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Meine Nächte, Hamburg Part II

Fahr nach Hamburg, dort tut sich gerade eine Menge. Debatten über die Einnahme von St.Pauli durch Investoren und Neureiche. Clubsterben und Neueröffnungen von Bars. Der Trend zu sogenannten Burgerbars. Ich habe meinen Freund und ehemaligen MIXOLOGY-Autor Steffen Hubert, der inzwischen in Hamburg lebt und arbeitet, getroffen und er hat mich durch die Nacht begleitet.
Das tragen von Waffen ist verboten, mahnt das gelbe Schild, versehen mit Piktogrammen am Beginn der „Sündigen Meile“. Die Reeperbahn ist die wohl einzige Straße in Deutschland, vielleicht auch in Europa, die den Besucher derart einladend begrüßt. Die Sonne frohlockt, die Straßencafés sind bemenscht und die Szenerie am Millerntor wirkt friedlich. Nichts deutet auf einen Gefahrenbereich, eine nächtliche Porno- oder Kampfzone hin.
Apéro und Teatime-Sex
Doch hier sitzen sie, die bösen Jungs. Nach wenigen hundert Metern am Spielbudenplatz im Café des Hotel Monopol. Lassen sich die Sonne auf die bis über die Ohren tätowierten Stiernacken brennen, schlürfen Latte Macchiato oder trinken Aperol Spritz. Oberarme wie Gladiatoren und Schenkel wie Mike Tyson. Sind freundlich untereinander. Die Miezen schauen auf ein paar Minuten vorbei. High Heels wie Katy Price und Fingernägel lackiert und lang wie einst bei Sexy Cora. Der ganze Körper das Werk der Chirurgie. Die Streifenpolizei wird herzlich mit Handschlag begrüßt und verteilt die Strafmandate persönlich an die Fahrer der Statuskarossen. Hier albert die nächste Generation der Kiezunternehmer herum.
Man spielt Back Gammon und wartet auf die Nacht.
Auf dem Bürgersteig im Parkverbot Ferrari, Benz und Dodge. Wohnungen werden lauthals aus den vorbeifahrenden Karossen angeboten und anschließend auf der Terrasse verdealt. Die Punks nebenan haben sich vor McDonalds eine Art Wohnburg errichtet und dösen auf den Bäuchen ihrer Hunde, einer jobbt und hält den Bettelbecher in Betrieb.
Dazu sind die Alkis nicht mehr fähig. Sie sind in die Bushaltestelle gegenüber der Davidswache eingezogen und fallen zwischen Scherben, Essensresten und Müllbergen herum.
Der Flaneur wird von einem Koberer einer unbedeutenden Bumsbude neben der berühmten Ritze zum Teatime-Sex animiert – nein danke.
Zurück im Monopol, der erste Apéro vom höflichen Barmann. Carl Dall spielt im schrägen Schmidt´s Theater schräg gegenüber. Die berühmte Esso-Tankstelle ist noch da, die Häuser drum herum führen einen letzten Kampf. Die Balkons mit so vielen Balken abgestützt, als hätte da oben jemand Riesenmikado gespielt. Wandert der Blick weiter nach links, kommen die futuristischen Tanzenden Türme in den Blick in deren oberstem Stock sich die Clouds Bar befindet. Das ist Hamburg, die Kontraste eng beieinander.
Burger, Vieux Carree und kein Beil
Dies kann auch nach einem Spaziergang zum Rathausplatz besichtigt werden. Hier flaniert das feine Hamburg. Bulgari, Boss und Bierbuden. Edle Anzüge und Kostüme, dezente Eleganz.
Nur wenige Meter entfernt die zweite Station.
Immer ausgebucht ist die Brooklyn Burger Bar, gegenüber der alten  Print-Wollsocke „Die Zeit“. Bar und Restaurant. Doch Steffen hat uns eine kleine Ecke reserviert. Dieses Konzept sprießt gerade in der Stadt, die den Namen dieser Schwermatrosenspeise angenommen hat. Hamburger sind hip. Natürlich nicht nur die: Cole Slaw und Pastrami begeistern die Szene ebenso. Das Interieur in einer ehemaligen Apotheke weiß gleich zu gefallen. Unverputzte Wände, eine schöne lange Bar, gute Luft, ein paar Plätze im Freien. Die Tische stehen eng beieinander, aber der Lärmpegel stellt die Intimität wieder her. Der freundliche Service erklärt die Neuheiten auf der Karte und ist bei der Auswahl der Drinks behilflich. Der Cheeseburger mit Jalapenos fährt mit seiner feinen Schärfe durch Mark und Bein und beflügelt den Kreislauf ebenso, wie er den Magen füllt. Stabilität für die Nacht ist hergestellt.
ChicaSo kann zum Digestif ein Vieux Carre kommen, ein Klassiker nah am Sazerac, der gerade wiederentdeckt wird. Ein spektakulärer Abendauftakt, dieses Cognac-Gedicht. Im Gegensatz zum Berliner  Chicago Williams BBQ, wo einen der Hausherr mit einem Beil empfängt und die Besucher im klassisch-schlampigen Berlin-Outfit erscheinen, ist das Publikum hier überwiegend jung, sexy und ganz hamburgisch schick. Da lässt sogar bei einem Blick durch das Fenster Die Zeit wieder zeitgeistig erscheinen, obwohl man dort offensichtlich den Barboom der letzten Jahre ignoriert oder verschlafen hat.
Qualität mit Biss
Erste Bürgerpflicht bei einem Hamburgaufenthalt ist ein Besuch im Le Lion. Einem Wohnzimmersalon der höchsten Trinkkultur. Genuss pur, Bildungstrinken. Nachdem der Zerberus freundlich Einlass geboten hat, erfolgt die Betreuung, eher die Pflege des Gastes.  Hier sitzen bereits die richtigen Barflys. Draußen ist es noch hell und 25 Grad, einer der ersten Frühlingstage  – alles besetzt die Stühle in den Straßencafés. Hier aber, in der finsteren Höhle des Löwen, wird bereits eifrig dem Champagner Cocktail und dem Sazerac gehuldigt. Zu Recht. Balance, Aroma und Temperatur sind bis ins Detail abgestimmt. Der Service besorgt Rauchwaren von der anderen Straßenseite und ist ein wunderbarer Gastgeber. Der Löwe war mal wieder dämmrich aber nicht zahm. Das war Qualität mit Biss.
The Birch mit Potenzial
Den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen? Diesen Eindruck hat man bei den Betreibern des neu eröffneten The Birch (Die Birke) keineswegs. Man geht behutsam vor. Von den vielen Räumen und Räumchen, die sich in der Ladenbar in einer Seitenstraße verstecken, hat man zunächst zwei eröffnet. Vor dem großen Schaufenster kann man die Abendsonne genießen, dahinter verbirgt sich ein Schulungsraum mit einem großen Tisch und einer Caféstation mit einer kleinen Küche, aus der Häppchen gereicht werden. Das Birch versteht sich im Moment noch als Apérobar, da man nur an einigen Tagen von 18-22 Uhr geöffnet hat. Linker Hand hat man bereits eine atmosphärische Bar in Betrieb genommen, die keineswegs nur Spritz zubereitet, sondern sich auch auf Dinosaurier wie Sours, Old Fashioneds und Fizzes versteht. Aus dem Betrieb heraus wird man dann in Zukunft die weiteren Flächen nutzbar machen und mit einem geänderten Soundsystem und besserem Schallschutz dann sicher auch die Öffnungszeiten ausweiten können. Man darf eben im Wald nicht die Orientierung verlieren.
Gaumenpflegerische Barbibliothek und heilige Bars

