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Charles Schumann: Das große Interview zum 80. Geburtstag

Am 15. September ist Charles Schumann 80 Jahre alt geworden, der wahrscheinlich wichtigste und bekannteste Barmann der Welt. Wie soll man noch über einen Mann schreiben, über den schon so viel geschrieben, so viel gesprochen, der schon so viel gelobt wurde? Ganz einfach: Man kann nicht über ihn schreiben. Man muss mit ihm sprechen. Über ein wenig Vergangenheit, vor allem aber übers Lernen, übers Neu-Denken, über Selbstreflexion – und immer wieder über die Zukunft.

 

An einem regnerischen Münchener Spätsommertag ist Charles Schumann – natürlich! – um 10 Uhr vormittags schon lange in der Bar am Hofgarten, ist bestens gelaunt, trägt einen mittelblauen Anzug und hat mit dem Fotografen bereits die erste Session hinter sich. Nachdem er sich gesetzt hat, kommt noch ein Anruf, er spricht erst Japanisch, dann Deutsch. Dann kommt noch ein Anruf. Dann ist er aber wirklich da für ein Gespräch anlässlich seines nahenden Geburtstags mit Roland Graf und Nils Wrage.

MIXOLOGY: Lieber Charles, die Fotos heute sind für unser Magazin, aber auch mit 80 Jahren ist das Modeln für große Marken noch immer ein Nebenjob für Dich. Fühlt sich das eigenartig an?

Charles Schumann: Mir war’s vor allem immer wichtig, dass man das für Leute macht, die man mag. Deshalb mache ich es eigentlich. Und man muss so ehrlich sein: Das hat uns in harten Zeiten auch geholfen, dass wir nebenbei ein bisschen Geld verdient haben. Damals bei unserem Umzug an den Hofgarten etwa. Wann ich damit aufhöre, weiß ich nicht. Einer meiner ältesten Freunde, der Journalist Georg Stefan Troller, der im Dezember 100 Jahre alt wird, hat irgendwann entschieden, dass er sich nicht mehr fotografieren lässt. Aber ich glaube, das würde ich nicht machen.

MIXOLOGY: Wenn man Dich im Service im Schumann’s mitlaufen sieht, wirkt es beinahe mehr als früher so, als würdest Du durch Dein Zuhause gehen. Ist die Bar hier mittlerweile noch mehr Deine Heimat als früher?

Charles Schumann: Ja, schon irgendwie. Ich kann hier spazierengehen, so nenne ich das. Ich schimpfe ja öffentlich immer ganz gern rum, dass mir die Bar hier viel zu groß ist und ich mich in einer kleineren Bar besser aufgehoben fühlen würde, wo ich selber noch an der Bar arbeiten könnte. Tatsächlich ist das aber gut so, dass es hier groß und weitläufig ist, so kann ich eben spazierengehen, Gastgeber sein. Und in den Stoßzeiten muss eh jeder mitlaufen, also wenn hier viel los ist am Mittag, dann hab‘ ich auch nicht frei. Oder wenn der Garten voll ist im Sommer, dann sowieso nicht. Da muss jeder mit anpacken und ich gehöre da noch immer mit dazu. Es wissen ja die meisten, dass ich da vor allem in der Küche bin, jedenfalls nicht hinter der Bar. Wir machen einfach sehr viel Essen. Da stehe ich dann am Pass, versuche zu koordinieren und schaue, dass die Sachen rausgehen, dass alles gut angerichtet wird. Auch um mal zu sagen: »So geht’s nicht!«

»Mein Mitarbeiter Anton Harrasser sagt immer, dass die Bar am Hofgarten am Ende wäre, wenn ich weg bin. Glaube ich tatsächlich nicht.«

— Charles Schumann

MIXOLOGY: Also nicht nur quer eingestiegener Barbetreiber, sondern auch Restaurantbesitzer und Küchenchef wider Willen?

Charles Schumann: Ich würde mich nicht wirklich als Küchenchef bezeichnen, aber als jemand, der seit Ewigkeiten kocht und, auch durchs Reisen, sehr viel gesehen hat und der das, was da in der Küche passiert, hier bei uns wahrscheinlich am besten beeinflussen kann. Und ich weiß zumindest, was ich nicht auf dem Teller haben will. So lange ich noch hier bin, versuche ich jedenfalls zu beeinflussen.

MIXOLOGY: Stimmt denn die Vermutung vieler Wegbegleiter, die sagen, dass Charles Schumann ewig hier im Laden stehen wird?

