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Fremde Kulturen, wie Getränke ihr folgen

Die Cocktailwelle schwappt durch viele Länder und Gläser und nimmt dabei allerlei Geschmäcker auf. Den Gusto der lokalen Genießer zu treffen, bleibt jedoch oberstes Ziel. Ein Einblick in die Konstruktion eines Menüs in Vietnam.
Die vietnamesische Barszene ist so dynamisch, wie sie jung ist. In Ho-Chi-Minh-Stadt bildet sich eine ernstzunehmende Gruppe von Bars heraus, die sich um Cocktails bemüht. Wein hat sich schon einen festen Stand erarbeitet, das Interesse an Cocktails wächst seit wenigen Jahren rasant. Martinis, Mojitos, Caipirinhas und Manhattans sind inzwischen Haushaltsnamen in der stetig wachsenden Mittelschicht und rinnen daher nachts in alle Kehlen. Leider bewegen sich die Getränkekarten jedoch bisher fast ausschließlich in diesen Regionen. Allerlei Martinis, die mit dem Original nur das Glas gemein haben und Mojitos voller Sirup und Früchte beherrschen die Menüs.
Blaupause
Dabei hat doch gerade Vietnam eine solch reichhaltige und berühmte Küche! Eine Armada von Strassenküchen komplementiert ungezählte Restaurants. Eine Vielzahl an Suppen, Gebratenem, Eingelegtem und Rohem füllt den weithin beliebten vietnamesischen Rezeptekontor. Als der Autor also die Aufgabe antrat, die Cocktailkarte der Bar/Restaurant Xu in Ho-Chi-Minh-Stadt zu erneuern, war der Fokus auf lokalen Geschmack und Ingredenzien ein selbst gesetztes Ziel. Weg vom Zucker, Saft und viel zu großen Gläsern – hin zu mehr Aroma und Geschmack! Die Blaupause für die Runderneuerung der Cocktailkarte war also die in Vietnam einheimische Küche. Limette, Chili, Kumquat, Thai Basilikum, Pandan, Koriander, Senfgras, allerlei Suppen, wie Canh Chua und Bun Bo, Ingwer, Minze, frischer Zuckerrohrsaft oder Essig dienten nach dem ur-vietnamesischen Prinzip der Balance aus fünf Geschmäckern und Eindrücken (süss, sauer, scharf, bitter, salzig) als Inspiration. Am einfach und schnell zuzubereitenden Ende der Karte befinden sich Gin-Pandan-Zitronengras-Rauram- und Bourbon-Ingwer-Zuckerrohr-Infusionen, die flott zu einem erfrischend vietnamesischem Gin & Tonic oder Old Fashioned aufgegossen werden. Letzterer ist dank etwas frisch gepresstem Kumquatsaft und hiesiger Kumquat-Marmelade erfrischend und scharf zugleich. Für Gin-Liebhaber auf der Suche nach Kräftigerem gibt es einen mit frisch gepresstem Kumquatsaft und Thai Basilikum bis zum ergrünen geschüttelten Gimlet.
Komplexität kämpft mit Zeitdruck
Wie bei diesen Zubereitungen erkannt werden kann, liegt ein Schwerpunkt der Erneuerung auf einfacher oder zumindest schneller Zubereitung. Dies liegt weniger an dem bisher noch mittelmäßigen Ausbildungsniveau der Bartender, begierig jedes Wissen gerne aufsaugen. Vielmehr liegt dies am enormen Betrieb in Bar und Restaurant und der Cocktailgier der Gäste. Daher werden auch zwei Cocktails tagsüber aufwendig in größeren Mengen hergestellt und schon in kleine, verschließbare Cocktailfässchen gefüllt. Ein English Breakfast (Tee)-Scotch-Orangensaft-Zuckerrohr-Punch wird milchgefiltert und ist daher von Natur aus zeitaufwendig. Seine goldene, klare Erscheinung sorgt für fast so viel Aufsehen, wie sein an die Elisabethanische Periode angelehntes Teeschildchen. Auch Nummer Zwei der abgefüllten Drinks ist ein Hingucker: Eine Beerenbombe aus frischen Erdbeeren, Chambord, Himbeeressig, Tequila und Grenadine – ganz knallhart auf die weiblichen Gäste ausgerichtet.
Balance & Krönung
Dem entgegen steht wiederum eine lokale Bloody Mary. Mit Zitronengras, Pfeffer und Salz versetzter selbst geklärter, frischer Tomatensaft wird mit in scharfer, zentralvietnamesischer Bun Bo-Suppe fettgewaschenem Wodka versetzt. Krönung ist eine molekulare Bun Bo-Sphäre. Verblüffend leicht, doch scharf wird so das Menü mit einem Fingerzeig in die Zukunft abgeschlossen. Bei all den Spielereien und Neuerungen wurde allerdings nie der Gast aus dem Auge verloren. Permanente Kostproben wurden an die Stammgäste verteilt und Feedback gesammelt. Ebenso setzt sich die überarbeitete Karte nur zu einem Drittel aus Neuerungen zusammen. Das zweite Drittel machen die bisherigen Topseller aus und werden von acht historischen Drinks wie Mary Pickford, Mint Julep, Barbados Buck oder 20th Century abgeschlossen. So findet sich im neuen, vietnamesisch charakterstarken Menü jede wichtige Spirituose und für jeden Geschmack mindestens ein Getränk. Eine viel ausgewogenere Balance, als im bisherigen Vodka- und Zucker-dominiertem Menü.

Credits

Foto: Ho-Chi-Minh Stadt via Shutterstock

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