Cash is King oder Card is Queen? Über die Kartenzahlung in der Gastronomie
Nicht erst seit der Pandemie ist die Frage nach bargeldloser Bezahlung auch im bargeld-fixierten Deutschland verstärkt in den Fokus gerückt. Kartenzahlung ist sauberer, diebstahlsicherer und bisweilen schneller. Allerdings auch verfolgbarer und technokratischer. Und selten fühlt sich die Trinkgeld-Situation dabei gut an. Wohin geht die Reise? MIXOLOGY Online hat nachgefragt.
Die Sache mit dem Trinkgeld ist mit Karte wahrlich komplizierter als bei der Barzahlung. Manche Bartender:innen dürfen das Tip nicht ins Kartenlesegerät eingeben, andere bekommen das Trinkgeld nicht persönlich ausgezahlt, andere wiederum sind schlichtweg zu schnell im Eintippen der Summe in Relation zur geistigen Gegenwärtigkeit der Gäste im Zahlmoment. Mit Bargeld ist es einfacher: Man bezahlt genauso schnell, wie man eben bezahlen kann, und gibt so viel, wie es sich anfühlt und der Geldbeutel zulässt.
Dies gesagt, gibt es selbstredend allgemeine Vor- und Nachteile der beiden Zahl-Methoden. Die Kartenzahlung ist dokumentiert und nachweisbar, die Bargeldzahlung nicht. Bei der einen hat man den Überblick über die finanzielle Lage, bei der anderen eher anderen nicht. Je nach Auslegung ginge all dies sowohl als Vor- wie auch als Nachteil durch.
Faustregel: bei Kartenzahlung weniger Trinkgeld
Wir hören uns also um und wollen zunächst einmal ganz profan wissen, wie die Sache mit dem bargeldlosen Bezahlen gehalten wird und natürlich, wie sich diese Tatsache auf die Trinkgeld-Situation auswirkt. Zumindest bei Maria Gorbatschova in der Green Door Bar läuft die Sache zunächst unkompliziert an: Sie nimmt Cash, alle Karten und Apple Pay. „Im Schnitt geben die Leute bei Kartenzahlung weniger Trinkgeld“, so ihre Beobachtung.
Wenn sie sich selbst als Gast am Tresen oder im Restaurant aufhält, bezahlt sie mit „dem, was immer ich gerade bei mir habe. Meist will ich das Bargeld vom eigenen Tip loswerden.“ Quod erat demonstrandum – Tip bleibt allgemeinhin eine bare Angelegenheit. Dieser seltsame Spagat lädt tatsächlich zum Nachdenken ein; denn einerseits hat die Pandemie aufs Unangenehmste gezeigt, welche, gelinde gesagt, Defizite Deutschland in puncto Digitalisierung aufweist. Und wenn Bars fortschrittlich denken, wenn sie bewusst und nachhaltig im Umgang mit Umwelt und Personal umgehen, sollte auch Digitalisierung inbegriffen sein – schließlich ist Geld unnützes Papier, lädt ein zu Grauzonen und weist, mit richtig umgesetztem Datenschutz bei der Kartenzahlung, keine besonders guten Argumente mehr auf.
Wobei: „Tip funktioniert mit Karte nicht“ ist keine selten gehörte Antwort. Und doch ist das Auseinanderdividieren von „Bezahlung“ und „Trinkgeld“ quatsch. Der Gast will also mit Karte zahlen, „tipt“ aber gern in bar, dividiert aber auch ungern und bleibt somit generell in der Barzahlungs-Schleife hängen.
Gehören für Gorbatschova Scheine und Münzen an den Tresen? Klingt Tip nach Münzen oder dem aufrundenden Rascheln eines 50 Euro-Scheins? Einmal ganz davon abgesehen, hängt am Bargeld ja nun auch viel Situationslogik: Irgendwann ist der Geldbeutel leer und der nächste Shot wird der letzte gewesen sein. Auch mal nicht schlecht. Manch Bartender wird dann noch immer zu einer letzten Runde animieren wollen, doch auch diese, eigentlich schöne Geste, fällt mit der Karte weg, schlichtweg aus angemessener Peinlichkeit. Bargeld also komplett weg und Karte mit allen Trinkgeld-Funktionen her? Für Gorbatschova muss Bargeld jedenfalls keineswegs sein: „Das ist etwas für Läden, die gerne mal was schwarz machen. Wir arbeiten sauber, da geht Karte gut; außerdem geht die Abrechnung schneller, diebstahlsicherer ist es auch.“ Word.
An Cash Only ist nicht mehr zu denken
Wir linsen rüber nach München ins Schumann’s. Im Grunde würde man hier beides vermuten. Dass der Herr des Hauses lediglich lederne Sackerl entgegen nimmt, die abgewogen werden, oder aber Inhalte goldener Geldscheinklammern in ägyptischem Jugendstil. Doch Pustekuchen. Magdalena Karkosz stemmt den Schumann’s-Tresen seit geraumer Zeit und erzählt, dass beides möglich ist, bar, alle Karten – außer American Express: „Menschen haben nicht mehr ein Bündel Bargeld in der Tasche, hier geht es kontaktlos und ohne Aufwand, selbst mit einer davor vorgesehenen Uhr kann man zahlen. An Cash Only ist nicht mehr zu denken.”
