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Jigger, Beaker & Glass: ganz ohne Sahne

Jüngst eröffnete mit dem Jigger, Beaker & Glass eine neue Bar in Friedrichshain. Experimente, hohe Cocktailkultur und eine Galerie im Hinterzimmer.

Wir haben uns das Barprojekt von Tony Galea und Yannick Marty angesehen.


„Habt ihr auch einen White Russian?“ fragt einer der Gäste, die sich gerade in die Bar gewagt und Platz genommen haben. Dass es weder einen White Russian noch Sahne gibt, stößt auf Verwirrung, die Entscheidung fällt schließlich auf die empfohlene Alternative: den Mushashi’s Tea mit Reismilch, Matcha und Bourbon. Spätestens jetzt wird bestätigt, was ein Blick auf die Karte erahnen lässt: 36 Cocktails, darunter solche mit Fatwashed-Sprituosen oder zahlreiche mit hausgemachten Infusionen — aber kein einziger Happy Hour-Liebling der nicht weit entfernten Simon-Dach-Straße darunter. Eine für den Tisch unerwartete Konfrontation mit hoher Trinkkultur.

Eröffnen zwei eine Bar

Lets open a bar together! – das haben sich schon viele gesagt. Die beiden Berliner Expat-Bartender Yannick Marty und Tony Galea haben es durchgezogen. Zwischen Boxhagener Platz und Frankfurter Allee liegt sie, unweit der Touristenmeile Simon-Dach-Straße. Sie ist das erste gemeinsame Projekt vom Briten Galea, ehemals im Antlered Bunny und letztes Jahr als Newcomer des Jahres bei den MIXOLOGY BAR AWARDS nominiert, und dem Franzosen Marty, unter anderem auch im Stagger Lee tätig und Freund des großen Experimentierens. Der Dritte im Bunde ist Max Garth.

Der hohen Cocktailkultur, den Experimenten und Künsten hat sich nun auch die Bar verschrieben. Und nicht nur das: „Die Bar soll ein Ort für die Begegnung zwischen den Gästen sein“, lässt Marty wissen. Das funktioniert auch bei den rund dreißig Plätzen in dem recht kleinen Raum, an den niedrigen Holztischen mit Kerze darauf. Trockenblumen sind das einzige Zugeständnis an einen dekorativen Gedanken. Nüchtern und dunkel, aber gemütlich.

Vom Finden und Suchen
Durch die Tür tritt der Gast zunächst ins Dunkel der Trinkstätte und steht, noch während sich die Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnen, direkt vor dem Tresen. Blickt auf die Bar und die Regale mit dem Spirituosenarrangement, beides entstammt einer Zeit, als hier noch die Grimm’s Bar war. Die scheiterte jedoch und da man sich kennt, riefen die Betreiber seinerzeit direkt Galea an: Ob er Interesse an den Räumen habe. Das klärt auch die Frage, warum das Jigger, Beaker & Glass in Friedrichshain und nicht etwa Neukölln oder Kreuzberg die Nächte bereichert. „Die Bar hat uns gefunden“, sagt Tony.

Die schwarzen Wände schimmern an diesem frühen Abend im Licht der untergehenden Sonne, die zwei Unternehmer haben einen Plan. Gute Bars fehlen in Friedrichshain, auch das spielte in die Entscheidung hinein, Jigger, Beaker & Glass in der Gärtnerstraße zu eröffnen. Nachdem es das Antlered Bunny nun nicht mehr gibt, ist das Friedrichshainer Publikum gezwungen, sich neu zu orientieren. So sind die Besucher im „Jigger” auch teils die Selben wie im „Bunny“. Galea nahm die Gäste einfach mit, oder besser: sie haben ihn wieder gefunden.

Trinkend auf die Neunzig zu

Woher eigentlich der Name? Blickt man auf die Bar und lässt den Blick an den versetzten Spirituosenregalen empor wandern, entdeckt man das Cocktailbuch, das wie auf einem Schrein über das Geschehen wacht: Jigger, Beaker & Glass von Charles H. Baker, geschrieben im frühen 20. Jahrhundert. Die vielen Reisen des Autors, das Experimentieren und das Überschreiten von Grenzen — das Thema sollte sich wiederfinden. „Er wurde über neunzig und das obwohl er sein ganzes Leben lang trank und aß.“ Inspirierend, das finden beide.

Zurück zum Tresen. Frische Kräuter, Obst, eine liebevoll zusammengestellte Auswahl an Bitters: Marty ist der größere Forscher der beiden, wenn man so möchte. Er hat von einem Drink eine Vision und probiert so lange herum, bis er die passenden Spirituosen dafür gefunden hat, sagt er. Das liest sich auch am Backboard ab. Ausgesuchte Flaschen reihen sich aneinander, es gibt keine Auswahl von 50 verschiedenen Gins, sondern einen, höchstens zwei. Die Drinks auf der Karte sind eingeteilt in „Straight Up“, „On The Rocks“, „Infusions” und „Long Drinks“. Hinter den Namen Evil Queen Bee und Aztec verbergen sich Cocktails mit Ingredienzien wie Erdnussbutter-Calvados und Bacon Washed Gin. Auch finden sich Stout-Sirup und Sesamöl, Kaffee-infundierter Gin und Dijon Senf unter den Zutaten. Eine Seite der Karte ist befreundeten Bartendern und deren Rezepturen gewidmet. Wer sich mit der Auswahl überfordert sieht, dem ist mit einem Klassiker der nicht auf der Karte steht oder einem Gin & Tonic geholfen. Nur eben leider nicht mit einem White Russian.

Über die Supermarkt-Kreativität

Die Inspiration für die Drinks finden beide beim Spazieren durch Supermärkte. Das haben sie gemeinsam, genau wie den Anspruch an die Bar, mehr als nur Trinkstätte zu sein. Im hinteren Teil befindet sich die „The Black Gallery“, die erst unlängst eröffnete. Künstler sollen darin einen Raum bekommen, um ihre Werke zu präsentieren. Live-Musik soll es geben und sogar Brunch-Veranstaltungen. Die beiden wollen viel, momentan ist so Manches noch in der Entstehung. Craft Beer soll sich in naher Zukunft auch am Brett des JB&G etablieren, aber da weiß man noch nicht, was es werden soll. Work in Progress eben. Aber vielleicht genau, das was Friedrichshain brauchte.

 

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