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Vorfeiertag: kein Feierabend in Sicht!

Ein Phänomen, das sich gestern Abend mal wieder beobachten ließ: Gäste sind an Abenden vor Feiertagen völlig aus dem Häuschen. An den Wochenenden sind wir Bartender das gewohnt, wir rechnen sogar damit. Aber irgendwie schaffen es unsere Gäste tatsächlich, an Abenden vor gesetzlichen Feiertagen noch einmal einen draufzulegen. Was passiert da? Und warum?

Ich erinnere mich noch gut an den 24.12.2010. Branimir Hrkac und ich arbeiteten zusammen im Gekkos. Wenige Wochen zuvor hatten wir die Bar eröffnet. Lange Nächte lagen hinter uns. Wir waren müde. Dennoch hatten wir den anderen Angestellten frei gegeben. Als Weihnachtsgeschenk. Es war kurz nach 20 Uhr und wir waren noch allein in der Bar.

Vor dem Feiertag wird, nun ja: gefeiert!

Da keine Gäste anwesend waren, setzen wir uns, öffneten eine gute Flasche Wein, feierten ein wenig gemeinsam Heiligabend und genossen das erste Mal ein wenig Ruhe nach anstrengenden Wochen in der Bar. Es war unaufgeregt, leise, nicht gut für den Umsatz aber gut für uns.

Wir freuten uns auf die Stunden, die vor uns lagen, rechneten mit ein paar Gästen, die kontemplatives Trinken im Sinne haben würden. Denen man ein paar kleine, elegante Getränke, vielleicht einen großen Jahrgangs-Port oder einen alten Grappa zur Feier des Tages servieren dürfte. Gute Konversationen und leiser Jazz. Ein wenig Besinnlichkeit. Viel Zeit für jeden Gast. Glänzen können. So lautete unsere Prognose für den Abend.

Einige Stunden später war die Bar voll. Sehr voll. Ein Gin & Tonic nach dem anderen ging über den Tresen. Champagner in großen Flaschen für große Gruppen, Shotrunden für Feierwütige. Tisch 5 bestellte die dritte Flasche Vodka. Wir bewegten uns schnell, weil wir es mussten. Für eine Menge Menschen, die nicht ans Heimgehen dachten, weil sie am kommenden Tag frei hatten. Menschen in Feierlaune, mit Lust auf laute Musik und ein bisschen Popogewackel dazu. Genau das Gegenteil von dem, womit wir gerechnet hatten. Unser Plan ging nicht auf. Kein bisschen. Was war passiert? Morgen war ein Feiertag.

Warum geht man überhaupt in eine Bar?

In dem mehr als lesenswerten Buch Unglaubensgespräch von Hermann Kurzke und Jacques Wirion bemerkt Kurzke zu der bekannten Karl Marx-Replik, Religion sei das Opium des Volkes: „Das ist richtig, aber auch Musik, Theater, Romane lesen und Fernsehen, feine Gastronomie und Fernreisen sind Opium des Volks. Kultur ist Opium, großenteils. Ohne Opium ist das Leben gar nicht zu ertragen.“

Diesem Gedanken folgend, ist auch der Besuch einer Bar „Opium“. Sicherlich sogar. In zweifacher Hinsicht: Ablenkung im Sinne Kurzkes und – hoffentlich stilvoll genossener – Rausch im eigentlichen Sinne. Dies mögen nach wie vor zwei der größten Motive sein, warum Menschen Bars besuchen.

Die Bar mehr als nur Theater

Nun liegt der Fall im Gegensatz zu einem Theaterbesuch allerdings so, dass der Aufenthalt in einer Bar gegebenenfalls am Morgen danach noch unangenehme Nachwirkungen haben kann. Zumindest für den Fall, dass man früher aufstehen muss, als man dann eigentlich möchte.

Einen Kater können sich die meisten nun einmal nur am Wochenende leisten. Damit wäre auch erklärt, warum Bars unter der Woche in der Regel nicht ganz so gut besucht sind wie am Wochenende, wenn die Arbeit erst einmal für einige Tage hinter unseren Gästen liegt (und natürlich gemeinerweise gleichzeitig wieder vor ihnen – alte Sepp Herberger-Weisheit).

