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Der Kunde ist kein König

Theorie und Praxis sind kaum vereinbar, der eigene Standpunkt und der des Gastes ebenso wenig. Kleine Befindlichkeiten werden zur Crux. Dabei wirken im Gastgewerbe nicht einmal unbekannte, magische Gesetzmäßigkeiten sondern schlichtweg Dogmatismus und antiquiertes Verhalten. Über Recht und Unrecht im Umgang mit dem kritischen König Kunde.    
Der Beruf des Bartenders sei der beste der Welt, raunen hin und wieder einige Köpfe der Szene ins Netzwerk. Wie ein Rockstar steht er am Brett, verteilt fleißig flüssigen Stoff an die Herde von Gästen, die sich um seinen Tresen wie Schafe drängt und mit den Augen klimpern oder dem Geldbeutel wedeln muss, damit sich der Rockstar ihrer als erstes annimmt. Überspitzt, ja. Und bei genauerer Betrachtung ist die Rollenverteilung ohnehin eine andere, wie auch die Abhängigkeit.
Kein Wallfahrtsort für durstige Seelen
Die Gäste entscheiden sich an diesem und keinem anderen Tresen Platz zu nehmen, zu trinken und walten somit letztlich über das Existieren oder Untergehen einer Bar. Eine Tatsache, die dem Barmann durchaus bekannt ist und ihn dazu anhält, seine Gäste zu hofieren. Denn das wichtigste das fließt, ist ihr Geld in die Kasse. Und so nüchtern betrachtet, ist die Bar kein magisches Etablissement, kein Wallfahrtsort für durstige Seelen und keine Bühne der Nacht. Die Bar ist ein Unternehmen, das Cocktails an Kunden verkauft, um damit Geld zu verdienen. Angebot und Nachfrage regulieren den Barmarkt, ebenso wie Qualität und Preis.
Das Dogma als Entschuldigung
Wie in vielen Unternehmen gibt es auch hinter dem Tresen Hierarchien mit unterschiedlichen Aufgaben und Verantwortungen. Jeder Position gleich hingegen ist die eingeimpfte Philosophie des Hauses. Der Kunde ist König, hat immer Recht. Eine Floskel, die sich seit Jahrzehnten durch viele Dienstleistungsunternehmen zieht und auch in der Bar als kollegial anerkannte Entschuldigung dient, wenn der Blender wieder einmal mit den Zutaten einer Pina Colada entweiht werden muss. Möchte seine gastliche Durchlaucht schließlich sahnige Freuden, sei es so.
Ja, natürlich soll der Gast zufrieden gestellt werden, höflich, effizient und einfühlsam seinen Bedürfnissen nachgegangen werden. Jeder Mitarbeiter einer Gastronomie, der dies nicht verstehen möchte arbeitet schlichtweg im falschen Metier. Jedoch sollten die unterschiedlichsten Gast-Charaktere nicht von vornherein mehrere Stufen über einen selbst gestellt werden.
Eine Frage der Loyalität
Denn eben dieses Zurückstellen der eigenen Individualität gegenüber dem Gast kann während der Schicht gewaltig am Ego kratzen und suggeriert Unterwürfigkeit auf eine ungesunde Weise. Professionalität hin oder her. Ein Angestellter, der durch seine Arbeit am Gast stets resignieren und lernen muss, dass ein Nein unangemessen ist, wird auf Dauer kaum Freude auf dem nächtlichen Parkett finden.
Wenn zudem der Chef als Instanz des Hauses der Maxime des gottgleichen Gastes folgt, sich in schwierigen Situationen auf die Seite des prallen Portemonnaies stellt, erfahren ungehaltene Gäste zu Unrecht eine bevorzugte Behandlung. Was folgt ist, neben widerwilligem Service, innerem Ärger und Ablehnung, die Demotivation des Teams.
Gegenseitiges Lernen
Die Rolle, die Gäste dabei in diesem umfangreichen Wirkungsgefüge einnehmen, wurde für sie erst geschaffen und geformt. Mit steigendem Anspruch der Klientel geht für die Trinkende Seite des Tresens die Selbstverständlichkeit hofiert zu werden einher. Ein Standpunkt, aus dem nicht selten massive Vorteile geschlagen, und auch die Zuwendungen des bemühten Personals ausgenutzt werden. Ein einmalig erfüllter Gefallen kann so zur universellen Gültigkeit avancieren und nicht zuletzt Konsequenzen für das Verhältnis zu anderen Gästen und dem gesamten allabendlichen Betrieb haben.
Eine Sichtweise, die auch Kunden lernen müssen. Nur, weil der freundliche Barkellner an einem ruhigeren Abend einst die Gelegenheit hatte, dem Gast ein neues Päckchen Kippen zu holen, so ist es nicht automatisch ein fester Service des Etablissements. Der Rahmen ist die Bedingung und die Einschätzung dieses Rahmens sollte demjenigen obliegen, der sich täglich daran anpassen muss.
Ein Gast wird nur selten das richtige Gespür und Verständnis haben, die Barsituation und Auslastung richtig einschätzen zu können. Wer dann noch immer vehement darauf besteht wie ein König behandelt zu werden, macht das Trinkgeld schnell zum Schmerzensgeld, den Job des Barmann unnötig schwer und handelt unfair gegenüber des bemühten Personals.
Es ist ein Geben und Nehmen, im Idealfall ein Begegnen annähernd auf Augenhöhe. Kein überheblicher Tresenmann, der dem weltmännischen Gast von oben herab erklärt, dass Gin eben nicht aus Wacholder gebrannt wird, kein Gast, der den Barkellner wie seinen Lakaien behandelt.
Großväterliche Maxime
Ein antiquiertes Verhalten, das bereits vor Generationen, 1909, vom Unternehmer Harry Gordon Selfridge besiegelt wurde. „Der Kunde hat immer Recht“ galt als Maxime der Zeit, um Kunden zu suggerieren, sie würden eine stets bevorzuge Behandlung erhalten. Im Gegenzug sollte dieses Mantra Angestellte erinnern, den Kunden an erste Stelle zu setzen.
Über die Jahre als Marketingfloskel missbraucht, ist der Ansatz, der Kunde sei König, ein Relikt aus großväterlichen Zeiten, das noch immer lauwarm vom Service mitserviert wird, wie auch wiederentdeckte Pre-Prohibitionsdrinks. Vielleicht anhaltender Trend in der High Class-Bar aber kein moderner Zeitgeist.
Dabei sollte der heutige Zeitgeist im Gastgewerbe keineswegs das völlige Ablegen gelernter Standards sein. Die Bestellung sollte nicht auf Zuruf durch den ganzen Laden erfolgen und der Kellner sollte kein Bro sein und auch so behandelt werden – zumindest nicht in gehobenen Barsituationen. Vielmehr sollte sich im modernen Zeitgeist das gegenseitige Verstehen, dass weder Gast noch Gastronom immer im Recht sind, festigen. Ein so einfacher Ansatz, der in einigen Fällen von beiden Seiten des Tresens leider schlichtweg vergessen wird – ebenso wie die Bedeutung der eigenen Individualität und hin und wieder ein bisschen Nachsicht.

Credits

Foto: Schach via Shutterstock

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