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Nachtigall Bar

Im Nest des Pioniers: Die Nachtigall Bar in Oberwart

Zwischen Schweißershop und Turmöl-Tanke hat Roland Kuch das Nest für seine Bar Die Nachtigall  gefunden. Provinzialismus muss hier in Oberwart draußen bleiben. Denn mit Beharrlichkeit hat der Einzelkämpfer im 7.500-Einwohner-Ort eine der staunenswertesten Bars Ost-Österreichs etabliert.
Hier stolpert man nicht zufällig hinein. Oberwart muss man als Nicht-Burgenländer bewusst ansteuern. Und dann erst einmal die Nachtigall Bar finden. Die liegt zwar an der Hauptstraße – nicht von ungefähr trägt sie den Namen Wiener Straße – von der Autobahn her kommt man aber über Seitengassen schneller zum Einfamilienhaus, das Roland Kuch die Besitzer der nebenan gelegenen Tankstelle verpachtet haben. Wer also zum Negroni gerne die Neuheiten der Tuning-Szene genießt oder sich für die Schönheit eines Kavalierstarts erwärmen kann: Hier sitzen Sie richtig!

Geographisches Vorspiel für die Nachtigall Bar

Oberwart, dessen ungarische und jüdische Vorgeschichte in einer Bar-Story leider nichts zu suchen hat, ist eine der österreichischen Bezirkshauptstädte. Dass die im Burgenland „Bezirksvororte“ heißen, ändert nichts daran, dass Oberwart nicht einmal mit dem überregionalen Bahnnetz verbunden ist.
Vier weitere Bezirkshauptstädte (von 94) in Österreich teilen dieses Schicksal. Doch es gibt abseits der Landeshauptstädte auch keine vier anderen Orte im Land, die eine derart perfekte Cocktail-Kultur bieten würden. Um das Staunen zu verstehen, das ein Nachtigall-Besuch auslösen kann, ist dieses polit-geographische Vorspiel wichtig. Denn wer erwartet in der Provinz schon ein Fach-Gespräch über Hoshizaki-Würfel und die Tür-Politik des Londoner „Nightjar“?

Schwalbe, Schluckspecht, Nachtigall

 Letzterem, einer Lieblingsbar Roland Kuchs, verdankt die 2015 eröffnete Trinkstätte auch ihren Namen. „Es sollte ein deutscher Name sein und die Leute brauchen immer was zum Reden“, kannte er seine Südburgenländer. „Freudenhaus“ stand kurz zur Diskussion, letztlich siegte der gefiederte Freund – statt der Nachtschwalbe („nightjar“) wurde es aber die Nachtigall.
Und der zoologische Name der „Luscinia megarhynchos“ passt gar nicht so schlecht. Schließlich schluckt auch der Vogel, dessen „großer Schnabel“ (Griechisch: mega rhynchos) ihn charakterisiert, einiges weg. Mehr noch: „Die Nachtigall ist zutraulich, friedfertig, zeigt ein bedächtiges, ernstes Wesen“, weiß Meyers Konversationslexikon (man muss nicht alles googeln, Kids!) zu berichten.
Trifft alles auch auf den Oberwarter Barchef zu; selbst die „hochläufigen, kräftigen Beine,“, die das Nachschlagewerk den Vögeln aus der Drossel-Familie zuschreibt, bringt Roland Kuch mit. Muss er auch. Denn als One-Man-Show mixt und serviert er seit dem Abgang seiner Aushilfe im Alleingang. Seine Frau Ariane hält ihm dabei den Rücken frei. Das funktioniert ganz gut, da entweder alle Gäste die Terrasse bevölkern oder sich (winters) um den Tresen scharen. Noch ist Outdoor-Saison in Oberwart, und mit Blick auf das hiesige Pub „Tamdhu“ bestellt man auch diesseits der Wiener Straße gerne Whiskey. Genauer gesagt, einen Sazerac aus dem Lehrbuch mit einem deutlich weniger schulmäßigen Preis von 8,80 Euro. Spätestens jetzt hat Herr Kuch die volle Aufmerksamkeit.

