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FÜNF! MAL DER GAST ALS NERVENSÄGE

Ohne Gast keine Bar. Auf dieser einfachen Wahrheit basieren Konzept wie auch Existenz der Trinkstätten. Manchmal aber wird sie zur Daumenschraube. Denn nicht jeder Gast ist ein Gast, den man gerne wiedersieht. FÜNF! Charaktere, die den Bartender zur Weißglut treiben können.

Gast und Freundschaft. Gastfreundschaft. Ein großes Wort. In manchen Ländern Asiens wird sie derart überschwänglich zum Ausdruck gebracht, dass wir uns hierzulande nicht selten vor Verwunderung die Augen reiben. Doch jene Glorifizierung des Gastes ist durchaus legitim. Er ist es schließlich, der unsere Bar finanziert, sie als Promoter an Freunde und Freundesfreunde empfiehlt, er ist der Rezensent unserer Kreationen und Spiegel der Darbietung des Bartenders. Doch er ist nicht nur Feedback, er kann auch zum Stammgast, Helfer in der Not und wahren Freund werden. Gastfreundschaft also als Terminus, in dem viel Wahrheit steckt.

Und doch gibt es auch jenen Gast, der uns zur Weißglut treibt. Zugegeben, oftmals vielleicht sogar unfreiwillig und durch Ungeschicktheit, nicht selten jedoch mit ehrlich-offensichtlicher Böswilligkeit. Schlechte Manieren, Profilierungssucht und Charakterdefizite können die Gründe sein für Handlungen, Sprüche oder Reaktionen, die den Bartender das ein oder andere Mal aus der Fassung bringen können. FÜNF! dieser schrecklichen Gäste-Typen haben wir heute beleuchtet.

1) Der geborene Connaisseur mit Profilierungssucht.

Wir starten mit einem Klassiker. Er kommt an stressigen, gut besuchten Abenden genauso wie unter der Woche, wenn es ruhiger ist – und man weiß nicht, was wirklich schlimmer ist. Kaum betritt er das Etablissement, schon umgibt ihn diese selbstauferlegte, nach billigem Parfüm triefende Aura des Schönlings mit gemachten Zähnen. Dass innere Werte über Äußerlichkeit überwiegen, lehrt er uns schnell als klassischen Trugschluss. Er ist wichtig und das zeigt er gerne. Etwa dann, wenn er sich zwischen die sowieso schon eng beieinander stehenden Barhocker und die darauf sitzenden Gäste quetscht, um dem Bartender die Faust zu geben, High-Five anzudeuten oder zu fragen „Was geht Digger!?“

Mit seiner gewollt an Neologismen überbordenden und mit Jugendwörtern aus dem Duden bestückten Sprache drückt er seine Andersartigkeit und die in ihm blühende Jugend aus. Er kennt den Barmann, der Barmann kennt ihn nicht, wünscht sich im besten Fall ihn nicht zu kennen. Trotz seiner weltmännischen Züge tappst jener Connaisseur der ersten Stunde stets zielsicher in die ihn als Showmaker entlarvende Bestellungsfalle retrobehafteter Pauschalurlaubs-Klassiker à la Pina Colada und Sex on the Beach. Nachdem er gekonnt mit gewollt süffisantem, doch eigentlich plumpem Wortwitz den „Sex in the Bar“ seinem vermeintlichen Protegé auf der anderen Seite der Bar entgegen gebrüllt hat, sucht er das Gespräch mit wahlweise viel zu jungen Frauen oder im Whatsapp-Gruppenchat der Ü60er.

Gesprächsthemen sind hier so trivial wie die Bestellung, denn Genusstrinker ist er genauso wenig wie bescheiden. Neureich prahlt er vom Firmenwagen, dem Zweitwohnsitz auf wahlweise Ibiza oder Mykonos und – das gehört zu seinem Charakter genauso wie die Goldzähne in seinem Gebiss – beschwert sich letztlich über den Drink. Denn der schmeckt – egal wie original, getwistet oder auf seine Wünsche angepasst auch immer – nie so, wie er ihn gerne trinkt. Jovial wie er ist, signalisiert er dem Bartender seine Bereitschaft, den eigentlich enttäuschenden Drink doch zu nehmen, nur um kurz darauf mit einer gemachten Blondine und halb ausgetrunkenem Glas im geleasten Maybach auf die Balearen zu fahren. Gezahlt hat er dabei im besten Fall, gegeben ist das nicht. Der arrogante, viel zu selbstherrliche Gast – ein Klassiker, der dieses Prädikat eigentlich so gar nicht verdient.

