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“Es war der Bürgerkrieg, der kanadischen Whisky groß gemacht hat, nicht die Prohibition.”

Drei Viertel des illegalen Alkohols kamen während der Prohibition über den „Detroit-Windsor Funnel“ in die USA. Roland Graf auf einem Geschichts-Trip „across the borderline“. Sein historisches Erbe prägt die Grenzregion der Großen Seen nämlich auch heute noch. Trotzdem lebt man alles andere als in der Vergangenheit.

Der Müller war immer schon melancholisch. Nach dem Suizid seines Geschäftspartners James Worts stand William Gooderham 1834 dann aber mit 30 Nachkommen, eigenen Kindern und denen seines toten Schwagers, da. Die Situation des erst unlängst aus England nach Kanada eingewanderten Gooderham war schwierig. Die drei Jahre zuvor im kanadischen York (der Gouverneur konnte das indianische „Toronto“ nicht leiden) errichtete Windmühle war zwar in Rekordzeit zum Landmark Building der 3.000 Einwohner-Ansiedlung – Spitzname: Little Amsterdam – geworden. Wie aber sollte es weitergehen mit dem florierenden Mühlenbusiness, nachdem sich Worts in den Brunnen der von ihm begründeten Firma gestürzt hatte?

Die Lösung kam von James Worts jun., der seit seinem siebten Lebensjahr in der Mühle mitarbeitete. 1837 erkannte er, dass die überreiche Getreide-Ernte dieses Jahres nicht mehr bewältigt werden konnte – gemeinsam mit seinem Onkel erweiterte er das Geschäft um eine Destillerie. Weitere 30 Jahre später war „Gooderham & Worts“ die größte Brennerei der Welt.

„Es war der Bürgerkrieg, der den kanadischen Whisky groß gemacht hat, nicht die Prohibition“, erzählt der Bartender Dave Mitton, als er zum Lunch im Distillery District von Toronto eine Flasche „Gooderham & Worts“, die aus vier Getreidearten gebrannte Hommage, auf den Tisch stellt. Das „Flatiron Building“, eine architektonische Sehenswürdigkeit der Metropole, verdankt den beiden Brennern ebenso seine Existenz wie die als Mittelding aus History-Land und Business Inkubator wiederbelebte Destillerie. Zu den besten Zeiten kamen 50% des Steueraufkommens der Provinz Ontario von „G&W“, das um 1900 einen Ausstoß von zwei Millionen Gallonen Whisky verzeichnete.

Grenzgänger um des Whiskys willen

Gebrannt wird der so sehr mit der Stadtentwicklung verknüpfte Whisky aber heute längst weiter südlich, in Sichtweite der US-Autostadt Detroit. Windsor/Ontario mag noch in Kanada liegen, doch der Pionier, der dem heutigen Ortsteil Walkerville seinen Namen gab, war der erste Whiskyhändler, der von der „löchrigen“ Grenze der beiden nordamerikanischen Staaten massiv profitierte: Hiram Walker besuchte seine 1858 eröffnete Destillerie nämlich meist per Boot, sein Leben verbrachte er aber in Detroit. Ironischer Weise verdankt der bekannte „Canadian Club“ daher einem US-Amerikaner seiner Existenz. Walker, so raunte die Konkurrenz, soll sogar eine Pipeline unter dem Detroit River gebaut haben. Zu erfolgreich war ihnen der Entrepreneur vor allem in den Bürgerkriegsjahren.

Eine Ahnung von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der damaligen Zeit gibt das Haus eines Zeitgenossen, des Holzmagnaten David Whitney, daheim bei Walker, in Detroit. In der „Ghost Bar“, die in den 1980er Jahren in der ehemaligen Kunstgalerie Whitneys eingerichtet wurde, sitzt man zwischen seltenen Hölzern und raffinierten Farbgläsern. Die Drinks werden bevorzugt mit kanadischem Whisky gemischt, auch wenn man dem Bartender, der Zitronenscheiben schon mal mit den Fingern anfasst, nicht unbedingt auf dieselben schauen sollte. Die Geister, die in der alten Familienvilla umgehen sollen, zeigen sich nicht. Dafür kann man von hier auf das Gelände des „DAC“ sehen. Whitney mischte nämlich auch bei der Gründung des „Detroit Athletic Club“ mit. Hier stand 1916 erstmals nachweislich ein „Last Word“ auf dem Cocktail-Menü, auch wenn es keinerlei Angaben zur Rezeptur gibt.

