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So nah und doch so fremd: Berlin von außen

Unser Ur-Berliner Autor Robert Schröter hat zuletzt mehrere Jahre als Gastronomie-Consultant hochwertige Bar- und Hospitality-Konzepte in Fernost betreut. Nun ist er zurück und fragt sich, wie sich „sein“ Berlin in der Zwischenzeit entwickelt hat. Ein durchaus kritischer Blick auf die Hauptstadt und ihre Bars.

Deutschland, und insbesondere Berlin, entwickelt sich aufgrund vieler positiver Faktoren immer mehr zu einem Angelpunkt der europäischen Barszene. Eine Fülle an Kreativen, die gutes Essen und gute Drinks schätzen, eine Barmesse mit globalem Ruf und der Rückenwind der 90er Jahre schieben Berlin immer weiter voran auf dem Weg zu Weltklasse-Getränken. Wir blicken – nach mehreren Jahren der Abwesenheit – von außen darauf: wie steht es um den weltweiten Vergleich der Berliner Bars?

Von drinnen nach draußen

Der Autor wuchs in Berlin auf und lernte das Nachtleben sowie die Szene von der Pieke auf kennen. Über eine Dekade später zog es ihn aus der Berliner Nacht in ferne Gefilde. Nach nunmehr mehrjähriger Arbeit in diversen Ländern Asiens und Ozeaniens ist die Wiedersehensfreude groß und es gilt, sowohl alte Bekannte, als auch großartige, neue Konzepte zu entdecken.

Von draußen nach drinnen

Grundsätzlich bietet Berlin dem internationalen Gast gastronomisch eine immer breiter werdende Palette. Es häufen sich die unterschiedlichsten Konzepte, auch auf unerwartete und international nicht selbstverständliche Weise gemischt, was weiter zur Vielfalt beiträgt. Verglichen mit den Nullerjahren ist dies ein großer Fortschritt.

Ebenso fällt der immer größere Schwerpunkt auf die Einrichtung ins Auge. Waren Berliner Ikonen wie die Bar Tausend oder die Victoria Bar eher Ausnahmen mit ihrem herausstechendem Design, so sind nun der Großteil der Neueröffnungen überaus fotogen.
Hierbei findet man Stile à la „New York Warehouse“ oder „Sydney Beach“ bunt gemischt mit einem zunehmend an Charakter gewinnenden rohem Berliner Schick wie etwa im Velvet oder der Schwarzen Traube. Die Hochglanzästhetik aus Hong Kong oder Shanghai lässt sich hier jedoch noch nicht finanzieren und wird häufig nur großzügig via Ikea nachgestellt.

Design kontra Hochnäsigkeit

Blicken wir tiefer, fallen Parallelen mit des Autoren ehemaliger Wahlheimat Melbourne auf. Hochwertigere Kaffeemaschinen und sogar deren professionelle Handhabung ersetzten in den letzten Jahren die rumpelige Media Markt-Espressomaschine. Auch der Mut zu kleinen Läden, oft inhabergeführt, ist wieder gewachsen. Ebenso interessant zu sehen ist, dass es Restaurants immer besser verstehen, eine Bar sinnvoll zu integrieren.

Dies ist etwas, was dem Autor besonders in Melbourne und Sydney überaus positiv auffiel. Gute Berliner Vertreter dieser Gruppe sind zum Beispiel das Volta oder die Kantine Kohlmann. Letztere ist auch ein bestens geeignetes Beispiel für den oben angesprochenen, verstärkten Fokus auf hochwertigeres Design.

Gleichzeitig wird dort aber auch noch immer eine Bartender-Attitüde gepflegt, die etwas unangenehm vom eigenen Können überzeugt ist. Diese Allüren gehören wohl kaum in Spitzenbars, sind aber auch in anderen deutschen Städten anzutreffen.
Allerdings soll hier festgehalten werden, dass in den letzten Jahren der Berliner Service generell deutlich an Qualität gewinnen konnte! Noch reicht er nicht an die berühmte, manchmal ans Devote grenzende japanische Gastgeberkunst heran, doch ist die „Servicewüste Deutschland“ einer Oase schon deutlich ähnlicher.

Alles neu? Alles frisch?

Das gesteigerte Bewusstsein der Berliner Gäste für gute Drinks sorgt auch für eine größere Nachfrage nach Bars, die einen klar definierten Charakter mitbringen. Gleichzeitig hat eine merkliche Verbesserung der Kneipen-Getränkekarten in Richtung Horse’s Neck und Old Fashioned stattgefunden. Generell hat Berlin damit an allen Fronten stark im internationalen Vergleich zugelegt.

Doch ist beispielsweise das Bewusstsein für Details und Eigenschaften der Ingredienzien hier im Vergleich zu Fernost noch nicht weit genug gediehen. Mehr Feingefühl mit Zutaten wäre erforderlich, um hier noch aufzuschließen. Der zu Kohle geröstete Rosmarinzweig lässt grüßen…

Diesbezüglich hinkt die Berliner Szene leider noch hinter Beispielen wie Tokio, Taipeh oder Singapur hinterher. In letzter Stadt arbeitete der Autor in einer Bar, wo alle Kräuter selbst angebaut wurden. Was im Berliner Klima – zugegeben – wohl schwierig werden dürfte, doch aufzeigt, wie weit die Hingabe zu perfekten Zutaten getrieben werden kann.

Wie geht’s weiter?

Aus außereuropäischer Sicht muss weiterhin ganz klar fest gehalten werden: Die Berliner Barszene hat sich zurecht einen Namen in der Welt gemacht, doch bleibt das Rock ‘n Roll-Image nach wie vor ein zentrales Alleinstellungsmerkmal. Dies wird jedoch inzwischen mit sehr hoher Getränke- und Servicequalität unterfüttert. Und obwohl auch zahlreiche hochwertige Bars wie Amano, Lebensstern, Stagger Lee oder Le Croco Bleu das gesetzte Bar-Image pflegen, sorgen vor allem jene weltweit begehrten Berliner Nächte voller sprudelnder Energie aufgrund ihrer Einzigartigkeit für Begeisterung der Besucher auf den ersten Blick.

Noch gehen Weltklasse-Service oder jedes Mal perfekt sitzende Getränke in der Hauptstadt leider manchmal im Punkrock unter. Größter Nachholbedarf besteht in puncto Bescheidenheit, Aufmerksamkeit im Service und Warenkunde der nichtalkoholischen Zutaten, wenn die hiesige Szene international noch höher punkten will. Aber das sollte eigentlich kein Problem sein. Schließlich sind wir ja in Berlin.

Credits

Foto: Lupe, Karte und Brandenburger Tor via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker

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