2) Der unkommunikative Handybesitzer

Auch hier weiß man nicht so recht, an welchen Tagen jener Gast mit seinem Gebaren eigentlich schlimmer ist. An ruhigen Tagen, wo sein Verhalten eine gewisse unangenehme Spannung hervorruft, oder Freitag abends an der Bar sitzend und Cocktail-interessierten Gästen den Platz wegnehmend. Er jedenfalls ist entweder unverbesserlich und sieht die dauerhafte Benutzung des Mobiltelefons als legitim an, oder aber er tummelt sich lieber mit seinen digitalen Freunden auf der Spielwiese der digitalen Welt, als den analogen Freunden rechts und links vom 15 Zoll-Monitor Gehör zu schenken. Denn, sind wir mal ehrlich, einen passenden Cocktail in der Bar zu schlürfen und gleichzeitig sein Perfect Match auf Tinder zu finden ist wahlweise Drink- oder gar Chatporn 2.0. Auch könnte jenem Gast der ach so wichtige, Millionen-dotierte Deal durch die Lappen gehen, sofern er nicht sekündlich Börsenwerte im Auge behält und wichtigtuerisch Siri mitunter „Verkaufen“ befiehlt.

Jener Gast beraubt sich mit seinem Verhalten zweier Dinge. Der Kommunikation in der Bar, die bereichernd und anregend sein kann, aber auch einfach nur entspannend sein darf, und er ist der Bar – so hart wie es jetzt auch klingen mag – oftmals nicht würdig. Denn die Aufmerksamkeit des Bartenders erfordert auch eine gewisse Aufmerksamkeit auf der anderen Seite des Tresens. Dies ist die eigentliche Wertschätzung des Gastes und Kompliment an die Barperson zugleich. Zudem bedarf es keinem gerichteten Gang in eine Bar, um Geschäftsgespräche zu führen oder Chats nachzugehen. Nicht zuletzt weisen einige große Bars heutzutage gar Handyverbot aus oder liegen wie das The Kinly so geschickt, dass eine Netzverbindung nicht möglich ist. Die Bar ist und bleibt ein Ort der Kommunikation. Der analogen wohlgemerkt!

3) Der Desinteressierte

Der Gast ist unser Spiegel in vielerlei Hinsicht. Wenn er weint, dann machen auch wir ein langes Gesicht, freut er sich, so freuen wir uns häufig auch. Ziemlich einfach eigentlich. Ganz und gar nicht einfach, weder im Umgang noch im Auftreten, ist jener Typ Gast, der dem ganzen Cocktailzirkus eigentlich so gar nichts abgewinnen kann und sich trotzdem in unsere Bar verirrt hat. Er ist anti, und das lässt er uns schnell wissen. Er geht grundsätzlich in Cocktailkultur lebende Bars, um wahlweise ein Weizen oder ein Bier zu bestellen und sich dann über die Old Fashioned-Bestellung des Gastes neben ihm lustig zu machen. Noch schlimmer, er kritisiert uns regelrecht für unser Konzept, dem er persönlich nichts abgewinnen kann. In seiner persönlichen Aversion gegen als Andersartige schließt er auf das Kollektiv und baut sich so unsichtbare und vor allem inexistente Befürworter seiner Thesen auf. Er stichelt gerne, das gehört zu seinem Naturell. „Ist das Sirup auch tatsächlich selbst gemacht, ich habe doch vorhin eine Flasche gesehen… Ich meine ja nur, hier steht halt hausgemacht.“

Bevor wir ihm neues Wasser oder Knabberzeug reichen könnten, ereilt uns sein hallender und nicht zu leise gerichteter, dahin ausgelegter Vermerk, der ruhig auch die Aufmerksamkeit anderer Gäste erreichen soll. Ein ganz trauriger Misanthrop, eine unaufgeschlossene, alles Neue grundsätzlich verneinende Kreatur, die anderen Menschen und dem Bartender die Laune gänzlich verdirbt. Warum eigentlich schwingt in dieser Anti-Haltung stets eine gehörige Portion von Respektlosigkeit mit? „If you don’t like, you don’t have to fight it“ wäre die angemessen pazifistische und auch verständliche Reaktion, für die gleichermaßen andere Gäste wie auch wir Bartender Verständnis zeigen würden.

