TOP

Jeder braucht ein Hobby!

Warum man an seinem freien Tag nicht in Bars gehen sollte. Gibt es etwas faderes, als einen Mann, dessen Arbeit sein Leben ist? Der von nichts anderem sprechen kann? Erick Castro aus San Diego traf den Nagel auf den Kopf, als er schrieb: Das Problem bei Mixologen ist: du fragst sie nach der Uhrzeit und sie bringen dir bei eine Uhr zu bauen.
Vor etwa zehn Jahren gab es eine Zeit, da wurde ich vom Leben wirklich sehr gut behandelt*. Ich war glücklich, gesund, verliebt, bereiste die Welt und wurde für interessante Arbeit gut bezahlt.
Es ging mir so gut, dass ich erschreckend fett wurde – eines dieser liebevollen Geschenke, die dir das Leben zu deinem dreißigsten Geburtstag zu machen pflegt.
Höchste Zeit für ein Hobby, sagte ich mir, für eines das mir helfen sollte praktikablere Körperproportionen zu bekommen. Ich entschied mich für Boxen. Ein bisschen Stöhnen und Zuschlagen, vielleicht ein paar ausgefeilte Trittfolgen und “Bäm!”
Maskuline Coolness?
Ein fantastisches Training, mit dem zusätzlichen Ansporn, in Gesprächen ganz beiläufig erwähnen zu können, dass ich ja „noch so erschöpft vom Boxen gestern“ sei. Macho-Ruhm war mir gewiss! In den Achtzigern und Neunzigern hatte ich über zehn Jahre regelmäßig Karate betrieben. Boxen konnte ja so schwer nicht sein.
oder pure Lächerlichkeit?
Lieber Leser, es war eine zutiefst erniedrigende Erfahrung, wie kaum eine andere in meinem Leben. Fotos gibt es, Gott sei Dank!, nicht. Boxen, so stellte sich heraus, ist wie ein einstündiger Dauer-Sprint, bei dem man Schach-Probleme im Kopf lösen muss während ein Schrank von einem Mann einem die Nase poliert.
Im Studio gab es Zwölfjährige, die mich K.O. schlagen konnten. Nach ein paar Monaten konnte ich zwar mithalten, aber aus meinen kühnen Träumen, vom Rohdiamanten zum Starboxer zu avancieren, sollte nichts werden. Trotzdem mag ich das Boxen. Es macht mir großes Vergnügen und ich verbessere mich, ganz langsam, jedes Mal wenn ich trainiere.
Den größten Nutzen, den mir das Boxen gebracht hat ist, dass es mich davon abhielt ein arrogantes Arschloch zu werden (wenn Sie denken ich sei tatsächlich ein arrogantes Arschloch, darf ich Sie darauf hinweisen, dass Sie sich (a) eine Wartenummer ziehen müssen und dass Sie sich (b) vorstellen mögen, wie unerträglich ich geworden wäre, hätte ich dieses derart erdende Hobby niemals angefangen.)
Das Leben lief so gut für mich, dass der Weg der Arschlochwerdung unausweichlich schien. Überall, wo ich auftauchte liebte und respektierte man mich, und (noch wichtiger!) man kaufte mir einen Negroni.
Ausgleich von falschen Freunden
Das Boxen gab mir nicht nur für ein paar Stunden die Woche eine Auszeit von all dem, es machte mir auch deutlich – nicht selten in Form eines krachenden Aufwärtshaken oder einer korkenzieherartig ausgeführten Schelle von – dass das Herumlaborieren an etwas Unabhängigem von Arbeit oder sogar von Familie und Freunden eine Grundvoraussetzung dafür ist, ein rundherum toller Typ zu sein. Wir brauchen Hobbies!
Eine Bezeichnung kann auch abschrecken
„Hobby“ ist zugegebenermaßen ein Wort, das dringend eine Image-Überholung benötigt. Es klingt nach einsamen alten Männern, die in Schuppen Schnitzarbeiten vollziehen. Ein Hobby ist der Kern und das Mittel der Persönlichkeit; nicht umsonst ist „Haben Sie irgendwelche Hobbys?“ eine Standardfrage in Jobinterviews.
Die eigentliche Frage lautet: was machen Sie aus freiem Antrieb, wofür sie nicht bezahlt werden müssen? Die Arbeit des einen ist das Hobby des anderen: ein Trucker entspannt sich beim Handel mit Aktien, aber Broker mögen dagegen beim Beschneiden von Bonsais zur Ruhe kommen.
Und der Bonsai-Gärtner lernt Spanisch. Ein Hobby ist eine Fertigkeit, aber auch eine Form von Sozialleben; dank des Internets sind sogar einsame Hobbys sozial geworden. Man kann seine Photos twittern, über seine Hortensien posten oder seine Stickereien auf Pinterest teilen.
Raus!
