“, seit 1990 Fixgröße der Wiener Barkultur, wieder geöffnet.
Und, noch wichtiger: Die neue Bar ist richtig schön geworden! Die Grandezza, die sich früher aus Kennerblicken, vergessenen Drinks und Zigarrenrauch speiste, ist nun auch Teil der Architektur. Denn im Grunde gab der unter der massiven Treppe zu den Hotelzimmern verborgene Zugang der Bar immer etwas von einem edlen Hinterzimmer. Erwünschte Nebenwirkung: Die Uhrzeit ließ sich bei allein 500 Rums und der unermüdlichen Beteuerung Dean Martins „That’s Amore“ hier trefflich vergessen.
Zur Untermiete bei Fräulein Josefine
Allerdings schwebte ab 2019 ein Damokles-Schwert über dem Fortleben dieser Bar, die untrennbar mit ihrem Gründer Mario Castillo verbunden bleibt. Als das „Hotel Fürst Metternich“ einer Generalsanierung unterzogen wurde, stand bis knapp einen Monat vor Ablauf des Pachtvertrags nicht fest, ob Melanie Castillo nicht umsiedeln würde müssen. „Barfly’s Pop ups“ nährten diese Spekulation zusätzlich, doch letztlich kamen die erlösenden Worte. Sie stammten von Manfred Stallmajer, der mit dem „The Guesthouse“ bereits ein erfolgreiches Designhotel in Wien führt.
„Das Hotel soll auch in 20 Jahren noch bestehen können, auch wenn wir jetzt vielleicht einen Dämpfer erleben“, versprühte er Optimismus beim Opening von Bar und Hotel, das er auf den Namen „Die Josefine“ taufte. Statt dem vom Kanzler Europas zum Zensorfürst mutierten Metternich führt nun eine fiktive Bewohnerin das Regiment im gesamten Haus: Josefine de Bourblanc. Man könnte auch von Retro statt Reaktionär sprechen, denn man geht im Zweifel den Weg des Analogen: Echte Schlüssel statt Key Cards, Bakelit-Lichtschalter in den Räumen, Wählscheiben-Telefon am Zimmer und eine hauseigene Phonothek zum Plattenauflegen stimmen Hotelgäste listig auf die gute, alte Zeit des Cocktailtrinkens ein.
90 neue Cocktails im Frühstücksraum
Sie werden sich auch an der Bar wie in ihrem Zimmer wähnen, denn die Innenarchitektur des Hotels findet sich auch im neuen „Barfly’s“ wieder. Angelegt wurde der Mix aus Travertin, Gold und Purpur als das, was Soziologen heute gerne Retro-Utopie nennen: So schön, wie die 1920er in Wien nie waren, zitiert man in jeder (Stoff)Faser die „Grand Budapest Hotel“-Ära – bis hin zu den Pagen-Uniformen oder den Gäste-Bademänteln im himbeerrotem Streifendesign. Die markanten roten Lampen mit den Stofffäden machen den Vergleich mit Wes Andersons Film perfekt, „sie wurden in Budapest gefertigt“, erwähnt Stallmajer nebenbei. Sie finden sich auf den Nachttischen ebenso wie in den Separée-artigen Nischen der Bar. In einem Punkt muss Castillo Gäste aber enttäuschen, die den Umbau für deutlich heller halten als die alte Wirkungsstätte.: „Auch früher schon gab es Tageslicht vom Innenhof darüber.“ Nur war das vielen Nachtschwärmern nicht bewußt.
Jetzt aber wurde aus der alten Bar im Hotel eine zeitgenössische Hotelbar unter eigener Führung. Das Motto „Frühstücksraum bei Tag, Bar bei Nacht“ gilt aber auch weiterhin im Barfly’s. Wo tagsüber À-la-Carte-Frühstück aufgetragen wird, liegt abends das Cocktailmenu auf; nur dass der Frühstücksraum plötzlich plüschigen Charme hat. „100 Drinks haben wir rausgenommen, 90 Drinks neu reingenommen“, erzählt dazu Andreas Obermeier, mit 40 Gastronomie-Dienstjahren ein Wiener Urgestein, das bereits mit dem 2010 verstorbenen Mario Castillo hier am Brett stand. Am Ende sollen es wieder rund 400 Cocktails werden, die im „Barfly’s neu“ serviert werden, verspricht er für die Neuauflage des Barbuchs, „gestaltet wie eine Weltreise und mit Geschichten zu der Drink-Entstehung“.
Barfly's Club
Esterhazygasse 33
1060 Wien
Mo - Do 18 - 2 Uhr, Fr & Sa 18 - 3 Uhr, So 19 - 1 Uhr
Die Whiskysammlung bleibt, der Daiquiri auch!
Für den Wiener Herbst lockt etwa sein „Chestnut Milk Punch“ (12 Euro), der mit seiner Mischung aus Cognac und Süße ebenso den alten Barstil als auch die moderne Technik verkörpert. Apropos: Der Umbau war alles, nur keine Behübschung. Mehr Platz an der Mixstation ist ein Vorteil für das Team, das Verschwinden des Kellerabgangs ein weiterer. Denn auch die Eismaschine befindet sich nunmehr auf gleichem Level wie die Bar. Und dass man mit Silberkübeln für Nachschub sorgt, macht die Wes-Anderson-Illusion noch perfekter.
Sie wird aber auch noch beeindruckender werden. Aktuell startet man mit der kleinen Karte, die mit 27 Cocktails mehr Auswahl aufweist als manche Fünf-Steren-Hotelbar. Vor allem sind noch nicht alle 1.200 Whisky-Flaschen übersiedelt, die zusammen mit der Rum-Plethora die „dark spirits“ zu einem unerschöpflichen Thema im Barbuch des Barfly’s machten. Circa 600 Bottles reihen sich dann dennoch über der Mixstation auf, ein goldenes Bullauge macht Sammlern lange Zähne: Laphroaig mit der Altersangabe „40 years“ und ein nicht minder interessanter Strathisla „30 years“ stehen neben gleichaltrigem Lagavulin und warten hier auf den idealen Moment.
Den Praxistest hat die Bar schon bestanden
„Der Barfly’s-Spirit ist da, das habe ich auch bei den Baustellen-Besuchen schon gemerkt. Vor allem aber auch Marios Spirit“, wurde Melanie Castillo angesichts der beendeten zweijährigen Durststrecke für die Barfliegen kurz emotional. Doch die überraschende Volte, ausgerechnet mit einer historischen Anmutung eine verdienstvolle Trinkstätte zu modernisieren, ging auf. Die Breite des Drinkangebots wurde schließlich davon nicht berührt. „Planter’s Punch“ und „Barfly’s Bellini“ (je 12 Euro) stehen ebenso auf der Karte wie der „Daiquiri Natural“. Wer Mai Tai mit drei Früchten-Garnituren haben mag, bekommt ihn weiterhin. Schon auf der mit Schreibmaschine getippten Eröffnungskarte vor 31 Jahren fand er sich auf der Karte, daneben die Piña Colada. Aber ein schulmäßiger Manhattan ist mit einer Colada in der Esterházygasse ohnehin noch nie im Widerstreit gelegen.
Einen Praxis-Test jedenfalls hat die Bar schon bestanden: Der Stammgast aus der EDV-Branche, der gerne um 1 Uhr einen Absacker nimmt, hat auch in der neuen Bar einen Lieblingsplatz gefunden. Wie schon vor 2019. Solistisch thront er neben der Kassa und hat das nächtliche Geschehen im Blick. Jetzt eben unterm „Josefine“-Schriftzug.
Credits
Foto: Barfly's