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To Live and Rye in L.A.: auf Bartour am Sunset Strip  

Der Sunset Strip, die Rock’n’Roll-Meile von Los Angeles, wird immer schicker. Vor allem an der Hotel-Bar lebt der Mythos von einst. MIXOLOGY ONLINE auf einem Trip zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Blaue Stunde auf dem Sunset Strip. Die Sonne ist hinter den Hügeln von West Hollywood abgetaucht und hüllt eine der bekanntesten Straßen der Welt in lila-orangenes Licht. Riesige Billboards im Megaformat werben für die neueste Folge der „Avengers“-Saga. Dichter Feierabendverkehr, der hier zwölf Stunden am Tag herrscht, staut sich an der Einmündung zum Crescent Heights Boulevard; der Sound der Motoren als ständiger Begleiter.

Sunset Strip, Bars und die Jeunesse dorée

Im Sunset Trocadero ist Happy Hour von sechs bis acht Uhr. Ein schmuckloser Backstein-Flachbau, der immerhin den Namen des legendären Nachtclubs der 1930er und 1940er-Jahre trägt. Heute erinnert zumindest im Logo ein überschwappendes Martiniglas an den swingenden Glamour von damals, als am Strip noch Fred Astaire oder Judy Garland verkehrten.
Allerdings ist der heutige Nachfolger eher Treffpunkt für die Nachbarschaft. Einige Touristen sind auch da. Man sitzt auf einer schmalen Veranda und schaut Porsches, Ferraris oder dem Bus der Linie 2 zu, der den fast 40 Kilometer langen Sunset Boulevard entlang schnauft. Im Angebot sind Cocktail-Klassiker wie Sidecar oder Appletini. Es geht kalifornisch servicefreundlich zu, am Vorabend netterweise unter zehn Dollar pro Getränk.
Solider Standard in fabulöser Umgebung. Ein unprätentiöser Einstieg in eine Wunderwelt, die sich oftmals erst auf den zweiten Blick erschließt. Schließlich setzt man hier gerne auf dezente Abschottung. Die Neueröffnung The Hyde ist etwa hinter einer hohen Liguster-Hecke zu finden. Ein schwarzer Bungalow für die Jeunesse dorée, die sich zu Cocktails mit DJ-Begleitung trifft. Wer dazugehört, darf für 15 Dollar immerhin einen „Mezcal Penicillin“ (El Silencio Mezcal, Zitronensaft, hausgemachter Honig- und Ingwersirup, Zitronenöl) schlürfen.

Whisky A Go Go: Girls und Doors

Der zentrale Abschnitt des Sunset Boulevard, rund 2,5 Kilometer lang, war in den Roaring Twenties noch ein berüchtigter Gangster-Treff, im quasi rechtsfreien Raum knapp außerhalb der Stadtgrenzen von Los Angeles. Nach der Mafia kamen die Film- und Rockstars, deren Mythos sich erst hinter den Fassaden erschließt. Im Whisky A Go Go, wo die jungen Doors debütierten, wurden auf der Tanzfläche die Go-Go-Girls erfunden.
Im Viper Room schoss sich Mitte der Neunziger River Phoenix aus der Leben. Für seinen Bildband Every House at Sunset Strip fotografierte der US-Künstler Ed Rusha einst jedes Gebäude, jede Leerstelle von der Ladefläche eines fahrenden Lieferwagens und fügte die einzelnen Aufnahmen zu einem lang gestrickten Sunset-Leporello zusammen. Hotels, Rockclubs und Drive-in-Diners, Tattoo-Studios in Leichtbau-Kisten, die den einzigartigen Charakter dieser schimmernden Rennstrecke prägen. Zuletzt wurde diese Kulissen immer schicker. Das „House of Blues“ ist abgerissen, Larry Flints Hustler-Sexshop-Palast – Hausnummer 8920 – soll demnächst einem noblen Immobilienprojekt für Hotel, Gastro und Luxus-Appartments weichen.

Bars mit flüssigen Konzeptideen statt Groupie-Exzessen

Prominentes Beispiel dafür ist das zu Hyatt gehörende Andaz West Hollywood, 300 Meter von der Trocadero Lounge entfernt. Das Gebäude beherbergte einst das „Hilton Continental House“, in dem Led Zeppelin ganze Etagen angemietet hatten und Sänger Robert Plant angesichts der monsterhaften Reklametafeln ihres 1975er Albums Physical Graffiti vom Balkon brüllte: „I am a Golden God!“.
Kollege Keith Richards feuerte aus Zimmer 1015 kurzerhand einen Fernseher vom Balkon. Mittlerweile ist daraus ein smartes Design-Hotel geworden, das die glorreiche Vergangenheit mit ikonenhaften Schwarz-Weiß-Fotos und allerlei Rock’n’Roll-Memorabilia pflegt. Standesgemäß gibt es einen Pool auf dem Dach.
In der lichtdurchfluteten „Riot House Bar“ blickt man direkt vom Tresen auf den Strip. Ein Japaner mit Pilzkopffrisur – Designer oder Elektronik-Popstar? – debattiert mit einem blonden Model. Cool und easy wie aus dem Bilderbuch. Viele Engländer und Australier, die im minimalen Ambiente auf die wilden Zeiten anstoßen. Drinks heißen hier wortspielerisch wie Songtitel oder Popstars: „Mötley Mule”, „Rum This Way“ oder „Smokey Robinson“ (Maker’s Mark, El Silencio Joven, Limette, Honig). „Back To Black“ heißt der Mix aus weißem Casamigos Tequilla, Crème de Violette, Zitrone, Brombeere und Rosmarin. Aus Groupie-Exzessen und zertrümmerten Fernsehapparaten sind flüssige Konzeptideen für den Tresen geworden.