Doch der Bundesstaat beginnt bereits im Jahr darauf mit der Prohibition – ab Mai 1917 ist Michigan offiziell trocken. Was wiederum die kanadischen Exportfantasien anheizt.

Prohibition auf der Seite von Kanada 

„Rum running“ wird zum Volkssport, auch wenn die Ladungen kanadischen Whisky enthalten. „Kommt illegaler Alkohol auf dem Landweg, ist das Bootlegging, zu Wasser heißt es Rum running“, erklärt Historiker Aaron Binder den Unterschied. Er führt durch den Distillery District Torontos, in dem sich auch die Mill Street Brewery befindet. Wo einst also Roggenwhisky erzeugt wurde, fließt heute das erste Bio-Bier Kanadas aus der Leitung. „Du solltest auch unser Kölsch probieren“, hat der stellvertretende Geschäftsführer Ryan Spencer aber auch gleich einen Tipp für den Gast aus Übersee.

Der Whisky-Tour-Guide kämpft vor allem gegen Klischees, wenn es um die Prohibition geht, auf die sich heute so viele Cocktailbars beziehen. „Die größten Dealer waren schnell die Veterinäre, weil für Pferdekrankheiten brauchten sie angeblich sehr große Mengen zum Einreiben“, erzählt er etwa über die Roaring Twenties in Ontario.

Denn was man bei der Schmuggler-Romantik, die eher von Mafia-Filmen als von der Realität geprägt war, gerne vergisst: Auch in Kanada herrschte Prohibition! Schon 1898 hatte es eine leichte Temperenzler-Mehrheit bei der ersten Volksabstimmung der kanadischen Geschichte gegeben. Cleverer als in den USA, beschloss die kanadische Regierung aber, die genaue Gestaltung den Bundesstaaten zu überlassen. Während Prince Edward Island eine von 1901 bis 1948 (!) währende Durststrecke sah, ließen sich die französisch-stämmigen Akkadier der Provinz Quebec ihren Wein gerade einmal ein knappes Jahr verbieten (zumal hier auch 78% der Bevölkerung gegen die Prohibition gestimmt hatten). 1916 bis 1927 – mit einer zusehends laxeren Handhabung seit 1924 – dauerte aber die trockene Phase in der Provinz Ontario.

Protektionismus oder Panscherei?

Allerdings war sowohl die Herstellung, als auch der Export von Whisky legal. Mehr noch, Harry Hatch, der neue starke Mann bei „Gooderham & Worts“, erhielt die Erlaubnis, auch jüngere als zwei Jahre gelagerte Brände ins Ausland zu verkaufen. Damit erhöhte sich der Profit für die Schiffe auf den Großen Seen, die man „Hatch’s Navy“ nannte. Mit der Fusion mit Hiram Walker und der Übernahme von 51% an Corby Distillers (1935) schuf Hatch ein kanadisches Whisky-Imperium. Ironischerweise verdankt der kanadische Whisky dem Erfolg beim Nachbarn später auch sein ramponiertes Image, besser gesagt den in Europa gerne erhobenen Vorwurf der Panscherei.

Dabei klingt „9,09%-rule” für das Sonderangebot- und Schnapszahlgeschulte deutsche Ohr gar nicht mal so schlecht. Hinter den Ziffern aber steht eine Panik-Aktion des US-Schatzamts, das immer wieder den (auch legalen) Import aus dem Norden schwächen wollte. Ihre Formel besagt bis heute: Stammt ein Elftel des Whiskys aus US-Alkoholproduktion, dann gibt es Steuererleichterungen. Protektionismus hat sich also nicht erst Donald Trump ausgedacht.

Seit über 60 Jahren darf mit einem zumindest zwei Jahre im Fass gereiften „wine“, „sherry“ oder „destillate“ aufgebessert werden, ohne dass das deklariert werden müsste. Die Notwehrmaßnahme erklärt sich aus der dramatisch unvorteilhaften Handelsbilanz, wie sie die Tariff Commission des US-Senats 1958 zusammengefasst hat: 1,6 Millionen „proof gallons“ (eine steuerrechtliche Recheneinheit, die nicht mit der „normalen“ US-Gallone identisch ist) exportierten die US-Brenner, dafür wurden 25,3 Mio. „proof gallons“, praktisch ausschließlich Scotch und Canadian Whisky, importiert.

