Einfach mal einen Gang hochschalten: der Bicicletta Cocktail
Der Bicicletta Cocktail ist natürlich gar kein Cocktail. Er ist im Prinzip nur eine um Campari erweiterte Weinschorle. Das klingt schnöde, ist aber tatsächlich und wahrhaft frühabendliche Kirmes im Mund. Oder mit anderen Worten: ein Aperol Spritz, der einen Gang hochschaltet. Und Fahrradfahren geht ja eh immer.
Mit der Einfachheit ist das so eine Sache. Sie kann genial sein. Aber sie kann auch ganz entsetzlich in die Hose gehen. Der Schriftsteller und Kolumnist Max Goldt schrieb einst, dass das Einfache nur dann wirklich beeindruckend sei, wenn sich dahinter komplizierte Gedanken verbergen. Das mag für die Kunst stimmen, für Architektur oder Literatur. Bei Getränken stimmt das nicht.
Bicicletta
Zutaten
4 cl Campari
8 cl trockener, säurebetonter Weißwein
6 bis 8 cl Soda / stark karbonisiertes Mineralwasser
Einfachheit macht Spaß. Im Bicicletta umso mehr.
Bei Getränken ist Einfachheit dann genial, wenn die Zutaten passen. Insbesondere gilt das natürlich für Zweiteiler, und noch mal mehr, wenn es sich um Getränke handelt, deren Zutaten aus Cocktail-Sicht nicht unbedingt vor aromatischer Kraft strotzen. Die beiden besten Beispiele für Einfachheit, die genial sein oder entsetzlich in die Hose gehen kann, sind zwei Drinks, die jeder – bestimmt auch jede:r Bartender:in – jeden Sommer mehrfach trinkt: Radler und Weinschorle. Beide können an einem heißen Nachmittag der Himmel auf Erden sein. Beide sind primär dafür da, zu erfrischen und zu rehydrieren, bringen aber durch ihren alkoholischen Bestandteil diesen kleinen geschmacklichen „Spike“ mit, den man ohne Alkohol eben nicht erreicht (für die Sonderform namens Pfälzer Weinschorle gelten andere Regeln).
Aber beide können eben auch leicht zu einem Griff ins Klo werden. Beim Radler kann beispielsweise schlicht die Zitronenlimonade mies sein (was für ein Bier man nimmt, ist – ehrlich gesagt – ziemlich egal). Oder die Limo ist schlicht schal. Oder, am schlimmsten: Es ist nicht eiskalt. Denn das Radler muss quasi direkt über dem Gefrierpunkt liegen, sonst funktioniert das nicht. Das mit der Kälte ist bei der Weinschorle identisch. Und verhunzt man einen ungeeigneten, zu wenig herben, zu wenig säuerlichen Wein, womöglich auch noch mit zu wenig perlendem Mineralwasser, ist eine Weinschorle etwas ganz, ganz Fieses. Sozusagen unnötige Alkoholzufuhr. Stattdessen kann man auch einfach Wasser trinken.
Mit dem Bicicletta Cocktail auf die Überholspur
Jetzt haben wir schon 285 Wörter geschrieben und sind noch gar nicht beim Thema. Der Exkurs zu Radler und Weinschorle musste aber sein, weil wir es heute mit einem Drink zu tun haben, dessen Name mit dem Radler verwandt ist und dessen Zusammensetzung nichts anderes als eine gepimpte Weinschorle darstellt: der Bicicletta. Eine Weinschorle mit ein bisschen Campari. Da ist sie wieder, die Einfachheit.
„Bicicletta“ ist nichts anderes als das italienische Wort für „Fahrrad“. Woher der Drink seinen Namen hat, lässt sich nicht exakt herausfinden – wie so oft bei simplen Getränken, die irgendwie und irgendwann, wahrscheinlich an mehreren Orten parallel, quasi im Vorbeigehen entstanden sind. Lediglich den Hinweis, dass Gäste nach mehreren Gläsern bedrohlich schwankend auf dem Fahrrad nach Hause fuhren, findet man hier und da. Nicht immer ist ein hedonistisch veranlagter Graf zur Hand, der als Namenspate dienen kann. So also eben hier das Fahrrad.