4) Der Trinkgeld-Geizer

Der Elektronikhändler Saturn lehrte uns vor einigen Jahren, dass Geiz geil sei. Da mag schon was dran sein, schaut man sich doch gerne auf unterschiedlichsten Plattformen nach den günstigsten Urlaubsdeals, besten Sous-Vide-Schnäppchen und preiswertesten Barwerkzeugen um. Ein Ort, an dem dieses von den Marketing-Experten der Handelskette hinaus gebrüllte Credo auf keinen Fall Gehör finden sollte, ist und bleibt die Bar.

Ich versuche es sachlich. Der Bartender lebt die Bar, mitunter lebt er sogar in ihr. Denn was viele nicht zu wissen scheinen ist, wie sehr sich Barmann XY doch in der Bar einbringt. Neben dem Schütteln, Servieren und auch Rühren ist der Barmann Ansprechpartner für etwaige teils ungewöhnliche Wünsche der Gäste. Er ist ihr Berater, er ist ihr Konversationspartner, er ist ihr Helfer nach dem zehnten Drink, er kümmert sich um ihr Wohlergehen. Und das zumeist mit einer Freundlichkeit, die man in anderen Branchen oft schmerzlich vermisst. Der Bartender jedoch steht – das wissen viele nicht – zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihm entgegentreten, mitunter schon fünf Stunden in der Bar. Er bereit vor, er macht das Mise-en-Place, er presst Säfte und macht die Bar zu dem Wohnzimmer, das sie so schätzen.

Wenn dann, nach stundenlanger Unterhaltung der Gäste, intensiver Beratung bezüglich der Drinks, besonderer Berücksichtigung der speziellen Wünsche der Gast seine 117,80 Euro-Rechnung mit 118 Euro und den Worten „Stimmt so!“ begleicht, symbolisiert das nicht nur eine niedrige, absolut ungehörige Wertschätzung der erbrachten Leistung, sondern zeugt gleichermaßen von einem schlechten Charakter. Häufig sind es gerade diejenigen, die laut schreien, Deutschland wäre zu einer Servicewüste verkommen, um im Gegenzug die ihnen entgegengebrachte Aufmerksamkeit unzureichend bis gar nicht zu quittieren.

Das ist ein großes Problem. Bei aller in diesen Text einfließenden Emotionalität durch Erlebnisse aus erster Hand ist auch die objektive Betrachtung des Kasus höchst unbefriedigend. Viele Bartender sind bei geringer, häufig knapp über dem Mindestlohn liegender Vergütung auch immer noch auf das Trinkgeld angewiesen. Schlechte Erfahrungen spiegeln sich nicht nur im Portemonnaie nach der Endabrechnung, sondern auch in der Laune und dem Umgang mit den Gästen nach angehäuften negativen Erlebnissen wider. Zudem ist es häufig schade zu sehen, wie Gäste in anderen Ländern gezwungenermaßen einen gewissen Prozentsatz zahlen und dort, wo es rechtlich nicht geregelt wird, darauf verzichten. Ist es erst die Macht des Gesetzes, die uns Anstand abverlangt? Es wäre jedenfalls traurig.

5) Der Betrunkene

Dieser Typus Gast ist im Gegensatz zu den meisten anderen bereits vorgestellten Charakteren jemand, der erst zum Ende des Abends negative Schlagzeilen macht. Er ist betrunken, aber er merkt es nicht. Dafür aber merken es alle anderen Gäste in der Bar und vor allem wir, die wissen, was und wie viel er getrunken hat. Er jedoch besteht auf den nächsten und übernächsten Drink und zeigt sich uneinsichtig, wenn wir ihm die Bitte verwehren.

Das bringt uns in eine Art Dilemma. Bedienen wir ihn weiter, so probt er nicht selten nach Verlust des Anstandes nach dem fünften Whiskey Sour den Aufstand und droht, den Abend auf unrühmliche Art und Weise ausklingen zu lassen. Bedienen wir ihn weiterhin, so ist es gleich in zweierlei Hinsicht verwerflich. Zum einen wird dem Bartender Profitgier – wenn auch möglicherweise zu Unrecht – unterstellt, zum anderen riskieren wir damit seine Gesundheit. Es ist daher Ermessenssache und vor allem situationsbedingt, wie wir mit ihm umgehen. Sicher ist nur, dass er uns, aber auch den anderen Gästen keine große Freude bereitet.

Credits

Foto: Mann via Shutterstock.

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