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Reif für die Leinwand: Harry’s Bar in Venedig

Harry’s Bar in Venedig ist eine Legende. Die italienische Regisseurin Carlotta Cerquetti hat eine eindrucksvolle Dokumentation der Bar gemacht, an dem der Bellini geboren wurde. Dafür hat sie zahlreiche O-Töne eingefangen, Zeitzeugen befragt und mit historischen Aufnahmen verwoben. MIXOLOGY ONLINE über die Dokumentation, die im September 2015 bei den Filmfestspielen in Venedig erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Schaukelnd fährt die Kamera auf den Lido zu. Über den schmalen Bug der Gondel rückt Venedig immer näher. Hier liegt, westlich des Markusplatzes, die berühmte Harry’s Bar in der Calle Vallaresso 1323. Die allgegenwärtigen Tauben flattern durchs Bild, wir schunkeln durch malerische Kanäle. Geführt wird Harry’s Bar heute von Arrigo Cipriani, dem Sohn des Gründers Giuseppe Cipriani. Unterlegt mit historischen Filmaufnahmen, berichtet der 83-Jährige zum Einstieg von seinem Vater, der als Bartender im venezianischen Hotel Europa arbeite, wo ihm das Schicksal im Sommer 1928 drei amerikanische Gäste schickte: Einen jungen Mann mit seiner Tante und deren Liebhaber, die sich eines Abends in der Bar fürchterlich zerstritten, woraufhin Tante und Galan auf Nimmerwiedersehen in der Nacht verschwanden.

Der junge Mann, Pickering, saß nun allein und mittellos am Tresen und wandte sich hilfesuchend an Giovanni Cipriani, der ihm gutherzig und –gläubig das Geld für die Hotelrechnung und die Überfahrt zurück in die Vereinigten Staaten lieh. Zwei Jahre lang hörte er nichts von Pickering, bis dieser eines Tages unvermittelt in Venedig auftauchte, mitsamt dem geliehenen Betrag – und dem Startkapital für eine gemeinsame Bar. Gesagt, getan. Die beiden Männer eröffneten 1931 ihre Bar in der kleinen Calle Vallaresso und tauften sie nach Harry Pickering auf den Namen Harry’s Bar. Denselben Namen erhielt auch Giuseppes erster Sohn, nur auf italienisch: Arrigo. „Damit bin ich wohl der einzige Mensch, der nach einer Bar benannt wurde!“ lacht der heutige Besitzer von Harry’s Bar im Film.

Warhol und Weinstein

Wieder fährt die Kamera durch die malerischen Kanäle von Venedig, schaut in schmale Häuserschluchten, überholt einige Vaporetti, fährt bröckelnde Fassaden empor. Die Töchter von Cipriani kommen zu Wort, erzählen von illustren Gästen wie Warhol und Weinstein, Diven und Draufgängern, die Harry’s Bar immer wieder besuchten. Hautnah und mittendrin bewegt sich die Kamera durch die alten Geschichten, mixt die leidenschaftlichen Gesichter der Interviewpartner mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen voll bekannter Schauspieler, Adeliger und Künstler. Arrigo Cipriani erzählt, wie während der zeitweiligen Schließung der Bar in den 1940er-Jahren die treusten Stammkunden täglich zum Essen bei den Ciprianis daheim auftauchten.

Harry’s Bar liegt in einer schmalen Gasse, nur wenig Laufverkehr trägt verirrte Gäste an den Tresen. Giuseppe Cipriani und Harry Pickering wollten nur Kundschaft, die sich extra für Harry’s Bar auf den Weg machen. Elizabeth Taylor und Richard Burton gingen in Harry’s Bar ein und oft besäuselt wieder aus. Künstler und Stammgäste erzählen im Interview von Hemingways Affären und Trinkgelagen, alte Photos zeigen den trinkfesten Schriftsteller umringt von Freunden an seinem Lieblingstisch in der Bar. Ein alter Barmann erzählt, wie Orson Welles abends hungrig und durstig in der Tür zu pflegen erschien, drei Bloody Marys exte, mit Champagner weiterfeierte und den Rest des Abends mit Whisky begoss, so dass selbst die Bartender staunten.

„Wenn Du nicht in Harry’s Bar warst, warst Du nicht in Venedig!“

Anstelle eines Sprechers aus dem Off gibt es englische Untertitel, alle Stimmen gehören Zeitzeugen, Stammgästen, historischen Aufnahmen und den plätschernden Kanälen. So kann der Film auch als kleine Liebeserklärung an die Lagunenstadt verstanden werden. „Wenn Du nicht in Harry’s Bar warst, warst Du nicht in Venedig!“ weiß auch Naomi Campbell. Heute besitzt die Familie Cipriani 14 Restaurants, vornehmlich in den Vereinigten Staaten, die alle nach dem Vorbild von Harry’s Bar in Venedig geführt werden. „Cipriani ist wie das Studio 54, nur ohne Drogen und ohne Musik“ schwärmt etwa Puff Daddy von einem Cipriani Restaurant in New York.

Der zweite Gründer Harry Pickering bleibt eine ungreifbare Figur. Das tut der durch und durch zauberhaften Dokumentation jedoch keinen Abbruch. Carlotta Cerquetti nimmt den Zuschauer mit auf eine glamouröse Reise in die Vergangenheit einer Legende: Knappe 60 Minuten Dokumentation, die wirklich Lust auf einen Bellini machen. Was in Harry’s Bar heute geschieht, ob hier noch immer der Jet Set am Tresen sitzt und wie die Bar mit ihrem legendären Ruf umgeht, das wird sich MIXOLOGY ONLINE im Mai persönlich ansehen … stay tuned!

Credits

Foto: Venedig via Shutterstock.

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