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Rum

Zehn bittersüße Rum-Wahrheiten

Mehr als jede andere Spirituosengattung hat Rum zwei Gesichter: Reichtum und Elend, Glamour und Suff, Prestige und Prekariat oder Ehrlichkeit und Lüge liegen beim Rum oft nur ein paar Meter voneinander entfernt. Doch die Branche boomt. Unser Autor, einer der führenden Rum-Experten Deutschlands, mit zehn Anmerkungen und Wünschen an die Hersteller, wie man die Rum-Welt noch etwas besser machen könnte.

1. Kultur

Wo Zuckerrohr wächst, wird Rum gebrannt – also auf allen Kontinenten. In Deutschland kennen wir vor allem Rum aus der Karibik, der größte Rum-Produzent ist hingegen Indien.
Oft werden allerdings gewisse Stile kopiert. Hier wäre es schön, wenn sich die Produzenten verstärkt auf die Gegebenheiten ihrer Umgebung konzentrieren würden. „Nine Leaves“ aus Japan ist ein gutes Beispiel: Mit seinem Rum, gewonnen aus dem schwarzen Zuckerrohr aus Okinawa, begeistert das Haus unsere Sinne!

2. Die vielfältigste Spirituose der Welt

Mit Abstand! Zahllose Herstellungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung: von hölzerner Pot Still der (geschlossenen) Destillerie „Versailles“ bis hin zu fast neutraler Column-Still. Verarbeitung der Rohstoffe: ob Melasse, frisch gepresster Zuckerrohrsaft oder Sugar Cane Honey (ein Sirup aus dem Saft). Und natürlich der Einfluss des Klimas! Dies bietet eine Vielfalt an Geschmacksnoten und eine Komplexität, die von keiner anderen Spirituosenkategorie erreicht werden kann. Doch selbst hier besteht noch mehr Potenzial (siehe Punkt 1 & 4).

3. Schneller Reifeprozess vs. Ego

Aufgrund der hohen Temperatur und Luftfeuchtigkeit der Herstellungsländer reift Rum in der Regel deutlich schneller als andere Spirituosen wie z. B. schottischer Whisky. Bis viermal so schnell schreitet die Reifung voran und bis zu 12 % Angels’ Share (in Schottland gerade mal 1 – 3 %) bereichern die Homosphäre.

Doch Vorsicht: Das schwierige Thema der Fasslagerung verlangt eine Menge Verständnis für Materie und Erfahrung. Überlagerung und ein unausgewogenes Geschmacksbild sind schnell das Resultat falscher Anwendung. Das Haus »New Grove« zum Beispiel hat dies erkannt, professionelle Hilfe geholt und seitdem die Qualität deutlich gesteigert. Doch gerade in der Karibik steht das Ego der Hersteller der Vernunft oft im Weg.

4. Langweilige Fassauswahl

Immer das Gleiche: Da Bourbon für mindestens zwei Jahre in unbenutzter amerikanischer Weißeiche gelagert werden muss, gelangen diese Fässer anschließend oft zu den Rumherstellern. Wenn jemand was Besonderes wünscht, greift er zu ehemaligen Sherry- oder Port-Fässern.

Ihre Berechtigung haben solche Rum-Stile durchaus – doch dass es viel spannender geht, zeigt uns z. B. Brasilien mit seinem Cachaça. Diese wundervolle Schwester des Rums überzeugt mit spannenden Abfüllungen, ausgebaut in tropischen Hölzern, die dem Destillat etwa eine herrliche Zimtnote verleihen (beim Amburana-Fass).

5. Monokultur & andere Naturschäden

Zuckerrohr bedient nicht nur 70 % des Zuckermarktes, sondern auch immer mehr die Nachfrage nach Bioethanol – gerade in Ländern wie Brasilien (mit Abstand der größte Produzent der Welt). Zuckerrohr ist dadurch lukrativer als der Anbau anderer Pflanzen, was zu einer Monokultur führt, am Leben erhalten durch die Verwendung erheblicher Düngemengen.

Hinzu kommt, dass die Felder einen Tag vor der Ernte abgebrannt werden, um das Unkraut und die Blätter zu entfernen. Länder wie Thailand (viertgrößter Produzent) haben das Abbrennen bereits verboten, aus den Blättern wird nun Energie gewonnen. Ein guter erster Schritt.

6. Schlechte Arbeitsbedingungen

Gerade in vielen Entwicklungsländern wird nicht nur die Natur ausgebeutet, sondern auch die Arbeiter. Die Arbeitsbedingungen sind häufig eine Katastrophe – gerade bei großen Destillen, die die Preise enorm drücken müssen, um die immensen Marketingkosten zu tragen.

»Centenario« etwa zahlt den Mitarbeitern nicht nur deutlich mehr als die meisten Mitbewerber, sondern kümmert sich auch nachhaltig um die nachfolgenden Generationen: Die Kinder der Arbeiter werden zur Schule geschickt und versorgt, statt auf den Feldern zu arbeiten. Bravo!