Charles Schumann: Ich rede ja seit mindestens zehn Jahren übers Aufhören, ach was, eigentlich sogar schon seit zwanzig Jahren. Das ist schwierig, ich weiß. Erstens wird’s auch mit jedem Tag immer schwieriger nicht zu gehen. Und noch schwerer ist es, einen Platz zu finden, an den man gehen mag. Ich weiß jedenfalls für mich, dass ich, zumindest einen Großteil des Jahres, noch immer in einer Großstadt leben will, nicht am Tegernsee oder am Chiemsee.

MIXOLOGY: Also keine Fantasie vom Refugium irgendwo weit draußen?

Charles Schumann: Nein, vielleicht dann immer nur für kurze Zeit.

MIXOLOGY: Das heißt wahrscheinlich, dass die lange geträumte Idee von der Strandbar eher verschwunden ist?

Charles Schumann: Die Strandbar braucht doch keiner mehr. Mich fragt auch niemand mehr danach. Aber ich habe auch selbst immer mehr drüber nachgedacht und es ist doch so: Entweder man macht so eine Bar irgendwo, wo viel los ist. Da funktioniert sie dann aber nicht so, wie ich will. Oder man macht sie irgendwo, wo nichts los ist. Das klappt dann aber auch nicht. Ist schwierig! Ich könnte natürlich an Orte gehen, an denen ich früher oft war, wo ich noch Menschen kenne; nach Biarritz vielleicht, da könnte ich eine Bar aufmachen. Aber die wäre dann in der Stadt, nicht am Strand. Generell denke ich viel über Tagesbars nach. Das wäre etwas, was dann später auch ohne mich gut funktioniert, man braucht dafür eigentlich nur zwei, drei Leute, die das gern machen. Dann läuft das.

MIXOLOGY: Machst Du Dir denn viele Gedanken darüber, was mit der Hauptbar hier in München passiert, wenn Du irgendwann gehst?

Charles Schumann: Auch schwierig. Mein Mitarbeiter Anton Harrasser sagt immer, dass die Bar am Hofgarten am Ende wäre, wenn ich weg bin. Glaube ich tatsächlich nicht. Sondern, dass dann vielleicht Luft wäre, Freiraum, wo man sich dann auch überlegen kann, wie man es weitermacht. Aber dann muss es auch so sein, dass man sagt: Wir machen das zusammen, stellen die Egos hinten an und reden miteinander. Es ist ja doch oft so, dass man sich zu profilieren versucht und immer guckt, wer gerade der große Meister hier ist. Wir müssen viel mehr miteinander reden, das machen eigentlich alle viel zu wenig. Offen miteinander sein und schauen, was möglich ist. Und da ist viel möglich, vor allem, weil wir insgesamt heute so starke Leute hier haben wie eigentlich noch nie.

»Wir müssen das alles anders denken, neu denken. Wir müssen den Leuten zeigen, dass wir uns um sie bemühen, und das nicht nur mit Geld. Klar, auch mit Geld. Aber nicht nur. Ich habe es auch schon so gemacht, dass wir bei einer neuen Mitarbeiterin eher ihr die Probezeit eingeräumt haben als uns.«

— Charles Schumann

MIXOLOGY: Das Team ist anders als früher. Funktioniert es anders? Es ist ja derzeit auch eine spannende Mischung, einerseits mit ein paar neuen Akteur:innen und auch Praktikanten, andererseits die bekannten Gesichter, die seit teilweise über 20 Jahren dabei sind.

Charles Schumann: Ja, es funktioniert auf jeden Fall anders. Und am stärksten sind inzwischen die Frauen. Wir haben einerseits seit Kurzem mit Naoko Fujimoto eine japanische Köchin. Das ist schon bemerkenswert, was sie an Bereicherung gebracht hat, die uns auch schon viel beeinflusst hat. Und an der Bar muss ich zum Beispiel Natalie van Wyk nennen, die mit ihrer ruhigen norddeutschen Art unheimlich viel Stabilität mitbringt. Auch die quirlige Magdalena Karkosz dürfen wir nicht vergessen. Insgesamt jedenfalls: Mittags haben wir es inzwischen oft, dass mehr Frauen als Männer arbeiten.

MIXOLOGY: Du hast gestern bei einer anderen Gelegenheit gesagt, dass der vielfach erwähnte Personalmangel bei Euch noch kein Problem darstellt, aber auch dass Du selbst der Ansicht bist, man müsste als Gastronom »neu denken«, wenn es um die Menschen geht.

