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Das Loft: Rote Bete nippen am Donaukanal

Sommelier Steve Breitzke bekommt Konkurrenz von der Cocktail-Bar Das Loft. Mit Michael Fortner hat die Lounge mit der spektakulären Decke einen Barchef, der sich mit dem Koch versteht und noch dazu die Klassiker liebt.

Lassen wir am Anfang einmal dem Ärger freien Lauf: Die traditionelle Restaurantkritik scheint auf dem Cocktail-Auge nach wie vor blind zu sein. Während der aktuelle Gault Millau – und im Gefolge alle wichtigen Publikationen – den seit März im Wiener Sofitel aufkochenden Fabian Günzel als Aufsteiger des Jahres lobt, erfährt man von den angebotenen Drink-Pairings zu seinen Kreationen leider nichts. Was schade ist, denn mit dem ein knappes Jahr länger amtierenden Bar-Chef Michael Fortner hat sich hier ein in dieser Liga ungewöhnlich gut eingespieltes Team gefunden. Der Wiener Barveteran (u. a. Scotch Club, Motto) kannte den deutschen Kochaufsteiger schließlich schon von der gemeinsamen Sportleidenschaft, ehe Günzel in den 18. Stock am Donaukanal nachrückte.

Sportkamerad in der Haubenküche

Womit ein Zusammenspiel begann, das Phase zwei in der Fortner’schen Arbeit im Turm einläutete: Zur Gänseleber des Shooting Stars reicht man eine Mixtur aus Rote Beete-Saft, Thymian und Agavensirup. Und die Basis-Spirituose? Die gibt es nicht, denn Fortner kann durchaus auch alkoholfreien Drinks etwas abgewinnen. Das Königskraut etwa, aromatisch ein Mittelding zwischen Mojito und Apfel-Smoothie, zeigt, dass dies durchaus funktioniert. Grüne Frische von Äpfel und Basilikum trifft dabei auf Traubensaft, Holunderblüten, Ingwer und Limette. Doch auch, wenn Prozente im Spiel sind, überraschen die Pairings. Der Manhattan, den man im Loft zum Speckbrot reicht, wird mit hausgemachtem Honiglikör seiner Schärfe beraubt. „Das schmeckt dann plötzlich auch vielen Damen“, freut sich der Barchef.

Und nicht zuletzt eröffnet die Zusammenarbeit mit seinem Sport-Buddy Günzel auch viele Möglichkeiten beim Garnieren der Drinks. Getrocknete Früchte, etwa die gedörrte Ananas zur Piña Colada, stehen momentan hoch im Kurs. Solche kleinen Details sind wichtig, was uns zu Phase eins in Michi Fortners Loft-Zeit bringt. Denn die ursprüngliche Barkarte wurde radikal umgekrempelt, ein einziger Drink war sakrosankt. Der Pipilotti Bellini (€ 21) spielt schließlich auf die Künstlerin an, deren Deckengestaltung dem Sofitel einen Platz in allen Wien-Reise-Reportagen gesichert hat. Für die Hommage an Pipilotti Rist gießt Fortner Pfirsichpüree, Peach Brandy und Grand Marnier mit Gosset-Champagner auf. Die Hausmarke gibt es auch als Champagner-Flight zu drei Mal 0,05 Liter (€ 26,90), falls sich jemand nicht entscheiden kann zwischen Brut und Rosé.

Gralshüter der großen Klassiker

Ansonsten regiert die große Klassik auf der Barkarte: Last Word, Aviation, Vieux Carré – sie alle sind da. Der Loft-Barchef versteht sich mit seinen 24 Angeboten durchaus als Gralshüter: „Grundsätzlich ändere ich keine Rezeptur – das hat 80 Jahre gepasst”. Der Erfolg gibt dem Konzept recht, schon bisher kämen 70% der Gäste von außerhalb des Hotels. Topseller sind neben dem French Martini der Royal Bermuda Yacht Club (jeweils € 15), aber selbst der Vieux Carré findet mehr und mehr Fans.

Für die Winterkarte werden aktuell die dunklen Säfte von Johannesbeere und Traube vorbereitet, in der Kategorie „Rich & Bold“ soll in der Saison 2016 aber auch Karamell eine Rolle spielen. Tendenziell will Fortner das Thema „Pre-Prohibition“ noch verschärfen. Geräuchert wird auch jetzt schon, entweder spektakulär in der Karaffe oder mit der Cloche. Selbst kleine Effekte, die vor dem Gast applizierbar sind, nutzt man gerne. So wird für den flüssigen Apfelstrudel die Zimtstange unmittelbar vorm Servieren geflämmt. Die Klassiker werden nicht nur erst genommen, sie stehen auch bei den internen Schulungen im Mittelpunkt – „der Service muss wissen, was ein ‚Clover Club‘ ist“, so der Barchef.

Ich hab‘ meine eigene Bar-Karte

Eine äußerst charmante Idee, vor allem für die sporadisch wiederkehrenden Hotel-Stammgäste, stellt das Institutionalisieren der individuellen Bartender-Beratung dar. Wer sich für einen Drink nach seinen Präferenzen entscheidet, bekommt das Ergebnis nicht nur in flüssiger Form, sondern auch als vom Bartender signierte Erinnerungskarte. „Bartender’s Choice“, so der Name des Services, mag im vollen Geschäft aufhalten, Fortner ist dieser Extra-Aufwand aber wichtig. Auch wenn an guten Abenden 700 Gäste zu versorgen sind, „wird alles bis hin zum Eis und der Garnitur vermerkt, damit der Lieblingsdrink beim nächsten Besuch exakt reproduziert werden kann“.

Bewältigt werden der abendliche Ansturm, aber auch die ungewöhnlichen Öffnungszeiten (täglich ab 10 Uhr) mit zwei Bars. Vom Wiener Demmer-Tee in allen Variationen über die Trinkschokoladen von Chocolatier Sepp Zotter bis hin zu Hennessy Paradis und Louis XIII spannt sich der Bogen. Auch die Musik, die gegen Abend immer lauter – und für ein Fünf-Stern-Hotel sogar richtig laut – werden darf, unterstreicht diesen Wandel. Dass das damalige Le Loft ursprünglich als französisches Grand Cuisine-Hochamt unterm Pipilotti-Himmel konzipiert war, erkennt man in dieser relaxten Stimmung kaum mehr. Stehen Michi Fortner, der ein wenig wie Jean-Claude Van Damme aussieht, und der flächig tätowierte Fabian Günzel nebeneinander, spürt man, dass dies nicht die letzte Neuerung gewesen sein wird.

Credits

Foto: Wien via Shutterstock.

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