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Nah am Rausch(en) – Die Bar Franzotti

Mit neuem Schwung und Patina ist auf dem Kreuzberg am Victoriapark eine sehr ambitionierte Bar eingezogen. In einer alten Weinstube, die ihre besten Tage bereits hinter sich hatte ist frisches Leben eingezogen. Wir waren neugierig und unser Autor offenbar überrascht, nachdem er wieder zu Atem kam.
Ein Wasserfall fließt den Kreuzberg im Sommer hinab und weist den Weg zu weiteren Flüssigkeiten, die den Kreuzbergsteiger erfrischen und den Bar-Connaisseur erquicken mögen. Berlins höchste natürliche Erhebung – mit stolzen 66 Höhenmetern – vermag durchaus, den Durst zu wecken. Nach Aufstieg, Ausblick und Abstieg, warten die Shaker und Rührgläser von Jacopo Clark und Merlin Genschel auf die durstigen Alpinisten.
Zwischen Shaker und Schallplatte
Der Raum strahlt unmittelbares Wohlbehagen aus. Tiefe, dunkle Rottöne und viel Holz geben eine warme und intime Note. Vertäfelte Wände, diskrete Spiegel und Kerben im Tresen, verleihen dem Raum Charakter. Antike Tischlampen und eine originelle, dezente Deckenbeleuchtung ergänzen die Atmosphäre. In der langen Wand stehen alte Schallplatten dekorativ in den Fächern, an der Wand gegenüber reflektieren historische Shaker die Lichtmomente. Dazwischen der Tresen mit gläsernem Rückbüffet und einer alten Marmorablage. Der Tresen besitzt eine ungewohnt niedrige Höhe, wodurch der Gast die Handgriffe der Barmänner bestens beobachten kann.
Erstaunlich: Für eine sehr neue Bar strahlt die Bar Franzotti bereits viel Charisma und Patina aus. Jung und doch erwachsen.Die beiden Betreiber übernahmen eine vernachlässigte, alte Weingaststätte mit dem Tresen und der Holzvertäfelung entlang der Wände und füllen sie mit frischem Wind.


Junge Drinks und erwachsene Schwingungen
Eine Getränkekarte wird gerade vorbereitet, daher findet die Cocktailberatung derzeit mündlich und sehr persönlich statt. Das Publikum ist bunt gemischt aus Gästen, die sich von der angenehmen Atmosphäre spontan angesprochen fühlen, aber auch solchen, die die sorgfältige Mixkunst bereits schätzen gelernt haben. Einige Getränkevorschläge stehen in Kreide über dem Rückbuffet und geben ordentliche Inspiration und sorgen für einen Eindruck vom Preisniveau. Dieses liegt meist um die 9 Euro und ist mehr als angemessen. Für den Vieux Carree findet eine äußerst liebevolle Cognacberatung statt, die dann in den sehr passenden Meukow 90 mündet. Beim Martinez wird die Maraschinomenge sehr intensiv bedacht und führt zu einem Ergebnis, ganz nach dem weniger süßen Geschmack des Bestellers.
Eine junge Frau wirkt geringfügig überfordert mit der kartenlosen Getränkebesprechung und verlangt etwas hilflos einen Captain Morgan Cola. Mangels einer Zutat resultiert die Bestellung in einem Old Monk Rum, verfeinert mit Galliano und einem Dash Bitters, aufgegossen mit Cola. Die Dame kostet und nickt beeindruckt. Der Beratungsaufwand scheint dabei ziemlich hoch und so wünscht man dem Barteam, insbesondere für weniger ruhige Abende, durchaus das Hilfsmittel einer schriftlichen Barkarte.
Für den alkoholfreien Gast hält die Bar Franzotti einige hausgemachte Limonaden bereit. Für den anspruchsvolleren Trinker stehen feine Spirituosen parat, um den Drink gegebenenfalls zu veredeln. Der Horse´s Neck wird in der Basisversion bereits sehr ordentlich mit Four Roses zubereitet und ist zu 6,50 Euro angenehm erschwinglich. Möglich ist aber auch die Variante zu 11 Euro, wobei dann beispielsweise ein feiner 1776 Bourbon zum Einsatz kommt. Und dann wäre da noch eine Smoky-Variante davon möglich. Neben der freundlichen Beratung sorgen angenehme Klänge für gute Schwingungen. Zwar nicht von Vinyl, sondern zeitgemäß digitalisiert, aber dennoch klassisch bieten Soul, Motown und Rockabilly die entspannte musikalische Untermalung. An manchen Abenden auch live dargeboten, zumal im hinteren Raum ein Piano wartet.
Ein Bar mit Charakter und Charakteren
Der Ort verfügt über eine herrliche Patina und den erfrischenden Elan der Bartender. Das Ganze noch verfeinert mit wohlüberlegter Sorgfalt und besten Spirituosen. Dazu fallen Sätze, wie: „Heute hätte ich für den Julep handgepflückte Apfelminze aus einem Bio-Kräutergarten in Oranienburg!“ Großartig.
Man spürt Herzblut, Leidenschaft und viel Engagement und gute Laune, die sich rasch auf die Gäste überträgt. Es gilt der Rat: Der Kreuzberg ist einen Besuch wert. Natürlich der Gipfel, aber nun noch viel mehr eine Bar am Fuße des Berges.

Credits

Foto: Bar Franzotti

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