Charles Schumann: Richtig. Wir müssen das alles anders denken, neu denken. Wir müssen den Leuten zeigen, dass wir uns um sie bemühen, und das nicht nur mit Geld. Klar, auch mit Geld. Aber nicht nur. Ich habe es auch schon so gemacht, dass wir bei einer neuen Mitarbeiterin eher ihr die Probezeit eingeräumt haben als uns. Also, dass sie ein paar Wochen arbeitet und sich dann entscheidet, ob wir als Arbeitgeber gut für sie sind. So rum will ich das denken, also dass die Leute bei uns arbeiten, weil sie das wollen. Und natürlich will ich Leute ausbilden, so wie ich selbst niemals ausgebildet worden bin. Außerdem müssen sie jederzeit merken, dass man sie nicht ausnutzt. So begeistert man doch auch Menschen für die Gastronomie. Ich glaube, das ist die Zukunft der Gastronomie. So lange ich hier bin, versuche ich immer wieder alles neu zu denken. Das geht ja am Ende auch um den Cocktail, mit dem müssen wir auch anders umgehen.

MIXOLOGY: Inwiefern?

Charles Schumann: Die Gäste wissen mittlerweile viel besser Bescheid und wollen einen vernünftigen Cocktail haben. Die müssen gute Drinks bekommen, und das kannst Du eigentlich wirklich nicht mit Leuten machen, die nur in den Beruf reinschnuppern oder das als Zwischenlösung sehen. Da braucht man Menschen, die das ernsthaft machen und die man aufbauen kann. Ich will da aber gar nicht meckern, wir haben wirklich tolle, gute Leute. Und wenn die die Basiszeit hinter sich haben, dann haben sie alle das Rüstzeug, hier lange arbeiten zu können.

»Man durfte natürlich nicht einfach Cocktails mixen, hat also auch nicht wirklich gelernt. Und dann ist der Barchef irgendwann umgefallen, weil er Alkoholiker war, wie so viele andere Barleute damals.«

— Charles Schumann

Charles Schumann verbringt immer schon viel Zeit in der Küche

MIXOLOGY: Du hast immer wieder darauf hingewiesen, dass genau dieses Rüstzeug früher nicht vermittelt wurde. Auch in Deinem Buch American Bar hast Du seinerzeit als Hauptmotivation geschrieben, dass es ein Buch sein soll, wie Du es Dir selbst in Deiner Lehrzeit gewünscht hättest.

Charles Schumann: Ich erzähl‘ das immer wieder, weil’s wichtig ist. Damals in der Harry’s Bar musste ich alles übernehmen, ohne dass ich gerüstet war. Eigentlich hatten sie mich da sowieso gar nicht haben wollen, aber der Barchef hat darauf bestanden, dass ich da arbeite. Das hab‘ ich dann gemacht. Damals war das noch so, dass man dann immer drei Schritte hinter dem Barchef stehen musste.

MIXOLOGY: Alte Schule?

Charles Schumann: Klar, und man durfte natürlich nicht einfach Cocktails mixen, hat also auch nicht wirklich gelernt. Und dann ist der Barchef irgendwann umgefallen, weil er Alkoholiker war, wie so viele andere Barleute damals. Ich sollte dann die Bar von einem Tag auf den anderen übernehmen. Solche Läden hatten ja damals 80 Prozent Stammgäste, die alle erstmal gesagt haben: »Deine Drinks kann man nicht trinken«. Da musst Du Dich durchsetzen, das war dann wiederum eine gute Schule. Fünf Jahre habe ich da letztlich gearbeitet, zusammen mit einem hervorragenden Barkellner.

MIXOLOGY: Nimmst Du Dir denn heutzutage noch die Zeit, neue oder Dir unbekannte Bars anzusehen? Schließlich stehst Du üblicherweise noch immer sieben Tage pro Woche hier im Betrieb.

Charles Schumann: Wenn ich unterwegs bin, geh‘ ich fast immer in die gleichen Bars. In Berlin ist das Becketts Kopf »meine« Bar. In Frankfurt bin ich in den letzten Jahren viel zu wenig gewesen, aber als das Roomers damals neu aufgemacht hat, mit Yared Hagos, da hat mich das schon sehr beeindruckt. Das war ein wirklich neuer Ansatz. Und hier in München? Früher war ich gern in der Bar Reichenbach, die es schon lange nicht mehr gibt, Dietmar Petri hat das da gut gemacht damals. Einige ehemalige Mitarbeiter besuche ich manchmal in ihren eigenen Bars: Bei Johannes Möhring in seiner Ménage bin ich immer mal wieder, zu Klaus St. Rainer in die Goldene Bar gehe ich, wenn ich in der Nähe bin. Fand es auch sehr schade, dass sein Wabi Sabi wieder schließen musste, das war ein guter Laden. Dann natürlich Stefan Gabányi in der Bar Gabányi, außerdem mag ich sehr gern die Bar Tabacco von Stefan Saller, Yasar Karaoglu und Edmond Sina. Woanders gehe ich eigentlich nicht hin.