7. Farbstoff

Heikles Thema mit viel Konfliktpotenzial – fast alle sind dagegen. Doch so einfach ist es nicht: Die Entwicklung des Geschmacks hat bei der Reifung nichts mit der Farbe zu tun. So können zwei Fässer sehr ähnlich schmecken, obwohl die Farbe komplett unterschiedlich ist. Da sich der Konsument enorm durch optische Einflüsse täuschen lässt, greift der Master Blender auf einen hochkonzentrierten Karamell zurück, um für eine einheitliche Farbe zu sorgen. Richtig angewendet ist Zuckercouleur bei gereiften Spirituosen mit der menschlichen Sensorik auch nicht schmeckbar.

Dass das kein Loblied auf die schwarzgefärbte Billigplörre aus dem Discounter sein soll, versteht sich hoffentlich von selbst!

8. Mehr Transparenz

Leider ist Farbstoff oft nicht der einzige Zusatz. Riesige Mengen Zucker (teilweise bis zu 120 g pro Liter) wurden bei einigen Marken gemessen. Auch Zusätze von Glycerin etc. konnten gefunden werden.

Es ist überhaupt nichts an gesüßten oder aromatisierten Produkten auszusetzen. Wenn der Kunde ein solches Geschmackserlebnis wünscht, dann soll er es auch kriegen. Doch das sollte dann auch genau so kommuniziert werden – nämlich auf dem Etikett! Und bitte: Auf chemische Zusatzstoffe sollte wirklich jeder verzichten. Solche Skandale schaden der gesamten Industrie ungemein und unterminieren die liebevolle Arbeit ehrlicher Hersteller.

9. Keine einheitlichen Gesetze

Ein großer Nachteil, den eine internationale Spirituosenkategorie mit sich bringt. Schottischer Single Malt wird gerne als Gegenbeispiel genannt. Kein fairer Vergleich, da hier nationale Regularien greifen. International betrachtet leidet Whisky sogar stärker unter mangelnden einheitlichen Gesetzen: Oft wird nicht mal Getreide, sondern Melasse als Rohstoff verarbeitet und anschließend als »Whisk(e)y« vermarktet, da die Nachfrage höher und das Image besser ist.

Für eine bessere Transparenz wären einheitliche Gesetze dennoch wünschenswert. Da aber die jamaikanischen Brenner z. B. ihren kolumbianischen Kollegen nichts vorschreiben können, sind wenigstens verschärfte EU-Richtlinien ein guter Schritt!

10. Konsumverhalten

Rum ist extrem flexibel: ob als Cocktail oder Longdrink, kräftig oder leicht. Pur – gerne mit angenehmer, zugänglicher, leichter Süße oder aber als gehaltvolle, würzige Fassstärke. Nur leider hat Rum – gerade in den GSA-Ländern – nach wie vor ein immenses Imageproblem. Daran ist die Industrie aber mitschuldig, da bis vor Kurzem fast ausschließlich sinnloses, neutrales Rum saufen propagiert worden ist.

Mauritius und Organisationen wie Rhum Agricole Tour, geführt von Benoît Bail, gehen da mit gutem Beispiel voran, die jeweils gemeinsam als Land auf Messen und Veranstaltungen auftreten und den Horizont des Verbrauchers erweitern, indem sie ihre Qualitätsprodukte zugänglich machen.

 

Anm.: Dieser Text erschien in leicht veränderter Form in der Print-Ausgabe 01-19 von MIXOLOGY – Magazin für Barkultur.

Credits

Foto: Vectorstock, Montage: Editienne

Comments (4)

  • Pjotr

    Die Fasslagerung ist Geschmackssache.
    Vieles vom typischen Rum Charakter
    geht durch die Lagerung in “exotischen” Fässer
    auch dahin.

    p.

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    • Nicolas

      Moin Pjotr, natürlich ist das Geschmackssache – wie ja so ziemlich alles.
      “Ihre Berechtigung haben solche Rum-Stile durchaus…” – das habe ich damit ja auch betont.

      Was genau soll denn der “typische Rum Charakter” sein? Genau darum geht es ja bei diesem Punkt: Mehr Vielfalt! Das heißt ja nicht, dass die bestehenden Stile nicht mehr weitergeführt werden sollen.

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  • Don Ron

    Centenario hat keine Destille noch eigene Zuckerrohrfelder.100!!

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    • Nicolas

      Moin Don Ron,
      kann ich mir gut vorstellen. Viele Marken produzieren nicht selber, bzw. nicht die gesamte Menge – und das sogar bei Firmen, die das ganz klar so kommunizieren – also den Konsumenten bewusst anlügen. Auf der anderen Seite ist das auch nicht unüblich, dass eine Marke keine eigene Destille hat. Bei vielen Rum-Marken aber z.B. auch beim Cognac ist das ganz normal.
      Da ich selber noch nicht auf Costa Rica war, bin ich lieber vorsichtig mit meiner Aussage – daher habe ich in dem Artikel auch nichts von einer Destillerie, bzw. eigenen Zuckerrohrfeldern erwähnt, sondern lediglich, dass die Mitarbeiter sehr gut behandelt werden. Eine Information die ich von Dirk Becker habe, der sich selber davon überzeugt hat.

      LG

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