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Berts Beete: Vom Strauch in den Shaker

Junkies, Technikstudenten, Kunst-Volk und Touristen, die die Secession oder den Naschmarkt suchen, stellen das Gros der Passanten am Wiener Karlsplatz. Ihnen allen blüht jetzt was: Denn das Heuer ist eine Bar mit eigenem Gemüsegarten.

Es war ein Neustart mit Anlauf, am Ende wurde es aber sogar noch knapp. Seit dem Abgang von Bert Jachmann im „Fabio’s“, dessen Bar mit ihm aufblühte und auch Verweigerern dieses Laufstegs für „bessere“ Wiener und fallweise ungute russische Gäste einen Besuchsgrund lieferte, war klar: Next stop Karlsplatz. Am Knotenpunkt dreier U-Bahnlinien werkt der zweimalige World Class-Finalist nun in einem gläsernen Quader und freut sich vor allem, dass der Eyecatcher des Lokals doch noch montiert wurde. Der eindrucksvolle Flaschenschrank links vom Eingang ist neben der Bar selbst der einzige Hingucker in jener Neueröffnung, die das in puncto Hauptstadtbars als Annus mirabilis geltende 2014 verlängert.

Die Küche, die Journaille und die Bar

Wobei, den eigentlichen Kern verfehlt der direkte Weg, rechts vom Eingang, in die Heuer-Bar. Denn neben dem linker Hand gelegenen Restaurant wartet auch der „Stadtgarten“ auf seine Bewunderer. Hier wird mit in der City – gut 100 Meter von der Oper entfernt – von einem Verein tatsächlich urbaner Gemüseanbau betrieben. „Vom Strauch in den Shaker“, zeigt Jachmann, der als Journalist nach Wien kam, dass er zumindest das Schlagzeilen-Formulieren nicht verlernt hat. Den Garten teilt er sich mit Peter Fallnbügl, der als Koch bereits reihenweise Gläser mit der Ernte des Vorjahres gefüllt hat.

Und auch Limonaden wurden hier auf Essigbasis schon aus so ziemlich allen Feldfrüchten geköchelt. „Räucherofen und Pacojet in der Küche geben uns natürlich Super-Möglichkeiten“, hat sich der 31-jährige Barchef bereits mit seinem Rivalen um die Gemüse-Verwertung angefreundet. So kommt die Genussmischung, ein Räuchernussmix, noch warm aus der Küche, die ansonsten auch das feine Barfood liefert. „Wenn dann noch die Popcorn-Maschine da ist, variieren wir je nach Ernte mit Kräutern den Geschmack des Mais-Snacks“, knistert es laut Bert demnächst direkt neben dem Tresen.

Patriotisch: Austria an erster Stelle

Dem Brandenburger steht Stefan Bauer zur Seite. Da auch er als Profi – zuletzt in der Albertina Passage – des Wiener Barwesens agiert, geht sich im Moment die ab 18 Uhr startende Zwei-Mann-Show aus, „für den Sommer brauchen wir aber sicher mehr Leute“. Denn dann verlagert sich das Geschehen ins Freie, die beliebte Terrasse verdoppelt die 60 Sitzplätze der Bar auf einen Schlag.

Will man dem Heuer abseits der Garten-Thematik eine Kernthematik attestieren, dann heißt diese sicher „Made in GSA“. Damit aber genug unseres Schlüpfens in die Rolle eines Marketingfuzzis und dessen Abbreviationskampfrhetorik. Konkret bringen nämlich die sieben Signature-Drinks auf der momentan noch reduzierten „Heuer und Jetzt“-Seite der Cocktailkarte österreichische Spezialitäten in die Jigger, die man nicht jeden Tag findet. Kernöl etwa, das dem „Steirisch Sauer“, laut Jachmann „unsere Variante des Pisco Sour“, die Flecken auf die schaumig-weiße Vanille-Decke zaubert. Unter ihr vereinen sich Muskateller-Weinbrand vom Weinviertler Weingut Schober und die wiederentdeckte Natursäure Verjus (der Saft unreifer Trauben war im Mittelalter Säuerungsmittel). Wachauer Williams-Birnenschnaps von Markus Wieser trifft auf den alten Genossenschafts-Weinbrand der Freien Weingärtner (zur Abfüllung hieß die heutige Domäne Wachau noch so). Mit Grand Marnier und Zitronensaft wird daraus ein „Beiwagerl“.

Doch nicht nur bei den Signatures – „20 sollen es später einmal werden“ – auch beim Pouring vertraut man auf Spirits „made in A“. Mit Ausnahme eines Grappas stammen alle Brände aus Österreich bzw. der GSA-Region, womit sich rare Abfüllungen wie Hermann Rogners „W4-Gin“ oder der der Schweizer Geheimtipp „NGinious“ einem Vergleichskampf in der Tonic-Arena stellen können.

Die Heuer paßt, am Deck wird geshrubt”

Jachmann-Fans suchen natürlich vor allem eines: Wo ist der Shrub? Die Leidenschaft für das Einkochen hat er nicht verloren, im Gegenteil: Der Garten des Heuer dürfte eher neue Aromen hervorbringen, wenn sich endlich die Frühlingssonne anschickt, das blaue U-Bahnzeichen als einzige Lichtquelle im Schneegestöber abzulösen. Aktuell gibt der „Martini Shrub“ einen Vorgeschmack, der zum Gin auch Wermut-Essig-Shrub und einen Schuss Beerenauslese von Süßwein-Ikone Gerhard Kracher beifügt. Wenn so die Aromen zwischen Wacholder und Wermutsüße hin und her schaukeln, fühlt man sich tatsächlich versucht, länger am Garten-Dampfer „anzuheuern”. Und sei es nur, um sich weitere Wortspiele auszudenken.

Credits

Foto: Bilder via Heuer am Karlsplatz

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