What would Jesus drink? Sieben Barempfehlungen für Mailand
Von schillernden Bars, in denen Flaschen wie Gucci-Taschen präsentiert werden, bis zu Speakeasy-Bars, die wirklich nicht gefunden werden wollen: Mailand bietet eine extrem abwechslungsreiche Barszene. MIXOLOGY Online hat die italienische Mode-Capitale auf ihre Tresentauglichkeit getestet.
Mailand! Strahlende Metropole des Nordens, deren Kathedrale weiß glänzt und deren Paläste erst in hunderten von Jahren interessierte Ruinenbesucher in Scharen anziehen werden! Kunst und Kultur werden weithin gerühmt, aber die Stadt bietet auch eine Vielzahl an verschiedenen Tresen, an denen Platz zu nehmen sich lohnt. Da Vincis Abendmahl lässt sich hier bestaunen, und vielleicht wird es Zeit, die kunsthistorische und religiöse Bedeutung dieses Werks um den kulinarischen Aspekt zu erweiterm. WWJD? What would Jesus drink? Wir hätten da ein paar Tipps.
7 Barempfehlungen für Mailand
Camparino
Italien ist Negroni-Land, und die 13. Aufgabe des Herkules könnte darin bestehen, die Liste der gängigen Twists auf den Klassiker aktuell zu halten. Mailand setzt da noch einen drauf; auch wenn der Negroni in Florenz geboren wurde, so wurzelt das Elternhaus doch in Mailand, bei Uropa Gaspare Campari im Keller, und die Mailänder sind sichtbar stolz auf diese Wurzeln. Ohne Negroni kann man sich hier kaum die Haare schneiden lassen, aber Mailand legt sich auch mächtig ins Zeug, um der Erfindung des Grafen Negroni das angemessen aristokratische Umfeld zu verschaffen. Aristokratischer als das Camparino geht es dann auch kaum, gelegen am Domplatz, direkt im Eingang der Galleria Vittorio Emanuele II., einer bestaunenswert prachtvollen Einkaufspassage. Fast möchte man meinen, dass sich hier ein legendärer Drink sein eigenes Neuschwanstein errichtet hat, aber das stimmt natürlich nicht. Oder nicht ganz, zumindest. Das Camparino selbst überzeugt Winckelmännisch: edle Einfalt und stille Größe sind maßgeblich, ob nun in der Bar di Passo oder den verschiedenen Außen- Unten- oder Nebenräumen. Natürlich wird hier so Einiges selbst kreiert, aber die Qualität zeigt sich alleine am servierten Garibaldi, der definitiv etwas völlig anderes ist als ein „Campari O“, und eine schlichte Schönheit präsentiert wie das selbst entworfene metallene Rührglas, das jedem Bartender Tränen der Sehnsucht in die Augen treibt. Ach, apropos Haareschneiden: Man hat da im Camparino noch einen edlen Barbier bei der Hand, der in gediegener Art-Deco-Atmosphäre die Schere klappern lässt, nicht ohne dem Kunden einen Drink aus der saloninternen Bar anzubieten. Mi-To gefällig? Oder doch Negroni?
Nik's & Co.
Wenn eine Bar floriert, obwohl sie gegenüber einer Polizeiwache liegt, dann ist das ein sehr gutes oder sehr schlechtes Zeichen. Bei Nik’s & Co. trifft definitiv Ersteres zu – offensichtlich scheinen auch die Carabinieri gegenüber die Bedeutung des Nik’s hoch einzuschätzen, ebenso wie die vielen Kolleginnen und Kollegen, die sich im Laufe des Abends, nach der eigenen Schicht, hier einfinden – und das ist mal definitiv ein Qualitätsbeweis, und zwar für jede Bar. Das Nik’s & Co. erscheint im Outfit einer klassischen Bar, es wird auch mal live Jazz gespielt, aber das Auftreten des Nik’s steht auch in dieser Hinsicht nur für das solide Fundament, auf dem man seine eigenen Kreationen aufbaut, sei es nun bei den Drinks oder auch in der Küche, denn das Nik’s ist eben auch ein vollwertiges Restaurant. „Pepper & Drink“ lautet das treffende Motto des Ladens, und am Ende kann man vielleicht auch erleben, dass sich nach Feierabend noch jemand ans Klavier setzt und man das göttliche Gefühl der Afterhour erleben darf. Die Ordnungsmacht scheint das nicht zu stören, und Foul ist erst, wenn der Schiedsrichter pfeift, das weiß man in Italien am Besten.
BV-Club (Cera)
Modern, angesagt und hip ist der BV-Club, jedenfalls, soweit das der Beurteilungskompetenz eines Rezensenten zu entnehmen ist, auf den keines der drei Adjektive zutrifft. In wenigen Monaten wurde hier ein hochwertiges Amalgam aus Club, Restaurant und Cocktailbar ins Leben gerufen, das dazu einlädt, alte Bedienkonventionen mal kurz über Bord zu werfen. An der Bar wird kenntnisreich Altbekanntes und Neues gemixt, eine Auswahl an Vintage-Spirituosen ist ebenfalls vorhanden, so dass man sich einen historischen Rob Roy geben lassen kann, während eine Elektro-DJane von einer Harfenistin begleitet das passende klangliche Crossover beisteuert. Natürlich verfügt man ebenfalls über eine Küche, und natürlich kann man da auch richtig gut Essen. Wie man überhaupt da so Manches gut kann, auch wenn man den letzten Elektro-Tanzkurs der Volkshochschule blöderweise verpasst hat.
