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Glücklicher Süden! Auf Bartour in Barcelona

Bar-Legenden wie Dry Martini prägten den Ruf der gesamtspanischen „coctelería“ schon vor Jahrzehnten. Nachfolger wie Dux, Dr. Stravinsky oder Two Schmucks emanzipieren sich heute von zu viel Klassizismus.Eines aber ist klar: In Sachen Drinks war Barcelona schon immer unabhängig. Roland Graf auf einem ausführlichen Streifzug durch „Cocktalanien“.
„Als Besucher von Barmessen habe ich festgestellt, dass die Mehrheit der Speaker aus Spanien eines gemeinsam hatte: Sie lebten in Barcelona”. Nein, hier spricht kein katalanischer Patriot, sondern der gebürtige Kolumbianer und Cocktailbuch-Autor George Restrepo. Er kuratiert gerade die erste „Barcelona Cocktail Art“ (im April 2018 im Rahmen der Messe „Alimentaria“) und spricht von rund 30 Inhaber-geführten Bars, die das Qualitätslevel der Stadt prägen. Die international Bekanntesten reiht er gleich einmal auf: Boadas, Dry Martini, Solange, Dr. Stravinsky und Paradiso.

Signature Drinks am digitalen Counter

Der Fokus der Bar-Szene hat sich durchaus verschoben in den letzten Jahren, auch wenn sich Touristen gerne rund um die Ramblas die Kante geben. Pioniere im Trendviertel San Antoni brachten mit Lokalen wie der „XIX“-Bar auch abseits des Barri Gòtic Trinkkultur nach Barcelona, die Hipster kennen ohnehin nur mehr Raval als Ausgehmeile.
An Javier de las Muelas und seinem „Dry Martini“ führt für Cocktail-Liebhaber aber kein Weg vorbei. Denn der legendäre Barchef, der heute Hotelbars im fernen Japan berät, hat den Martini praktisch zu einer abstrakten Kunstform erhoben. Die Coupette im Mondrian-Stil neben dem Eingang passt dazu wie die weißen Dinner-Jackets, in denen die Crew die Zahl der verkauften Signature Drinks am digitalen Counter in die Höhe treibt.

Pharisäer im Martini-Tempel

Doch auch die Martini-Macht hat ihre dunkle Seite. „Du siehst so angespannt aus“, lallen hier keine leichten Mädchen, sondern kanadische Touristen dem faszinierten Zuschauer ins Ohr. Der Fluch der abzuhakenden „bucket lists“ hat auch diesen eleganten Ort im Griff. Da kann Head-Bartender Ceferino, längst selbst eine Legende, noch so elegant für die schwimmende Eisschicht des „Martini frappé“ sorgen. Länger als fünf Minuten brauchen Instagrammer im „been there, done that“-Modus nicht, um dieses Kunstwerk zu profanieren. Selbst eine einfache Portion Gin rührt Ceferino im 40 Zentimeter hohen Glas kalt. Und er ist sich auch nicht zu schade, bei einem Whisky-Cola das Schmelzwasser abzugießen.
Dabei gibt es auch in diesem zeitlosen Raum an der Calle Arribau Innovationen abseits des flüssigen Touri-Pflichtprogramms: Der „Carnyvore“ beispielsweise bringt Szechuan-Pfeffer und Maracuja mit Pisco zusammen (21 Euro). Der neue Flyer am Tresen verspricht sogar ein Update des namensgebenden Martinis mit „intenso sabor y baja graduación“. Die „low ABV-Version“ mit frischen Früchten gibt es in acht Geschmacksrichtungen (á 12,50 Euro), „Lychee & Cherry“ beschließt den Aufenthalt in diesem Trink-Tempel, dem man weniger Pharisäer mit Tramper-Rucksack wünscht.