MIXOLOGY: Ist das Interesse geschwunden?

Charles Schumann: Nein, eher ist mein Interesse an unserer eigenen Bar, beim Team zu sein, gestiegen. Es liegt aber auch daran, dass ich das Alter natürlich merke. Ich stehe sehr früh auf und gehe eine halbe Stunde laufen, jeden Tag, spätestens um halb sieben. Danach hol‘ ich mir irgendwo einen Kaffee, gehe nach Hause, ruhe mich kurz aus und fahre hierher zur Arbeit. Da bin ich dann normalerweise bis kurz vor Mitternacht. Und da geb‘ ich eben mittlerweile offen zu: Dann bin ich auch erschöpft, da falle ich ins Bett und öffne auch keins der Bücher, die da rumliegen. Das ist vielleicht auch eine Erkenntnis des Alters, dass man sich erlaubt, dann abends auch einfach tot zu sein. Zweimal die Woche hab‘ ich Japanisch-Unterricht, das ist so mein Kopftraining. Aber es ist wichtig, anzuerkennen, dass man sich mehr erholen muss als früher. Über sowas muss man ja reden, wenn man über die Zukunft redet. Mit 80 muss man das tatsächlich.

»Ich hab’s am Anfang gar nicht richtig kapiert, was da passiert ist. Mittlerweile kapiere ich es. Und ich hab‘ mich ja damals auch überhaupt nicht gewehrt, obwohl Leute mir gesagt haben: »Wehr Dich doch«. Aber da musst Du schon sagen, dass es eh nichts bringt, wenn man versucht sich zu wehren – Du verlierst immer. Ich war hilflos, weil mir niemand so richtig sagen konnte, was man tun soll.«

— Charles Schumann

MIXOLOGY: Du hast im Film »Schumann’s Bargespräche« von 2017 diesen berührenden Satz gesagt, dass Du nicht irgendwann wie der Koch Paul Bocuse enden willst, der im Rollstuhl irgendwo in einen Raum geschoben wird und bei dem sich die Leute fragen, ob er es überhaupt noch selber ist…

Charles Schumann: Ja! Ja, ich schaue natürlich in den Spiegel. Deswegen ja auch die Sache, dass man aufhört sich fotografieren zu lassen. Ich glaube aber schon, dass ich mir da nichts vormache. Und ich wünsche mir sehr, dass ich selbst merke, wenn’s nicht mehr weitergeht – ob im Kopf oder sonstwie. Da würd‘ ich mich gern schnell verabschieden. Ich hab‘ in Ecuador oder in Japan viele alte Menschen gesehen, wie die leben, wie ihr Gesundheitszustand ist, wie sie behandelt werden. In beiden Ländern total unterschiedlich, aber beides erschreckend. Lustig ist das nicht. Das gibt’s ja sogar hier, bei unseren Gästen, von denen einige schon wegen des Alters aufgehört haben zu kommen. Die haben sich dann richtig verabschiedet: »Wir werden uns nimmer sehen.«

MIXOLOGY: Denkst Du viel übers Altsein nach? Oder nur, wenn man darüber spricht?

Charles Schumann: Ich denke über vieles nicht nach, aber ich frag‘ mich jeden Tag, ob ich nicht wirklich eines Tages darüber nachdenken muss. Ich verdränge das immer noch. Vielleicht ist es auch ein sehr gutes Mittel, dass man jeden Tag arbeitet. Dann fehlt die Zeit zum Nachdenken.

MIXOLOGY: Du hast eben schon erwähnt, dass inzwischen einige Frauen im Schumann’s arbeiten, auch abends. Vor zwei Jahren entflammte nach einem Preis für Euch bei den »World’s 50 Best Bars« eine wilde Debatte, als die US-Barbetreiberin Julie Reiner Dir öffentlich Sexismus vorwarf, weil lange Zeit keine Frauen im Schumann’s gearbeitet haben. Du wurdest damals in den sozialen Medien, vor allem aus Nordamerika, teils wüst beschimpft. Hängt Dir die Sache noch nach?

