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Bangkok

Bangkok, Stadt der Gegensätze: Zu Besuch in der aufblühenden Cocktailmetropole Asiens

Mehr als nur ein Vergnügungsparadies: Bars wie Thaipioka oder Tropic City demonstrieren, warum Bangkok die aufblühende Cocktailmetropole Asiens ist. Philipp Gaux mit einem Streifzug durch die Nacht zwischen alten Bekannten, neuen Orten und der Faszination des Unerklärlichen.
 „Eigentlich ist es hier ziemlich abstoßend“, denke ich mir, in der einen Hand den Koffer, in der anderen Google Maps, als ich mir den Weg durch die Silom Road bahne. Überall Gekreische, dieser penetrante Geruch, der mich wie vor drei Jahren mit einer Mischung aus Ekel und Neugier trifft. Es stapelt sich der Müll vor meinen Augen. Keine zwei Stunden bin ich jetzt in Bangkok, habe dem Uber-Fahrer seine Fahrt fürstlich entlohnen dürfen, und besuche aus Manila kommend eine Freundin.
Meine Oma hätte jetzt gesagt: „Sei vorsichtig, das ist gefährlich da!“. „Ist Manila auch, und war die Elfenbeinküste ebenfalls“, würde ich ihr dann entgegnen. Möglicherweise käme dann noch ein leicht verschüchtert-beeindrucktes: „Muss das denn sein?“ „Ja, es muss“. Andere gucken mich erstaunt an, entgeistert gar und brüllen heraus: „Wie, da warst du doch schon, noch einmal?“ Diesen lächle ich entgegen: „Ja, und ich komme gerne auch ein drittes Mal.“

Bangkok, Stadt der Kontraste

Denn auch wenn Bangkok mit all seinen Absonderlichkeiten, den touristischen Ping-Pong-Shows, der überaus präsenten Prostitution, einem in den Geschichtsbüchern verweilenden Frauenbild und einer gespaltenen Gesellschaft Nährboden für soziale Konflikte birgt, ja sogar durchaus abstoßend zu sein vermag, so ist Bangkok gleichzeitig auch unsagbar bunt, faszinierend, progressiv, geradezu am Puls der Zeit. Stadt der Kontraste eben.
Das sagte ich bereits vor drei Jahren, in meinem übrigens ersten Artikel für dieses erlesene Blatt. Und wer sich anschaut, wie schnell sich eine Barszene verändert, dies etwa beispielhaft an Frankfurt, London oder Athen festmacht, dem dürfte klar sein, dass selbiges für Bangkok gilt. Neben Singapur hat sich die thailändische Hauptstadt nämlich so langsam dem Ruf einer wahren bar-oyster erarbeitet, in deren Meer quasi monatlich neue Formen auftauchen. In der dieses Jahr veröffentlichten Liste der 50 besten Bars Asiens mit sechs Bars ausgezeichnet, mag Bangkok zwar noch nicht vollständig dort angekommen sein, wo sich Singapur momentan befindet, doch ist die am Chao Phraya liegende Metropole auf gutem Weg dahin.

Mal was Traditionelles …

Spreche ich vom Weg? Jenen zur liquiden Erfüllung in Bangkok zu finden ist nicht schwer, ihn sich jedoch mit einem Taxi durch die Schluchten der Großstadt zu bahnen umso komplizierter. Weder ist es das zu erwartende, hohe Verkehrsaufkommen, viel eher die nicht vorhandenen Sprachkenntnisse der einheimischen Tuk-Tuk-Fahrer. „Also eigentlich ist die Bar noch ein Stück weiter“, gleiten die Worte sanft aus meinem Durst getränkten Mund. Fragende Blicke auf der anderen Seite. „Ach, die paar Meter …“
Dass Laufen keine gute Idee ist, weiß ich ja bereits von meinen anderen Reisen durch subtropische Gegenden. Dass es in Bangkok noch durch eine unübersichtliche, an Licht mangelnde Infrastruktur erschwert wird, drängt sich mir erst jetzt auf. Vorbei an dunklen Hinterhöfen, die klaffenden Löcher des zerrissenen Asphalts meidend, gelangen wir zu einem in der Gegend gänzlich fremd wirkenden Gebäude im Kolonialstil. „Das hier soll es sein?“
Vipop öffnet uns die Tür und seinem Lächeln entnehme ich, dass er noch ganz der Alte ist. Vor drei Jahren war es, als er mich im Sugar Ray empfing, einer in ähnlich obskurer Nachbarschaft liegenden Bar. Seitdem sei viel passiert. Sugar Ray habe man renoviert, dann habe man ja bekanntlich Q&A aufgemacht – leider währenddessen das Songkran geschlossen -, Atapon arbeite jetzt dort als Barchef und ja er, Vipop, sei jetzt hier federführend im „Thaipioka“