Im Clockers gibt es so etwas wie eine Holzklasse und ein Businessabteil – aber nur am Wochenende. Diese noch recht junge Bar empfängt im Erdgeschoss in Wohnzimmerambiente den durstigen Gast. Entweder auf Sofas lümmelnd oder an Hochtischen den Überblick wahrend, eilt bald der freundliche Service herbei. Die Drinks sind hervorragend und ebenso die Beratung. Eine paarungswillige amerikanische Touristengruppe auf  Deutschlandtour stolpert herein und flirtet jeden der noch zuckt an. Anboxen wäre jetzt angebracht.
Der Last Word hingegen, passend zu Situation, ist das Vorspiel für das, was folgt. Ab jetzt fließt der Chartreuse unverdünnt und als Shot. Wir kommen noch in den Genuss einer Führung durch das Kabinett im Obergeschoss. Englische Chesterfield Sofas, eine Bar und eine Bibliothek. Hier werden am Wochenende die Connaisseurs, Nerds und Barflys ihres Status versichert und in angemessener Atmosphäre gaumengepflegt.
Bevor wir anfangen grün zu sehen, ist es Zeit wieder auf den Kiez zurückzukehren.  Zurück in die wahre Welt der Schatten und in die Spiegelfechterei dessen, was sich Nacht schimpft. In ein Biotop das die Armseligkeit kennt, den schalen Schimmer der Emporkömmlinge verbreitet, die wilde Anarchie des Hafens aufsaugt und das den falschen Glamour der Neureichen seiner Albernheit zuführt. St.Pauli: heilige Sünder, High Heels, Ritzen, Strap-ons, Bier-und Fäustepiste. Pralles Leben, dunkel und ergiebig, wie eine Gewittergewölk. Im 24. Stock der Tanzenden Türme, bei einem letzten Gin & Tonic in der Clouds Bar genießen wir einen großartigen nachtversunkenen Blick über die Stadt, die uns heute so wunderbar empfangen hat. Den Wolken ganz nahe. Der berühmte Architekt Mies van der Rohe hat einmal auf die Frage, was den die größte Herausforderung in seinem Metier sei, geantwortet: “Eine Kirche und eine Bar zu bauen.” Also eine heilige Bar.

Credits

Foto: Speicherstadt via shutterstock

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