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Dem British Empire auf der Spur – Teil II

Anfang der Woche hatten wir uns aufgemacht in die Kolonialzeit, in die goldene Ära des britischen Empires. In den Clubs tummelten sich die die Herren der besseren weißen Gesellschaft in weißen Anzügen. Doch können die Bars von damals auch heute noch den Glanz des Viktorianismus verströmen?
Selbige ist auch heute noch im originalen Kolonialstil erhalten. Umgeben mit reichlich Teakholz wird einem frische Luft von ehemals handbetriebenen, Bananenblättern nachempfundenen Deckenventilatoren zugefächelt. Währenddessen übersähen allerlei Herrschaften den Boden traditionsgemäß mit Erdnussschalen.
Hinter der Bar stehen aus heutiger Sicht nur zweitklassige Spirituosen samt Leuchtreklame. Auch der Sling nach geschätztem Originalrezept (welches bei einem Feuer 1930 verloren ging) ist ein in wässrigem Eis ersäufter, rötlicher Zuckersaft. Zugegebenermaßen ist ein Besuch hier für den anspruchsvollen Trinker ein kleiner Schock.
Doch dämmert dem Autoren, dass es vielleicht auch “nur” ein Blick zurück in die Zeit ist, und dies vor hundert Jahren eine Weltklasse-Bar gewesen wäre. Gut möglich, dass die Raffles Bar in all den Jahren keinen Deut schlechter geworden ist. Nur haben offenbar unsere kulinarischen Ansprüche dieses Etablissement längst hoffnungslos überholt.
Auf den Spuren Kiplings und Orwells
Im Flugzeug sitzend überqueren wir das damalige Siam und Malaya und überbrücken in wenigen Stunden 2000km, was damals eine gefährliche Reise von Tagen oder Wochen gewesen wäre. Burma war das Heimatland Rudyard Kiplings und heißt heute Myanmar.
Jahrzehnte des Embargos erhielten dem Land einen unverwechselbaren Charakter abseits der westlichen Mainstreamwalze. Der letzte Atemzug des Empire weht hier noch durch die Straßen.
Rangoon, du Tor ins “Früher
Besonders in Rangoon, welches nun seit einigen Jahren wieder “Yangon” heißt, ist man allerorts von imposanten Kolonialbauten umgeben und fühlt sich in Indiana-Jones-Filme versetzt.
George Orwell arbeitete hier und weiter stromaufwärts des majestätischen Irrawaddy-Flusses. Sein Erstlingswerk „Tage in Burma“ wurde hier geschrieben und schärfte sowohl seine ätzende Feder, als auch seine Verachtung für das koloniale System.
Das hiesige Pendant zum Raffles Hotel heißt The Strand Hotel und wurde vor wenigen Jahren liebevoll restauriert. Über Pfützen aus blutroter Betelspucke in den Gassen steigend, genießen wir die Ruhe und Reinlichkeit der hiesigen, über 100 Jahre alten Long Bar.
Wermut statt Bitters?!
Einen eigenen Drink hat dieses Hotel zwar nicht hervor gebracht. Doch war die Bar des damals angeblich „besten Hotels östlich des Suez“ schon immer ein Magnet für alle Schönen und Reichen und bot daher exzellente Qualität.
Wir bestellen uns selbstverständlich einen Pegu Club, welcher in der kleinen Karte aus Cocktailklassikern dankenswerterweise Platz fand. Unglücklicherweise wird jedoch kein Angostura Bitter, sondern süßer Wermut genutzt.
Gleichzeitig wird das Eis scheinbar noch immer mühsam herangeschleppt, denn viel gönt man dem Shaker davon nicht. So schmeckt das Resultat zwar deutlich besser als unsere Erfahrung in Singapur, doch “Weltklasse” suchen wir dennoch vergebens.
Wir sind jedoch dankbar, dass die Bartender hier inzwischen aus freien Stücken arbeiten, und insgesamt auch gut in das Bild einer mahagonivertäfelten Bar passen, welche uns angenehm in der Zeit zurückversetzt.
Zahn der Zeit
Abschließende Krönung dieser Recherche sollte der vor 130 Jahren gegründete Pegu Club werden. Nur wenige Kilometer vom The Strand Hotel – und damals sicherlich inmitten des Dschungels – gelegen, müssen wir uns durch staubige Straßen mühen, um dann hinter einer verfallenden Mauer die lange aufgegebenen, doch noch immer majestätischen Gebäude des Pegu Club ausfindig zu machen.
Doch die ehemals berühmte Bar existiert nur noch in den Geschichtsbüchern. Und natürlich in New York City, wo Audrey Saunders mit “ihrem” mehrfach prämierten Pegu Club diesen ehrwürdigen Namen am Leben hält.
Von Behelfswohnungen und flüssigen Umrissen
Mit einer dicken Staubschicht und Spinnennetzen überzogen, sind die nun einzigen Mitglieder im ehemals ehrwürdigen Klub tollwütige Hunde. Und während ärmliche Einwohner die angrenzenden, alten Wirtschaftsgebäude mühsam zu Wohnstätten zusammenflicken, bleiben die verspiegelten Ballsäle, einbrechenden Veranden, verzogenen Obergeschosse und dämmrigen Lounges unangetastet.
Die Umrisse der ehemals berühmten, nun schon lange herausgerissenen Bar sind noch in den Boden gestempelt und wir versetzen uns kurz in den alten Glanz dieses tatsächlich riesigen Anwesens. Kurz lebt die Zeit der Kristallleuchter und goldverzierten Teller wieder auf, Rudyard Kipling sitzt noch immer in seiner Ecke und hört britischen Soldaten zu.
Wir hören Echos der rauschenden Empfänge, welche sich hier über Marmortreppen auf das Teakparkett ergossen, bevor sich der Schleier vor unseren Augen wieder lichtet und wir traurig in den nun toten Saal vor der Bar blicken. Also heben wir nur in Gedanken unser Glas und stoßen mit einem Pegu Club auf den unbekannten Erfinder des Hauscocktails an.
Es wird Zeit, die Geschichtstournee abzuschließen, und sich wieder in die Bars des 21. Jahrhunderts zu begeben, in welchen die früher wohl manchmal kruden Drinks so nach imperialer “Weltklasse” schmecken, wie wir uns das von den Originalen vorstellten…
Raffles Hotel Singapur
1 Beach Rd, 189673 Singapur
The Strand Hotel
92 Strand Road, Yangon, Myanmar
Pegu Club
Pyay Rd (gegenüber der Russischen Botschaft), Yangon, Myanmar

Credits

Foto: Gentlemans Club via Blackwatch

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