Die ultragesunden Siegertypen des Sunset Strip

Schräg gegenüber im Sunset Tower Hotel, das in einem Art déco-Turmbau aus den 1930ern residiert, geht es klassisch-gediegen zu. Alte Schule mit livriertem Personal und einem Counter am Eingang. Vanity Fair feierte hier 2017 seine Oscar-Party. Eine aufmerksame Empfangsdame geleitet einen an die Bar, die durch die Fensterfront einen Blick auf das Häusermeer im Abendflimmern erlaubt.
Das Interieur besteht aus dunkler Verfehlung und neckischen Leuchtern. Wallnussholz-Atmo alter Schule. Cocktails wie der „Tower Smash“ (Milagro Reposado Tequila, Basilikum, Zitrone und Ingwer) kosten 19 Dollar. Im gedämpften Tonfall ultragesunder Siegertypen wispert das Selbstbewusstsein von Business-L.A. Ein bandanagekrönter Lederjackentyp fläzt sich mit seiner Size-Zero-Begleiterin in einer Sitzecke. Ohne Guns’n’Roses-Style geht es selbst hier nicht.

Keine Bar im legendären Chateau Marmont

Vorbei an einem Diner im Eisenbahnwagen und einer zünftigen Holzranch für Gegrilltes geht es zum Chateau Marmont, dem vielleicht legendärsten Rock’n’Roll-Hotel der Welt, dem Jarvis Cocker und Chilly Gonzalez letztes Jahr mit ihrem Album Room 29 ein kleines Denkmal gesetzt haben. In einer langgezogenen Kurve weiter erhebt sich das französische Fake-Loire-Schloss etwas zurückgebaut in die Berge. Auch hier setzt man auf dezente Abschottung. Wo man Stars keinerlei Fan-Terror aussetzen will, übernimmt der Schalter für den Valet-Parkservice am Eingang eine Art Türsteherfunktion.
Durch eine holzgetäfelte Lobby, eine Mischung aus Schloss und Hazienda, geht es in einen halboffenen Innenhof. Die legendäre Bar, die Drinks wie „Forbidden Fizz“ für 20 Dollar (Rye Whiskey, Angostura Bitters, Zitrone, hausgemachte Grenadine und Eiweiß) kredenzte, ist seit letztem März geschlossen und soll in absehbarer Zeit auch nicht mehr geöffnet werden, heißt es auf Anfrage.
Immerhin lässt sich die geschäftige Aura der Showbiz-Gesellschaft auch im hauseigenen Café-Restaurant erleben, wohin gleichsam die Cocktail-Karte gewandert ist. Im Szene-Blatt „L.A. Weekly“ munkeln sie von einer Wiedereröffnung der legendären Bar als Fusion-Restaurant. Bekanntlich ist der Tresenbetrieb in Los Angeles eine kostspielige Angelegenheit, die berüchtigte „Liquor Licence“ der Behörden hat es in sich: Rund 15.000 US-Dollar Minimum sind vorab fällig (in Oregon kostet ein ähnliches Papier gerade einmal 500 Dollar!). Dazu sind zusätzlich Ablösegebühren fällig, wenn man keine Parkplätze stellen kann. Bis diese Genehmigung endlich erteilt wird, vergehen lange Wartezeiten – ergänzt von ständigen Kontrollen des Gewerbeamtes. Kein einfaches Pflaster für eine kreative Bar- und Thekenkultur und sicher ein Grund dafür, dass Hotelbars am Sunset mittlerweile die Barszene dominieren.

Mondrian, The Bar for Shiny Happy People

Selbst die junge Szene trifft sich im Mondrian mit seiner Pool-geschmückten „Skybar“ (die hier im Erdgeschoss liegt?!). Der Partyort am Wochenende, entsprechend streng ist Türpolitik. Während der Woche herrscht weniger Gästelisten-Alarm. Dann bleibt das Mondrian der Parade-Ort für shiny happy people (Drinks um die 16 Dollar); auch wenn sie im Außenbereich – wegen des Pools – in Bechern aus transparentem Hartplastik serviert werden. Aber das kennt man ja.

Credits

Foto: Robert Landau

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