Officina
Wenn man ein absolutes High-End-Produkt in eine ehemalige Karosseriewerkstatt hineinsetzt, dann ist die Verlockung zum Understatement groß. Wieso nicht das Ganze „Officina“ nennen, also „Garage“? Und auch der Außenbereich tarnt sich noch mit einer gewissen Nonchalance; einige der Glühbirnen, die den Namen des Lokals formen, sind ausgefallen, wenn auch auf eine derart pittoreske Art und Weise, dass man beinahe Absicht dahinter vermuten möchte – spätestens, wenn man dann die eigentlichen Räume betritt, vorbei an einem beiläufig im Eingang abgestellten Mini-Cooper und einer Wand voller Ölschinken, die, wie sich später herausstellt, aber samt und sonders vergangenes wie aktuelles Barpersonal darstellen. Drinnen dann findet man eine recht einzigartige Mischung aus Industrial, Lounge, Steampunk und Mailänder Modewoche vor, aber alles gewürzt mit Humor, Ironie und italienischer Lässigkeit. Wer kann, sollte sich aus der hervorragenden Küche ein Menü mit Cocktailbegleitung gönnen, wer weniger Zeit hat, darf es sich einfach an der Bar gemütlich machen und sich unter dem dort angebrachten großlettrigen Leitbild des Gefühls erfreuen, als Gast einer poetisch-künstlerisch relevanten Tätigkeit nachzugehen.
Moebius
Ein neues Gesicht auf der Mailänder Cocktailkarte ist das Moebius, das sich seine Ambitionen aber ebenfalls nicht durch die Vorstellungen eines reinen Getränkedienstleisters begrenzen lassen will. Das Moebius ist Cocktailbar und Lounge und Restaurant und man hat Livemusik da und auch noch nebenbei einen kleinen Schallplattenladen integriert. Ja, warum auch nicht. Architektonisch beeindruckend gelöst sind die verschiedenen Bereiche voneinander abgehoben, ohne im eigentlichen Sinn getrennt zu sein: der Speisebereich etwa stellt sich in Form eines frei im Raum hängenden Glaskubus dar. Das gastronomische Grundprinzip des Sehen und Gesehen-werdens wird so bestens umgesetzt, auch wenn man einfach nur an der Bar sitzen möchte, vor der mehreren Meter hohen Backbar, in der die Flaschen präsentiert werden wie die Handtaschen bei Gucci, und sich darüber freuen kann, dass das alles nicht nur sehr gut aussieht, sondern auch so schmeckt.
1930
Das Problem vieler Bars ist natürlich, dass das Gegenüber vieler hochprofessioneller Bartender manchmal bestenfalls Amateurstatus mitbringt. Hinter den Tresen darf nur eine geschulte Elite, vor den Tresen jeder, der alleine in seine Hose gefunden hat. So ungefähr. Damit soll nun aber keine Forderung nach einer härteren Tür verbunden sein, sondern die Anregung zu einer Qualifizierungsmöglichkeit für den aufstrebenden Getränkekunden; etwa so, wie das die Bar 1930 in Mailand macht: das Lokal (dessen Name keine Jahreszahl ist, sondern irgendwas mit Buslinien zu tun hat) ist ein Speakeasy. Ach was, mag man da sagen, ganz was Neues. Allerdings meint man es im 1930 ernst – man will da nicht gefunden werden; zumindest nicht gleich und nicht von jedem. Man muss sich den Eintritt erst würdevoll ertrinken, und zwar in einem der anderen Betriebe der Betreiber (beispielsweise dem Mag Cafè). Wer sich da bewährt, dem wird der Zugang ins 1930 gewährt, und auf diese Weise zeigt sich endlich mal ein Eliteverständnis, das auf Können anstatt auf Kleidung beruht. Drinnen findet sich eine Mischung aus Kaffeehaus-Gemütlichkeit und Cocktail-Avantgarde, mit einer Karte, deren Produkte auf den Blättern einer Topf-Agave zu finden sind. Man verspürt sofort das Gefühl der Belohnung, das aus einem völlig unterschätzten Talent erwächst und nun endlich anerkannt wird: als Gast etwas zu taugen.
Cracco
Nur wenige Meter vom Camparino entfernt liegt das Ristorante Cracco, welches natürlich nicht weniger edel ist, aber auf eine andere Art: das Cracco atmet, obwohl es gar nicht so besonders alt ist, den Geist vergangener Jahrhunderte, mit dem Mosaikboden, dem Messing-Aufzug und den Wandpolstern. Hier könnte der Gattopardo bei einem Aperitiv den Niedergang seines Fürstengeschlechts kontempliert haben; hier fühlt man, dass das Risorgimento, die Bewegung zur Einheit Italiens, mehr war als der Lokalnationalismus der Lega Nord. Und hier kann man sich, vorbei an Café und Ristorante, in die Bar im Obergeschoss zurückziehen, wenn man mal Augen und Gaumen eine Pause von all der angesagten Postmoderne gönnen will. Der Gaumen labt sich dabei vor allem an der Art, wie Carlo Cracco Spirituosen neu denkt, wie etwa seinen klaren Limoncello, den er aus den Abgründen der industriellen Gefälligkeit herausholt und die sensorische Wiedererkennung vor den Louche-Effekt setzt. Der Wiedererkennungswert Craccos, der in Italien eine Art Johann Lafer in Gutaussehend ist, steht ohnehin für eine Qualität, die keine Farbeffekte nötig hat.
Galleria Vittorio Emanuele II, 20121 Milano
Offenlegung: Die Tour durch Mailand erfolgte auf Einladung des Magazins Blue Blazer. Es erfolgte kein Einfluss auf den Umfang und die Art der Berichterstattung.
Credits
Foto: Fotos via Blue Blazer
Adrian Winter
Wasser!
Edwin Spiegel
Ja, Wasser und das würde er in einen nie endenden Gin Tonic verwandeln!