Lachs-Flüsse? Chlorwasser-Eiswürfel!

„Wirkliche Relevanz hat das keine“, beteuert Master Blender Don Livermore in Windsor bei „Hiram Walker“. Denn das gälte eben nur im inner(nord)amerikanischen Verkehr. In Europa wäre ein Whisky mit 11%-iger Beimischung schlicht nicht zulässig, unterstreicht Dr. Livermore. Tatsächlich bedroht die Qualität auch ganz etwas anderes. Speziell wenn man seinen Tumbler gerne mit Eis füllt. Aus chloriertem Leitungswasser wird nämlich selten neutrales Eis. Und da können sich die Bars quer über die Großen Seen die Hände reichen. Denn auch im Land der Bergquellen, Lachs-Flüsse und des ewigen Eises kommt Chlorwasser aus dem Hahn. Eine einzige Trinkstätte in Detroit hält hier gegen – und das fällt extrem auf. „The Keep“ serviert mustergültige Drinks im Halbdunkel, ohne auf den alten Speakeasy-Dreh zu setzen.

Doch auch abseits der chlorierten Ice-Cubes gibt es Parallelen am Tresen; in Kanada bezieht man sich ebenfalls gerne auf die US-Prohibition. In der angesagten Torontoer Restaurant-Bar „Carbon“ steht als Erinnerung etwa The Volstead (mit Gin, Amaro Montenegro, Agave, Limette und Kürbis) auf der Karte. Etwas weiter die Queen Street hinunter regiert wiederum der asiatische Drink-Style im „Lopan“ bzw. der mexikanische Einfluss in der „Pretty ugly bar“. Sie gehört wie auch das großartige, spanisch-inspirierte „Raval“ zum Gastro-Imperium Grant van Gamerons. Fusion-Konzepte sind im kosmopolitischen Toronto aber ohnehin Gebot der Stunde: Neben dem Hungaro-Thai (!) serviert „Rasta Pasta“ seine jamaikanischen Nudeln am Kensington Market. Und wie sieht es mit den Bars „across the borderline“ aus?

Chrysler kriselt, die Bar in Detroit aber boomt 

Langfristig dürfte die Whisky-Versorgung aus dem Norden Detroit jedenfalls gut getan haben. Aktuell sehen Auguren die nach der Autokrise für viele junge Menschen leistbar gewordene Stadt als „neues Portland“. Geht man durch den „Belt“, die Ausgehmeile mit den haushohen Graffitis, dann könnte da was dran sein. Im Halbdunkel von „The Keep“ in Downtown oder weiter draußen in Ferndale, wo sich „The Oakland Art Novelty Co.“ befindet, pflegt man die Retro-Cocktail-Kultur hingebungsvoll. Wer mehr historisches Flair einatmen will, sollte die Adresse „2030, Park Avenue“ aufsuchen. Das Interieur des aus den 1930er Jahren stammenden Jazzclubs „Cliff Bell’s“ wurde mustergültig aufpoliert, neben exzellenten Konzerten versteht man auch an der zentralen Mixstation sein Handwerk.

Cliff Bell himself führt uns wieder zurück zum „Detroit Athletic Club“. Er versorgte im inoffiziellen Anbau die Mitglieder mit kanadischen Spirituosen, die er – damals schon Qualitätsfanatiker – nicht von Harry Hatch, sondern aus Quebec importierte. Mit dem 1935 eröffneten Club, getäfelt mit Mahagoni und vollgestellt mit polierten Messing-Tischen, schuf der Speakeasy-Meister sein legales Meisterstück. Dass von der „Detroit City Distillery“ nun in einem alten Schlachthaus sogar diesseits der Grenze Whiskey gebrannt wird, hätte dem alten Haudegen (Bell starb 1977 im Alter von 91 Jahren) gefallen.

Noch hipper als Craft Destilling und Brewing sind aktuell aber die „Meaderies“ der Stadt. Ja, Met, der alte Honigwein, ist das neue Ding in Detroit. Und wer weiß, vielleicht schaffen nach Millionen Gallonen von Whisky diese Abfüllungen den umgekehrten Weg. Nach Norden, across the borderline.

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