Früher war alles besser!

Noch im Mittelalter gab es in Europa zusammen mit den Sonntagen etwa 90 bis 115 Feiertage im Jahr, und selbst zu Beginn des 18. Jahrhunderts war in Wien jeder dritte Tag ein Feiertag. Die Zeiten waren damals noch andere: Häufige Feiertage passten zu einer Agrargesellschaft mit Zeitüberfluss. Als das Tempo der Gesellschaft jedoch allmählich durch Maschinen bestimmt wurde, bedeutete das längere Arbeitstage. Der blaue Montag wurde abgeschafft, Zeit, die nicht mit Arbeit verbracht werden musste, wurde immer wertvoller, da sie rarer gesät war.

Noch einmal zurück zu Unglaubensgespräch. Darin stellt Kurzke die Behauptung auf, der Mensch leide vor allem unter der Kontingenz, also der sich aller Planung entziehenden Zufälligkeit unseres Lebens. Die Alternative zu Opium, mit der der Mensch diesem Leiden entgegentritt nennt er auch: „Die Kontingenz auszuhalten helfen alle Erfahrungen von Zeitordnung, helfen Riten des Tages-, Wochen- und Jahreslaufs, helfen das gemeinsame Frühstück und die Tagesschau, der regelmäßige Saunaabend wie der Sonntag, die Kirschblüte wie die Fastnacht. Es helfen aber auch Advent, Weihnacht, Aschermittwoch, Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten und Ewigkeitssonntag: der ganze grandiose Zyklus des Kirchenjahrs, der die eintönige Zeit durch Gliederung vieltönig macht, jeder Zeitspanne Sinn und Farbe zuspricht und so den Lebensüberdruß bannt.“

Ewiger Trott und temporärer Ausbruch

Und hier liegt der Gedanke nah, dass diese Bannung des Lebensüberdrusses, diese wunderbare Irritation des Trotts, gefeiert werden will. Und das dann halt gerne schon am Vorabend. Heute den Kater mit der Flasche großziehen, beim Aufstehen bluten dann eben gefühlterweise mal die Haare. Egal, morgen ist frei! Und das an einem Wochentag!

Und genau darin liegt, so mutmaße ich, der Reiz darin: Wer montags bis freitags Dienst tun muss, Woche für Woche, dem mag es fast schon verwegen vorkommen, an einem Mittwoch- oder Donnerstagabend mal über die Stränge zu schlagen. Wie schön, wenn es ohne größere Konsequenzen möglich ist!

Für die meisten unserer Gäste ist es die Ausnahme, dass an einem Wochentag der Wecker im Morgengrauen stumm bleibt. Hierin liegt für sie die Chance: Endlich mal tun, was vernünftige Leute in einer besseren Welt immer tun würden: Abends in eine Bar gehen und am folgenden Tag ausschlafen. Im Anschluss dann geplantes Nichtstun. Dass ein Bedürfnis dafür besteht, zeigen nicht zuletzt die Besucherzahlen der Bars an solchen Tagen – und immer wieder das Verhalten eben jener Besucher, die sich selbst im Ausnahmezustand wähnen.

Was tun?

Wie soll man dieser Horde Entfesselter also begegnen?

Wie immer: Heißt sie willkommen! Kümmert euch gut um sie, gebt ihnen ein Asyl, einen Zufluchtsort vor dem Immer-Wiederkehrenden. Wider die Kontingenz! Wider die Eintönigkeit! Für diesen einen Abend. Vorfeiertagen wohnt ein wenig Anarchie inne – das ist kein Einwand gegen sie! Im Gegenteil! Lasst eure Gäste feiern, helft ihnen dabei, dieses kleine Stück Freiheit zu zelebrieren! Sie werden es euch danken. Verschnaufen können wir danach freilich nur kurz – das Wochenende steht vor der Tür. Für alle Beteiligten. Endlich!

Credits

Foto: Tanzende Menschen via Shutterstock

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