Tandem-Trinken im roten Kilt

Deutlich kleiner, wenn auch nur unwesentlich jünger als diese 1978 eröffnete Institution ist das „Tandem“ ein paar Schritte die Straße hinunter. Das schlauchartige Lokal reiht eine auffällig inhomogene Mischung aller Altersstufen entlang des Nussholz-Tresens auf wie in Edward Hoppers Gemälde „Nighthawks“. Unaufgeregt und international geht es zu, wenn Laura Ferro ihren Laphroaig-Drink „Red Kilt“ erklärt. Die neue Karte hat erst vor Kurzem den Barnamen zu einem interessanten Ordnungsprinzip erkoren: Von jeder der acht Basis-Spirituosen des Hauses gibt es zwei Varianten zu verkosten. Der „Ophir Gin“ kommt so einmal als Karotten-Bloody Mary („Carrot Snap“) zum Gast, dann wieder mit Ras el Hanout und Tee-Sirup („Zoco“).
„Wir hatten nie eine Karte und schauen einmal, wie das ankommt“, erklärt der charmante Santiago, der überall an den beiden Mix-Stationen des Tandem zu sein scheint. Höflich warnt er, dass es bei vollem Haus länger dauern könnte, wenn man wirklich die Vergleichskost der beiden Drinks anstrebt. „Fühl dich wohl“, gibt er dem Gast noch als kostenlosen Tip mit. Denn Wasserservice und Barsnacks gehen sich in der Hitze des Gefechts nicht aus. Denn schon müssen Santiago und Laura erklären, wie man für den „Red Kilt“ im Internet abstimmt. Eine Besprechung des Drinks kann dem Gast nämlich den Preis – ein Zehner und damit ein Euro mehr als für die übrigen Drinks stehen zu Buche – sparen.

Bar Ideal: sechs Jahrzehnte Whisky-Kompetenz

Das rechtwinkelige Bar-Dreieck in der Calle Aribau komplettiert das „Ideal“. Gegenüber dem Tandem verheißt der nächste Stopp „Gotarda since 1931“, wobei in Sachen „coctelería“ eigentlich 1958 das entscheidende Jahr darstellt; da erst wurde das Ideal von einer Trinkstätte der Nachbarschaft zur Bar, die mit Negroni und Co. für Innovation sorgte. Der Mann hinter diesem Konzeptwechsel sieht in der Porträtgalerie der Familie Gotarda aus wie Grandpa Munster. Doch mittlerweile führt ohnehin die dritte Generation – Josep Maria Gotarda – die Geschäfte der Bar. Am Tresen sorgen aktuell Guillermo und Sergi für die Abstimmung der Drinks, letzterer erweist sich als fingerfertiger Pinzetten-Künstler. Selbst einen Strohhalm greift er mit der Zange, was in diesem Ambiente irgendwie passt: Gediegen wie im Inneren eines Louis Vuitton-Koffers sitzt man hier. Und blickt auf den metallenen Dudelsack-Spieler, der so etwas wie das Maskottchen der Ideal darstellt. Denn Single Malt ist die Kernkompetenz dieser zeitlosen Zone.
Die Cocktailkarte hingegen besteht seit langem aus einem Zwei-Seiter, der so auch in einem Single-Hotel oder an der Après-Ski-Bar aufliegen könnte. Sex on the Beach steht neben dem Cosmopolitan. Doch, halt! Zum einen ist die Ideal die erste Bar mit Wasserservice auf unserer Tour. Was aber noch wichtiger ist: Die Aromen sitzen hier wie die weißen Jacken der Bartender (wobei uns wahrscheinlich das makellose Weiß des Pisco Sours zu diesem Vergleich führt). Einen Hinweis gibt uns Sergi noch zum Abschluss, als wir überlegen, ob wir lieber ins „Boadas“ aufbrechen sollen oder doch gleich ins Gassen-Geviert des Barri Gòtic: „Wenn wir klassisch sind, dann ist Boadas super-klassisch“. Im Zweifel siegt also die Neugierde und damit die Altstadt. Auch wenn das katalanische „Ciutat Vella“ noch lustiger klingt, wenn der ivorische Taxifahrer es ausspricht.