Ein Hobby gibt uns eine Auszeit vom Arbeitsalltag und sogar von unserem Nächsten und Liebsten. Es öffnet uns für ein abwechslungsreiches Sozialleben, abwechslungsreich weil man nur die Leidenschaft für Modellflugzeuge oder Ashtanga Yoga gemeinsam haben muss, um sich mit jemandem austauschen zu können
Inmitten des ganzen Höher-Schneller-Weiter unseres Lebens ist es nur allzu einfach, ein Hobby als etwas Überflüssiges abzutun. Dabei gibt ein Hobby uns Ausgeglichenheit, Kreativität und Selbstvertrauen.
Und was ist ein Hobby eigentlich? Es muss etwas sein, bei dem man sich verbessern kann.
Vielleicht hat es mit Bewegung oder Sport zu tun, muss es aber nicht. Es kann auch virtuell sein: heutzutage sind alle mit allen verbunden. In einem Team “Modern Warfare: Call of Duty” zu spielen, kann genauso einnehmend und gesellig sein wie Fischen gehen, nur das im ersten Beispiel die Kollegen am anderen Ende einer Broadband-Verbindung in Vancouver, Tallinn oder Belfast sitzen.
Leistung? Nein. Aber Entwicklung.
Ein Hobby muss die Möglichkeit zu Weiterentwicklung bieten, langsam und stetig, und für sehr lange Zeit. Jede kleine Verbesserung bringt neue Energie und neue Motivation weiterzumachen (haben Sie sich mal gefragt warum Golf so beliebt ist? Weil man niemals ausgelernt hat, bis die Nägel in den Sarg gehauen werden.)
Nehmen Sie sich in Acht falls sich Ihre Arbeit als Hobby tarnt. Ein Bänker, der sich mit Wein beschäftigt, hat ein Hobby. Wenn ein Bartender dasselbe macht, belegt er quasi Abendkurse. Lobenswert, ja, aber ein Beruf kann nicht auch noch ein Hobby sein. Das Hobby darf nichts mit der Arbeit zu tun haben.
Wir Bartender brauchen Freizeit und Hobbys mehr als die meisten. Wenn man jeden Abend Gäste bedient, muss man körperlich fit sein und man muss etwas zu sagen haben. Hobbys eröffnen neue gesellschaftliche Kreise, und das ist gerade für uns essentiell wichtig.
So verführerisch der Gedanke auch sein mag für all die Multitasker unter uns: so entspannt und angenehm unsere Gäste auch sein mögen, die Arbeit ist nicht ein Viertel so entspannend wie Gesellschaft außerhalb der Arbeit, die Freizeit mit Familie und Freunden. Ihre Gäste finden Sie ganz fabelhaft.
Ihre Freunde und Hobby-Partner werden Ihnen deutlich weniger Respekt entgegenbringen (wenn ich nach meiner Erfahrung gehe). Ich denke an eine Geschichte, die mir Tim D. Phillips mal erzählte. Er hatte letztes Jahr die World Class gewonnen und eröffnete kurz darauf seine eigene Bar in Sydney, das Bulletin Place. Tim war in Großbritannien vor einigen Jahren Bartender of the Year und schrieb über dieses Erlebnis:
“Am nächsten Morgen dachte ich, die letzte Nacht sei ein Traum gewesen. Mit meiner Trophäe im Arm wachte ich auf und grinste meinen Mitbewohner Phil Duffy stolz an. Ich bin der beste Bartender in Großbritannien!
Er erinnerte mich, dass ich nicht mal der beste Bartender im Haus sei. Es war die Wahrheit. ”
Derartig furchtlose Offenheit ist gold wert. So wie Andys linker Haken bei mir, bringt einen eine solche Erinnerung wieder auf den Boden der Tatsachen, falls man abhebt, kann einen aber auch aufbauen, wenn sich die Wolken über einem verdichten.
Ohne Hobby? Irgendwie kein Mensch.
Hobbys sind das Lithium zu unserem bipolaren Verhältnis zu Erfolg und Scheitern. Hobbys erinnern uns, dass Freundschaft, Familie und Humor alle Wunden heilen können. Und wenn nicht, dann kann man wenigsten Spaß haben mit den Menschen, denen es egal ist ob man der neue Harry Johnson ist oder schlechter als das Mädchen hinter der Bar, das den Woodford Reserve Julep mit Sprite auffüllt.
Also, fangen Sie mit Mandarin an. Lernen Sie Slideguitarre. Beschäftigen Sie sich mit Krav Marga und üben Sie, Ihr Motorrad auseinanderzunehmen. Es wird Sie zu einem besseren Menschen machen, und Sie werden viele unterschiedliche Leute kennenlernen. Solche, die Sie an der Bar nie getroffen hätten.
 
Der vorliegende Text erschien erstmalig im MIXOLOGY – Magazin für Barkultur 1/2014. Informationen zu einem Abonnement finden Sie hier.

Credits

Foto: Hobby Lobby via Shutterstock

Kommentieren