Thaipioka fokussiert sich auf Thailand

 Das, was Thaipioka anders macht als die anderen Bars dieser Metropole, ist im Grunde schlichtweg paradox. Man fokussiert sich gänzlich auf Thailand und setzt dies gustatorisch im Konzept auf famose Art und Weise um. „Uns geht es immer um einen neuen Ansatz. Wir haben schon einige Bars. Da ist die chinesisch inspirierte Bar, das On-Tap-Paradies – und jetzt halt unser Laden, in dem wir die asiatisch-thailändische Seele zeigen“, so Turk Sitthan über die Ausrichtung des Thaipioka.
Nun geht dieses Konzept tatsächlich Hand in Hand mit dem gelebten Stolz vieler Thais. Als eine Nation, die sich in ihrer Geschichte nie hat fremden Mächten beugen müssen, regional gelegen zwischen sozialen, wirtschaftlichen und konfliktreichen Krisenherden dieser Welt, strotzt das an Touristen reiche Thailand mit seiner etablierten, weltmännischen Aura nur so vor Selbstvertrauen. „Thailand hat eine unglaublich faszinierende Kultur. Die ganze Kunstszene in unserem Land ist inspirierend und strebend. Gleichzeitig haben wir unsagbar viele Erzeugnisse in Form von Kräutern, Gewürzen und anderen Produkten, die eine Vielseitigkeit in ihrer Einsatzform mitbringen. Da war es ein logischer Schritt, uns mit der Thai-Thematik zu behaupten“, so Sitthan weiter.
Das tut das in edlen Holztönen gehaltene, Wärme ausstrahlende Thaipioka mit einer bewundernswerten Nonchalance. Das an die vergangenen Tage der Spät-1970er erinnernde Interieur, in welchem sich tropische Pflanzen neben edlen Armaturen versammeln, versprüht das seltene Gefühl von Leichtigkeit voller Eleganz.
Ähnlich rar sind auch die konzeptuellen Ideen hinter den Drinks. Ob ein mit Beni Imo (violetter Süßkartoffel) infusionierter Tequila mit Punt E Mes, Dry Sherry und Kaffeeextrakt oder ein Corn & Cheese Vodka mit aromatisiertem Wein und Runny Honey; das Thaipioka ist in seiner äußeren Erscheinungsform eine elegant schlichte Blume mit spektakulärem Odeur.

Vom Thaipioka weiter ins Tropic City

Ähnlich betäubt von der Schönheit des Etablissements schlendere ich weiter durch die Straßen von Thonglor. Ein hipper Distrikt soll das hier sein, und ein verlegener Blick in die einzelnen Seitenstraßen – die Sois – lässt nichts Gegensätzliches vermuten. Und weit müssen mich meine müden, ja stadtgeplagten Füße auch nicht tragen, schon erreiche ich „Tropic City“.
Sebastian De La Cruz öffnet mir dir Tür. „Moment mal, dich kenne ich doch“. „Ja, nach deinem letzten Besuch habe ich noch ein wenig im UNCLE weitergearbeitet und irgendwann ja, da habe ich mich mit Philip zusammengetan. Seit sechs Monaten gibt es uns jetzt. Willkommen“.
Von Außen hätte ich es ja fast nicht erkannt, diesen hinter dem grellen Neonlicht und der Tiki-Tapete verschanzten Laden, der wirkt, als würde Don the Beachcomber hier gelegentlich vorbeischauen, immer dann, wenn er von seiner Wolke herabsteigt. Und doch hat sich das von dem Schweden und dem Franzosen geführte Barkonzept nicht zu verstecken. Viel zu ehrlich ist die Aura hinter der Idee, viel zu grandios umgesetzt das Gefühl, das eben diese umgibt.
Ob jetzt ein an Rum reicher, mit Apricot Pimento Dram, Ananas, Orange, Limette und Vanille tropisch anmutender Drink, oder das volle Tiki-Programm in Form von Bourbon, Chinato, Kokosnuss-Sorbet, Wassermelone, Limette und eine „Spiced White Wine Reduction“; Ehrlichkeit bedeutet nicht ein Minus an Qualität. „Unsere Hacienda hier ist wie ein Wohnzimmer. Cocktails machen ein Fünftel der Bar aus, Musik. Atmosphäre, Gastfreundschaft sorgen dafür, dass die Leute zurückkommen“, so Philip.
„Darüber hinaus sehen wir uns ja selbst gar nicht als Tiki-Bar. Wir sind eine Tropical Bar, wie es der Name auch schon sagt. Diese Bar zu eröffnen ging einher mit vielen bürokratischen Schwierigkeiten. Ein weißer Expat zu sein ist nicht immer so spaßig. Vor allem, wenn man hier den europäischen Standard für sich fordert. Gute Barleute findest du ja immer, aber gute Spirituosen? Da hast du dann häufig ein wahres Problem mit dem hohen Importzoll. Aber wir sind Tiki-Freaks und wir leben das Konzept. Also haben wir auch alles damit Einhergehende wohlwollend in Kauf genommen.“