Chefarzt-Konsultation bei Dr. Stravinsky

Der Spaß endet allerdings auf der Suche nach der Adresse des Dr. Stravinsky. Der Grundriss des Gotischen Viertels erinnert nämlich frappant an das hölzerne Labyrinth, durch das wir als Kinder im Jahre Schnee Murmeln trieben. Das würde man heute wohl am Handy spielen, doch genau das ist auch keine große Hilfe zwischen all den fünf Meter langen, rechtwinkelig abbiegenden und doch im Kreis führenden „Calles“. Männer fragen bekanntlich nicht nach dem Weg, außer ein Lokal lädt so nett dazu ein wie das „Story“: Wo „Jazz & Books“ auf der Schiefertafel steht, kann man zweifellos bei einem Zwischengetränk verweilen, um über die Topographie nachzusinnen. Der „Naked & Famous“ eignet sich vortrefflich dazu, es ist ein mit gelber Chartreuse und Aperol sowie etwas Zitronensaft gehörig verstärkter Mezcal-Drink, nachdem man sich im Stande fühlt, den Gewaltmarsch zum eigentlichen Ziel anzutreten.
Gefühlte 120 Meter weiter wartet dann der einladende Trink-Triptychon namens Dr. Stravinsky. Schon durch die drei Fensterpaare leuchten die Regale mit den eigenen Spirituosen. Drinnen erfüllt Yeray Monforte, der Mann aus Valencia, die Wünsche der Gäste bis drei Uhr morgens. Seine Bewegungen sind schnell und präzise. Da wird ein Milk Punch ausgarniert, während parallel schon der Aquavit für den „90 Millas“ (der Distanz von Miami nach Kuba gab schon Gloria Estefan einen Albumtitel) gerichtet wird. Jägermeister und ein Bananen-Shrub sorgen für Tiefgang bei diesem Rum-Drink. Der Bestseller der 2017 eröffneten Bar, so Manager Antonio Naranjo Nevares, sei aber der „Camp Nou“, den jeder Fußballfan praktisch ordern muss. Doch auch der „Disco Sour“, in dem Pfeffer und Himbeere für den Funk-Soundtrack sorgen, zeigt den Zugang der besten europäischen Neueröffnung bei den MIXOLOGY BAR AWARDS 2018.
Der Start ist gelungen, die Auszeichnungen aus Spanien wie Deutschland häufen sich. Doch man sitzt bereits am nächsten Drinks-Menü, das dann in Richtung Fermentation gehen soll. Eine an „Kwass“ erinnernde Mischung aus Kaffir-Limetten-Kombucha stellt die Vorhut dar, von der wir einen Schluck nehmen. Der erwähnte „Tiki Punch“ mit dem weißen Schoko-Touch und seinen lustigen Farbflecken darauf erinnert uns dagegen an eine Eigenheit der Barszene Barcelonas: Garnituren werden spärlich eingesetzt. Wenn Obst verwendet wird, dient es hier eher als Geschmacksgeber denn als protzende Kühlerfigur am Ballonglas. Glücklicher Süden, der solche Früchte hat!
Eine weitere Beobachtung kann man in Naranjo Nevares’ Bar machen: Denn der Spagat zwischen der hohen Drink-Qualität und den bescheidenen Preisen im Dr. Stravinsky ist augenfällig. Neun Euro kosten hier die mit aufwendigen Prep Kitchen-Zutaten hergestellten Drinks. Über das Gastro-Lohnniveau Kataloniens wollen wir um diese Uhrzeit lieber keinen Diskurs starten. Doch zumindest das Publikum dankt es. Locker wird nachbestellt, zumal auch ein „Truffle Dry Martini“ in dieser Preiskategorie wartet. „Wir wollen eben, dass man mehr probiert bei uns“, erklärt Dr. Stravinskys Sprechstunden-Hilfe Antonio die Hauspolitik, während wir uns mit ihm auf den Weg in eine weitere Trinkstätte befinden.