Mitunter wird der Bicicletta auch als „Bicicletta Spritz“ bezeichnet, was streng genommen natürlich zutrifft: Letztlich geht die heute so betitelte Drink-Kategorie ebenfalls auf die Weinschorle (österr. „G’spritzter“) sowie den „Spritz Veneziano“ als Urform des Aperol Spritz zurück. Das Herz des Bicicletta ist somit – ähnlich wie beim Aperol Spritz – die Spannung, die durch das Wechselspiel aus Frische und Spritzigkeit des Weins mit der Bitterkeit des Likörs entsteht. Ebenfalls ähnlich ist die Tatsache, dass man trotz reichlich vorhandener Alternativen wirklich bei Campari als Bitterlikör bleiben sollte. Natürlich kann man substituieren. Natürlich gibt es besonders in Italien zahlreiche andere rote Bitterliköre. Aber hier geht es eben um den Bicicletta, und der wird überall mit Campari geführt. Den gibt’s überall, und das ist ein zentrales Argument. Der Bicicletta lebt auch davon, dass er nicht exklusiv und auf keinen Fall verkopft sein will. Stichwort Einfachheit. Das gilt auch für die Rezeptur. Ein Zentiliter mehr oder weniger vom Campari oder vom Soda sollte dem persönlichen Geschmack überlassen sein.
Die Wahrheit liegt, wie so oft, im Wein
Als typischer, klassischer Wein wird in den meisten Rezepturen der Italien-Evergreen Pinot Grigio (dt. Grauburgunder) empfohlen, sehr häufig auch Sauvignon Blanc. Letzterer bringt allerdings oft die für ihn so charakteristischen Töne von sehr viel exotischer Frucht mit, die man mögen kann, aber nicht muss. Wichtig ist in jedem Fall, dass der Wein eine präsente, kräftige Säurestruktur mitbringt, um nicht unterzugehen und das nötige Gegengewicht zu Süße und Bitterkeit zu setzen. Insbesondere preisgünstige italienische Pinot Gritschos zeichnen sich ja mitunter durch geradezu bissige Säure, aber gleichzeitig flache Struktur aus. Insofern sollte man sich nördlich der Alpen nicht davor scheuen, auf deutsche Rieslinge zurückzugreifen. Denn der bringt ebenfalls, gerade auch in einfacheren Qualitäten, oft genau jenen kleinen, scharfen „Laser“-Schmackes mit, der sich für die Verwendung in Spritzes perfekt anbietet. In Österreich darf man natürlich auch Veltliner nehmen. Und nein: Es soll Stillwein sein, kein Schaumwein. Die Kohlensäure im Bicicletta kommt vom Soda und ist im Vergleich zum Aperol Spritz weniger frontal. Eher so nebenbei
Die Variante mit einem trockenen Mosel-Riesling (Weingut St. Urbans-Hof/Nik Weis, Riesling Schiefer 2022) unterstreicht diese Vermutung: Rassige, crispe Säure, dennoch hat der Drink auch eine gewisse Fläche und wirkt zwar extrem frisch, aber nicht eindimensional. Die Süße des Campari wird gut gebändigt, während seine Grapefruitnoten durch den Wein besonders unterstrichen werden. Ein Riesling aus Rheinhessen wiederum (Weingut St. Antony, Riesling „Nierstein“ 2021) macht den Bicicletta etwas zarter, balancierter und zugänglicher. Trotz gleicher Mengenverhältnisse wirkt diese Version im Vergleich zur ersten deutlich „weiniger“.
Mit einem typischen, sehr spitzen und günstigen Pinot Grigio aus Venetien wiederum entsteht ein Bicicletta, der vielleicht etwas weniger ein „ernsthafter” Aperitivo ist, aber einen Haufen Freude macht: In-your-face-Brightness in der Nase, wieder viel Grapefruit, eine Spur gelbe Früchte und dazu die Frische aus der Orangenspalten-Garnitur. Man will nur noch fragen: „O Terrasse in der Abendsonne, where art thou?!“
Da zeigt sich also direkt eine weitere große Stärke des Bicicletta Cocktails: Einfach bleibt er in jedem Fall, doch durch gezielte Arbeit mit dem richtigen Wein lässt er sich ganz unterschiedlich aussteuern – mal als bunt lackiertes Mountain Bike mit dicken Reifen, als schnittiges Rennrad oder als gemütliche holländische Tourenmühle. In jedem Fall legt man mit dem Bicicletta jetzt, wo es langsam wärmer wird, ganz sicher immer den richtigen Gang ein.
Credits
Foto: Sarah Swantje Fischer