TOP

Sigis Welt: Bücher, Sardinen und Erd-Sirup

Zierlich ist Sigrid Ehm allemal. Unterschätzt wird sie seit ihrem Sieg beim Bombay Sapphire-Wettbewerb aber nicht mehr. Die Kreativität der gebürtigen Passauerin sorgte in Wien bereits vorher für Aufsehen Zeit, sie einmal vorzustellen. 

Hektik kennt die 27-Jährige nicht. Selbst den letzten Kilometer zur Hammond Bar legt Sigrid „Sigi“ Ehm gerne zu Fuß zurück. Es gäbe zwar auch eine Straßenbahn, doch das „Herumstrandeln“, wie Sigi es nennt, bringt sie immer wieder auf Ideen. Der Weg durch die multikulturelle Taborstraße, wo vor 100 Jahren jüdisches Bürgertum wie der Radium-Pionier Otto Brill sein Zuhause hatte, bietet fürwahr genug Inspiration. Die der City zugewandte Noblesse der Straße endet schon an der ersten Hausfassade, jener des Sofitel, danach streift der Blick russische Delikatessen-Läden, Bäckerei-Cafés, koschere Delis, türkische Handyläden und feministische Buchhandlungen.

Vom Buch zum Drink

Bücher stellen eine weitere Leidenschaft der Bartenderin dar. Als sie jüngst ihre winterliche Glühwein-Variante servierte, überraschte sie die Gäste mit der Quelle der Inspiration: Vor fast 2.000 Jahren erwähnte Marcus Gavius Apicius in dem ihm zugeschriebenen Kochbuch ein Sternanis-gesättigtes Rezept. So entstand der „Conditum Paradoxum“ für die Winterkarte. Drinks wie diese, die eine ganze Geschichte transportieren, liebt Sigrid Ehm. Entsprechend gerne arbeitet sie auch mit Shrubs, etwa beim mit Tanqueray Ten und Blüten-Shrub gemixten „Shrub Deine Wohnung“. Oder sie serviert als eine der wenigen in Wien Tiki-Drinks mit Tiefgang.

Einlesen, dann einschenken

„Ich kling‘ echt schon ein wenig komisch“, stellt die in Passau geborene Bartenderin lakonisch fest, wenn man sie auf ihren Misch-Dialekt aus Österreichisch und Hochdeutsch anspricht. „Oida“, die Universal-Steigerungsform für ganze Satzinhalte, entkommt ihr schon einmal nach einem druckreifen Satz. Immerhin hat sie ihre sechs Jahre an der Bar – sie sprang als Hotelangestellte im Ennstal für die ausgefallene Crew ein – zur Gänze in Österreich verbracht.

Schon damals war da die Leselust. Was es zu wissen gab über Drinks, verleibte sich die Autodidaktin aus den Klassikern der Cocktailliteratur ein. Stationen in Tirol und im Wiener Grand Hotel folgten. Seit drei Jahren fungiert sie als Bartender in der „Hammond Bar“ von Gottfried Pertot im Zweiten Bezirk, Markus Altrichter stand ihr damals als Mentor zur Seite.

Storytelling mit Austernwasser

Erstmalig auf sie aufmerksam wurde das Wiener Publikum ebenfalls 2012, als sie den von David Trost veranstalteten Wettbewerb „Cook and Shake“ gewann. Gemeinsam mit Köchen sollten dreigängige Bar-Menüs serviert werden. Der damalige Intercontinental-Chefkoch Sascha Ferstl und Ehm sicherten sich gemeinsam mit dem „Hysteron proteron“ konkurrenzlos den Sieg. Die aus der Literaturgeschichte bekannte Bezeichnung für unlogische Vorwegnahmen in Erzählungen (wörtlich etwa: „Späteres früher“) benannte ein verkehrtes Menü, bei dem der Dessert-Drink zuerst, der Apéritif hingegen als letztes serviert wurde.

Kreativität blitzte schon damals auf, als sie Islay-Whisky mit Fenchel und Austern-Wasser kombiniert. Die Idee einer Cocktail-Trilogie nützte Ehm übrigens auch beim WMIB-Sieg in London vor zwei Wochen: Alle drei Drinks, der Twist auf Martini, G&T sowie der eigene Signatur-Gin-Cocktail, ergaben zusammen wieder eine Geschichte. Eine Idee, die im Finale in Shoreditch fast unterging im Publikumsjubel, von der Jury aber durchaus wohlwollend bemerkt wurde. Dass die Bartenderin, die privat gerne Tommy’s Margarita trinkt, ihren Stil mit „klassisch und verrückt“ beschreibt, betrachten daher nur Ahnungslose als beliebige Aussage. Klassisches Handwerk und wenige, dafür ausgefallene Zutaten sind ihre Sache.

Das Mädchen mit dem Erde-Sirup

International brachte diese Methode beim vorjährigen „World’s Most Imaginative Bartender“ einen Bekanntheitsschub für Ehm. In der Berliner Bar Tausend servierte sie damals – unter Absingen des Liedes „Rule, Britannia!“ – ihren Gin-Drink. Der hatte eine Infusion zu bieten, die man nicht alle Tage sieht: Fünf metallisch glänzende Sardinen, in die saphirblaue Flasche gepackt. Gekrönt von einer ebenso gefärbten Zuckerwatte wurde der Drink zum Dauergast in Food-Magazinen. Den Einzug ins weltweite Finale, diesmal aus 400 Wildcard-Einreichungen ausgewählt, schaffte sie dann dieses Jahr. Und aus dem bisherigen „Mädchen mit den Sardinen“ wurde in London dann „Die mit dem Erde-Sirup“.

Auch die Idee, mit Lagavulin, Meersalz und Erde einen Sirup zu kochen, entstammt der Lese-Leidenschaft. Das Fachmagazin „Rolling Pin“ hatte dargestellt, wo Spitzenköche wie Harald Irka ihre essbare Erde beziehen. Will man die Gäste nicht für den restlichen Abend auf den Lokus schicken, muss diese schließlich perfekt gereinigt sein. Dafür sorgt der Grazer Professor Helmut Jungwirth, der besonders reine Schweizer Hochgebirgserde aufbereitet. „Wird sie zu heiß bestrahlt, schmeckt man nichts mehr, bei zu niedrigen Temperaturen überleben hingegen die Mikroorganismen“, zeigt sich Ehm technisch versiert.

Gekommen, um zu bleiben

Trotz dieser extravaganten Zutaten ist Sigi Ehms Credo ein einfaches: „Drinks entstehen im Dialog“. Entsprechend lieben die Stammgäste der Hammond die Empfehlungen, die sie gibt. Als die Bar im Vorjahr durch einen Schwelbrand kurzfristig schließen musste, waren Wiens Barfliegen eine Zeit lang unentspannt. Der Donau-Stadt bleibt sie weiterhin treu, auch ihr Freund – selbst im Catering-Geschäft tätig – lebt hier. Gerade erst wurde die neue Wohnung im 10. Bezirk bezogen, noch sind nicht einmal alle Kisten ausgepackt. Und in irgendeiner schlummert auch noch das Magazin mit dem inspirierenden „Essbare Erde“-Artikel.

Credits

Foto: Sigrid Ehm via Bombay Sapphire

Kommentieren