Badewannen-Schlürfen im Dux

Die Aufbruchstimmung Barcelonas und die Freude am eigenen Lokal haben hier ein Gesicht: Angel David Asensio Carrión, der Rennrad-Fahrer aus dem „Dux“, hat innerhalb von zwei Monaten eine ehemalige Craft Beer-Bar in eine zeitgemäße Cocktail-Location verwandelt. Das Konzept der großzügigen zwei Räume gibt dem Publikum Freiheit, hinterm Tresen nehmen sie sich Angel und sein Team. So entstehen Drinks, die man im Dux der Einfachheit halber gleich unter der Überschrift „The Instagramers“ listet. Das „Hässliche Entlein“, ein Sour, wird in einer Badewanne mit Schwimm-Entchen gereicht, der „Eggscuse me“ kommt im Keramik-Ei zum Gast.
Die hausgemachten Infusionen der Gin-Spezialisten reihen sich wie im Periodensystem beschriftet entlang der Bar auf. Schwarzer Knoblauch, Wasabi, Pink Pepper, etc. – die Auswahl für den „G&T“ zu neun Euro (Barcelonas liebste Preisangabe?) fällt hier wahrlich nicht leicht. Gibt man Angel David aber „Carte blanche“, kommt der Tangerine-Gin aus dieser Selektion zum Einsatz oder er reicht dem Gast seinen Signature-Tequila-Drink „The Smoky Bubble“ mit Guavensaft. Auch im Dux wird nicht mehr als zehn Euro für aufwendigste Drinks verrechnet.
In unser Herz mixt sich der Barchef aber mit einem Remember the Maine gegen drei Uhr morgens. Nicht nur, dass es den Drink überhaupt auf der Karte gibt, auch wie der Hauswermut die Aromen abrundet, hat Klasse. Ganz nebenbei dürfte das Dux auch die einzige Bar in Barcelona sein, in der Filliers Gin, Habbel Westfälischer Doppelwacholder (!) und Aalborg Aquavit im Rückbuffet stehen.

Raval: Mojito statt Marschierpulver

Wem das immer noch zu wenig Berlin in Barcelona ist, sollte eigentlich gar nicht hier sein. Oder sich ins gerade gentrifizierte Altstadt-Viertel „El Raval“ begeben. Immer noch findet man hier in den Hinterzimmern Klodeckel voller Kokain und smarte Dealer, die erklären, warum diese Qualität „alita de mosca“ (Fliegenflügel) genannt wird. Doch ihre Tage sind gezählt. Zumal es legale Suchtmittel gibt wie die „Curry Colada“, die Moe Aljaff und Ahmed Moussa White in ihrem „Two Schmucks“ mixen. Aus der ebenfalls nicht zu verachtenden „Betty Ford’s“-Bar stammen die Burger, denn im ehemaligen Taco-Laden regiert heute ausschließlich der Cocktail. Wenn nicht gerade ein Tresen-Takeover durch Größen wie Remy Savage oder Emil Åreng ansteht, ordert man am besten den Minze-satten Mojito bei Moe, der unter anderem im Himkok in Oslo werkte, ehe er im Vorjahr in Barcelona eröffnete.
Überhaupt stellt der Carrer de Joaquín Costa quasi das Gegenmodell zu den gediegenen Trinkstätten der Calle Aribau dar. Beton und elektronische Musik regieren hier als Alternative zu Tropenholz und Sinatra. Aber wie würde George Restrepo sagen? Barcelona hat eben beides. Ganz „unabhängig“ vom Rest Spaniens.
Tipp:
Die erste „Barcelona Cocktail Art” findet als Teil der „Alimentaria” von 16. bis 19. April 2018 statt, Tickets sind um 30 Euro im Vorverkauf über die Homepage erhältlich: alimentaria-bcn.com/en/

BARS IN BARCELONA:

Boadas
Tallers 1
08001 Barcelona
boadascocktails.com
 
Betty Ford’s
Carrer de Joaquín Costa 56
08001 Barcelona
 
Dr. Stravinksy
Carrer dels Mirallers, 5
08003 Barcelona
drstravinsky.cat
 
Dry Martini
Calle Aribau 162
08036 Barcelona
drymartini.org
 
Dux
Carrer dels Vigatans 13
08003 Barcelona
duxborne.com
 
Ideal
Calle Aribau 89
08036 Barcelona
idealcocktailbar.com
 
Story
Calle Pou de la Cadena 8
08003 Barcelona
 
Tandem
Calle Aribau 86
08036 Barcelona
tandemcocktail.com
 
Two Schmucks
Carrer de Joaquín Costa 52
08001 Barcelona
facebook.com/schmuckordie/
 
XIX Bar
Rocarfort 19
08015 Barcelona
xixbar.com

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