Der Bar-Prophet im eigenen Land

Der Einstieg in die Bar erfolgte 1996, aus zaghaften Versuchen wurde schnell eine Leidenschaft. Lokale Aushängeschilder wie die Hotels Steigenberger in Stegersbach oder das Reiters in Bad Tatzmannsdorf waren Stationen Kuchs. Die Verankerung vor Ort – auch Oberwart wurde Standort der eigenen Bar, „weil es meine Heimat ist“ – soll aber nicht täuschen. Nach wie vor reisen Ariane und Roland Kuch gerne, um sich zu inspirieren, speziell London steht immer wieder am Reiseplan. Schließlich ist ja die Nachtigall auch ein Zugvogel.
So finden sich dann Früchte wie die Tamarillo in den Drinks, in die sich Kuch förmlich verbeißt. Lange kann er davon erzählen, wie sich ihr Aroma am besten konservieren lässt, so dass mit 6 cl Tequila dazu eine ganz eigenständige Margarita-Deklination daraus wird. Der Mund wird wässrig, wenn sich Prince of Wales, Brandy Crusta und Sidecar (8,80 Euro) in einem Menu finden, die Klassiker der Dark Spirits mag Kuch nicht nur, er bringt sie auch schnörkellos über den Tresen.
Passt die Stimmung, dann entkorkt er auch einen deutschen Spätburgunder, den man sonst vermutlich erst 130 Kilometer weiter in Wien wieder bekommt (wenn man ihn denn findet auf den chauvinistischen Weinkarten). Diese Preziose kommt im Zalto-Glas zum Gast. Lapidare Begründung von Gastgeber Kuch: „Ich kann ja nichts Schlechteres nehmen als das, was ich zu Hause verwende“.

In der Nachtigall Bar treffen sich die Winzer

Die auch wirtschaftlich wichtigste Frage, wie derlei Perfektionismus im 7.500 Einwohner-Städtchen ankommt, beantwortet Kuch nach mehr als drei Jahren südburgenländischer Tresen-Therapie so: „Gäste sind froh, dass es die Nachtigall Bar gibt, und erstaunt, dass ich nicht alles mache oder habe, was sie wollen.“ Mitunter sind es aber auch die „Partner“, die den Pionier bremsen. Denn Kreativbier, das er anfangs ebenfalls begeistert angeboten hat, sei mittlerweile zu teuer im Einkauf geworden, lässt Kuch durchblicken. Selbstausbeutung kann also sein, Selbsttäuschung definitiv nicht. Dafür ist er zu lange in der Branche.
Eine Säule unter den Gästen sind die Winzer des nahen Eisenbergs, die zum Großteil in Kuchs Alter sind, vor allem aber international rumkommen und auch gerne einen Cocktail statt des eigenen Blaufränkischen ins Glas bekommen. Wenn dann noch ein Fat Wash zelebriert wird, hat Kuch wieder Begeisterung geschaffen. Und er schenkt im Gegenzug den famosen Welschriesling von Thomas Straka oder den anderswo kultisch verehrten Eisenberger von Uwe Schiefer aus. Damit verprellt man Einheimische nicht, und so sitzen der Eisenbieger und die Volksschullehrerin mit ihrem Weißen Spritzer einträchtig neben den Ärzten, die sich heute dem Moscow Mule widmen. Die Cocktail-Karte macht es den Gästen einfach, links stehen die verfügbaren Spirituosen, geordnet nach Kategorien, rechts die Drinks daneben.

Nachtigall Bar überzeugt mit Steaks und Selbstmotivation

Das Augenreiben geht beim Barfood weiter. Ein 300 Gramm-Steak mit einer Schüssel Pickles („die sind so gut, da brauch ich keine selber machen“) und einem Kanten Weißbrot ist hier der Standard. Wer da zum Beinschinken-Toast greift, hat auch gut gewählt. Aber das Steak, natürlich vom nahen Fleischverarbeiter „Stefri“, hat Klasse und bereitet einen mächtigen Sockel vor, um darauf einen Mezcal Old Fashioned zu platzieren. Schön langsam versteht man das Intro der Bar-Karte: „Trunkenheit verlangt Genuss. Sie wirkt anregend, geistreich, lösend. Und manchmal ist sie sich einfach selbst genug.“
Der abschließende Mix aus selbstgemachter Orangenmarmelade und 25-jährigem Lagavulin stand nicht auf der Karte, „doch die ändert sich so oft, dass ich sie gar nicht auf die Homepage stelle“. Denn wenn man in diesem südburgenländischen Cocktail-Märchenwald etwas nicht mag, dann die Komfortzone.
Vielleicht ist sein Publikum noch nicht jeden Tag dort, wo es Kuch gerne hätte. Doch fordern kann er sich auch selbst. Und die Freude daran merkt man jedem Drink, jedem Detail dieser Bar an. War das zu schwärmerisch? Dann liegt es wohl daran, was der olle Meyer schon 1888 in sein Lexikon druckte: „Als Sängerin der Nacht ergötzt die Nachtigall“.

Credits

Foto: Nachtigall Bar

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