Am Odeonsplatz wird zumindest das Trinkgeld-Verhalten nicht durch die Zahlungsart verändert – denn das gibt es, so Karkosz, immer und auch sehr gut. „Das Problem ist eher, dass bei den zunehmenden Kartenzahlungen nicht mehr genügend Bares am Ende des Abends da ist, um das Trinkgeld auszuzahlen. Oder nur mit Mühe.“
Ihr selbst ist am liebsten Barzahlung, weil es schneller geht, am Ende findet sie aber, dass jeder zahlen soll, wie er oder sie will. Gastgeberin eben. Persönlich zahlt sie in cash, wenn möglich. Das hat aber durchaus auch gesellschaftspolitische Gründe. „Ich habe mein Trinkgeld oft zur Bank gebracht. Durch etliche Schließungen von Bankfilialen ist dies allerdings kaum noch möglich. Es gibt nur noch eine Filiale meiner Bank in der Innenstadt. Weder habe ich die Zeit noch die Lust, da ständig hinzulaufen, daher habe ich wesentlich mehr Bargeld bei mir. Gäbe es mehr Banken, wäre ich wahrscheinlich bargeldlos.”
Cash Only: Freiheit vs. Verfolgbarkeit
Wie schaut es derweil in der Restaurant-Gastronomie aus? Restaurantkritiker Wolfgang Fassbender beispielsweise würde indes immer lieber digital bezahlen: „Ich bezahle sehr gern mit Karte. Es ist dokumentiert und geht in der Regel schneller. Ich habe auch nicht gerne große Summen bei mir. Trinkgeld gebe ich aber meistens in bar.” Da haben wir es wieder.
Nun sind aber nicht alle Gastronomien reine Tresen, sondern verkaufen durchaus auch Dinge zum Mitnehmen, fungieren daher mitunter als Läden, seit der Pandemie sowieso. Vincent Fiore ist Manager des Neuköllner The Rad, einer Anlaufstelle für Naturwein und einen Happen, vor Ort sowie flaschenweise.
Was geht ab im Kiez, wenn es um bargeldloses Bezahlen geht? Fiore ist gespalten: „Ich finde es ziemlich befremdlich, dass man an manchen Orten nicht mehr bar bezahlen kann. Vor allem in der Gastronomie, wo Bares doch eine gängige Sache ist. Vermutlich fühlt sich das einfach komisch an, weil es neu ist, wohingegen wir an Cash immer gewohnt waren, natürlich je nach Land, in dem man aufgewachsen ist; jetzt soll alles nachvollziehbar sein.”
Dass die Kartenzahlung einen Einfluss auf das Trinkgeld hat, glaubt er wohl, denn: „Beim Rückgeld in bar lässt man als Gast für gewöhnlich Münzen zurück, ohne zu rechnen. Mit der Karte kalkuliert man entweder, oder man vergisst es komplett.” Sein Eindruck ob der kommenden Zeit ist, dass die Karte Überhand nehmen wird: „Ich wäre nicht überrascht, wenn die nächste Generation nur noch mit Karte bezahlt. In Stockholm ist das Usus. Es ist eine Frage der Zeit, dass wir auch in Berlin an diesem Punkt ankommen werden, auch wenn das mal eine Stadt des Bargelds war.”
Er selbst zahlt gerne bar: „Ich mag es, wenn nicht immer alles zurückzuverfolgen ist, das fühlt sich unabhängig und frei an, weg vom System. Aber vielleicht will ich auch einfach nur dagegen sein, gegen die generellen Gesellschaftsregeln von Konsum. Bestimmt aber alles eine Frage der Zeit, wir gewöhnen uns schließlich an vieles.”
Die technische Hemmschwelle
Marcus Schmid wiederum arbeitet bei „Querko“, einer App für digitale Bezahlung. Dort ist er verantwortlich für „Digitalization in Gastronomy, QR-Payment and Techlover“. Für ihn ist Bargeld klar „etwas für Schwarzmarkt und Geldwäsche, sonst nichts.“ Querko bietet Gastronomen an, sich an das verfügbare Kassensystem anzuschließen und Zahlungen mitsamt Trinkgeld digital zu übernehmen, außerdem sind Reservierungen und Bewertungen inbegriffen. Muss man nicht wollen, allerdings scheint es gerade in Deutschland zu helfen. Das German Teilen (mehrere Gäste, die beim Zahlen die Rechnung aufsplitten, Anm.), ein wohlbekannter Alptraum von Gastronomen, funktioniert mit dieser App ohne Probleme, Trinkgeld funktioniert bargeldlos und außerdem kann der Wirt sehen, wer Stammgast ist und wer bloß einmal kam.
Das große Problem: „Die Gastro ist am Strugglen und hat andere Sorgen.“ Dennoch, Mitarbeiter, die ihre Zeit nicht bei Münzgeld zusammenklaubenden Gäste verbringen, können arbeiten. „Unser Ziel ist es, die technische Hemmschwelle komplett zu eliminieren. Jeder Bartender, der sich bei uns meldet, hat innerhalb von zwei Wochen dieses System in seinem Laden.“
Um es also mit Judith Holofernes zu sagen: „Wir müssen nur wollen“ …
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