Einmal hoch hinaus …

Ist man einmal angetrunken, geht man diesem sinnlosen Sprichwort des „the sky is not enough“ nach und findet sich in Bangkok, der Stadt der Rooftop-Bars. „Letztes Mal bin ich mit meinem klebrig süßen Vanilla-Pop-Ice Martini ja ziemlich auf die Schnauze gefallen“, entfährt es mir. Eine besondere Bar wolle ich also besuchen. Ja, eine, in der ich die dritte Person im Bunde kenne. Nicht von meinem letzten Besuch. Nein, aus meiner Heimat.
Miguel Fernandez Fernandez begrüßt mich mit einem Lächeln und nennt mir ein paar Zahlen, die durch meinen leicht beschwipsten Kopf zirkulieren sollen an diesem Abend. 750 Gäste habe er hier täglich. 54 Angestellte dürfe er personell führen und 60 sogar, wenn man die Küche noch mitzähle. Bei solchen Ziffern, die jene Etage, auf der ich mich befinde, deutlich übersteigen und mich daran zweifeln lassen, ob der Ausblick oder die nackte Tatsache atemberaubender ist, entreißt mich der Frankfurter Brudi schnell meiner Sprachlosigkeit.
„Klar, du musst dich immer neu einstellen, wenn du in anderen Ländern arbeitest. Das erlebe ich ja gerade selbst. Die Thai haben ein ausgeprägtes Ego, sind sehr herzlich, aber durchaus auch skeptisch. Durch die sprachliche Problematik habe ich langsamer, betonter Dinge zu formulieren. Auch kann ich hier nicht diesen etwas schroffen Ton deutscher Bars anbringen. Da blockieren sie sofort. Laut mögen sie keineswegs“, so Fernandez.

Die Bar als Pop-Musik

Der enormen Verantwortung, der Fernandez hier gegenübersteht, erkennt man sofort. Nicht nur hat er personell geschickt Mitarbeiter zu führen und zu motivieren, natürlich muss man eine solch große Bar – Herzstück einer international renommierten Hotelkette – auch wohl zu bespielen wissen. Da kann man nicht mit Eaux de Vie oder Sous Vide-Mixologie hantieren und darauf hoffen, einen möglichst gemeinsamen Nenner zu finden.
„Ab einer gewissen Größe kannst du nicht Nische fahren. Ich sage immer: Man muss Pop-Musik gehen. Ja, Pop-Musik verbindet uns ja alle irgendwie, und wir können dem Ganzen auch alle etwas abgewinnen. Nur jetzt frage ich dich: Macht es einen Unterschied, ob ich die Spice Girls auflege oder sage, ‚Hey, heute hau’ ich mal Bowie auf den Vinyl-Player?’ Meines Erachtens auf jeden Fall. Sprich, die Verteufelung eines gewissen Genres aufgrund von Einzelbeispielen ist genauso abstrus und unsinnig wie die Generalisierung von Mainstream-angehauchten Drinks“.

Dem Himmel recht nahe …

Und so werkle er noch an dem finalen Menü. Leichte Twists wolle er haben; mit Stil sollen sie sein. Kreative, fruchtige Drinks, warum nicht auch mal eine Colada – wenn sie gut schmeckt? Mit diesen Drinks – dem Himmel recht Nahe und dem lärmenden Verkehr der Großstadt knapp entflohen – schweift mein Blick über die Stadt, die für viele nur ein Vergnügungsparadies ist. Für mich, Bangkok, bist du mehr. Du magst dreckig, laut, stinkend und auch abstoßend sein. Was Drinks und Gastronomie angeht jedoch, möchte ich dich nicht verlassen.

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Foto: Shutterstock

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