Charles Schumann: Also an sich ist mir das wurscht, wirklich wurscht. Aber es stimmt schon, das war schlimm und das hat mich sehr mitgenommen, auch mein Team hat es belastet. Ich hab’s am Anfang gar nicht richtig kapiert, was da passiert ist. Mittlerweile kapiere ich es. Und ich hab‘ mich ja damals auch überhaupt nicht gewehrt, obwohl Leute mir gesagt haben: »Wehr Dich doch«. Aber da musst Du schon sagen, dass es eh nichts bringt, wenn man versucht sich zu wehren – Du verlierst immer. Ich war hilflos, weil mir niemand so richtig sagen konnte, was man tun soll.

MIXOLOGY: Hattest Du damals mal den Gedanken, alles hinzuwerfen und Dich der Öffentlichkeit zu entziehen?

Charles Schumann: Nein, gar nicht. Aber ich hab‘ mich traurig gefühlt, weil eine Menge Leute, die mir sehr nahestanden, aus verschiedenen Gründen nichts gesagt haben.

MIXOLOGY: Aber es gab doch recht viele Leute, die sich für Dich zu Wort gemeldet haben.

Charles Schumann: Ja, aus Deutschland und Europa, aber ich meine aus Amerika. Da hätte ich mir das schon gewünscht von ein paar Leuten, natürlich vor allem von denen, die auch in dem Film zu sehen waren. Dale DeGroff zum Beispiel. Oder David Wondrich, mit dem ich viel gesprochen habe für den Film und der immer sehr kumpelhaft war, der mir auch ständig gesagt hat, wie wichtig mein Buch sei. Da hätt‘ ich schon erwartet, dass so einer irgendwo sagt: »Macht mal halblang.«

MIXOLOGY: Vielleicht war in den wilden Tagen damals schon Schweigen die lauteste Form des Protests? Schließlich gab es da eine sehr laute Übermacht jener, die sehr hart mit Dir ins Gericht gegangen sind.

Charles Schumann: Kann schon sein, ich weiß es nicht. Aber was mich positiv beeinflusst hat, und das muss man auch so sagen, war, dass ich das erste Mal wirklich über die ganze Sache nachgedacht habe. Darüber, wie es bei uns läuft und dass es eigentlich nicht so laufen kann. Mir fiel dann auch auf, dass meine frühere Meinung, Frauen sollten nicht nachts in Bars arbeiten, ja auch aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt kam: Aus meiner Zeit in Frankreich während der frühen 1970er, in Diskotheken. Da wurden die Frauen einfach grauenvoll behandelt – also vor allem von den Gästen. Das war einfach lange so bei mir im Kopf. Ich hab‘ sehr viel drüber nachgedacht. Und mittlerweile bin ich, wie gesagt, froh, dass wir im Betrieb so viele Frauen haben, auch Frauen in wichtigen Positionen.

MIXOLOGY: War das eine schwierige Umstellung?

Charles Schumann: (lacht) War schon schwierig, das der Mannschaft zu erklären, dass wir hier jetzt Frauen haben. Du musst nur die alten Bartender reden hören. Du weißt, wie die reden! Und wie die denken. Aber ich glaube, dass es uns guttut. Und nicht, weil es jetzt so sein soll. Sondern: Weil es normal wird, weil man entweder vernünftig drüber redet oder sogar gar nicht mehr drüber reden muss. Wenn ich jetzt so unterwegs bin, sehe ich aber immer noch zu wenig Frauen in den Bars. Nicht nur in München. Ich würde auch bei uns gern noch ein oder zwei weitere Bartenderinnen mehr haben. Vor allem aber kann ich mir auch vorstellen, dass hier in der Bar jemand an meine Seite kommt, der in meine Rolle mit reinwächst, der in der Zukunft mal das Ruder übernimmt – und da sehe ich eher eine Frau, eigentlich sogar hundertprozentig.

»Japan ist schon die heimliche Liebe. Aber ich kann doch nicht einfach nach Tokio gehen und eine Bar aufmachen, jedenfalls nicht ganz allein. Das würde nur mit einem Partner gehen, glaube ich.«

— Charles Schumann

MIXOLOGY: Deine Faszination für Japan ist mittlerweile sehr bekannt. Du lernst, wie schon erwähnt, seit Längerem die Sprache und bist, zumindest vor Corona, jedes Jahr mehrfach dort. Womit nahm diese Begeisterung ihren Anfang?

Charles Schumann: Mit der Bar hatte das erstmal gar nichts zu tun. Ich habe mehrfach als Model für den Designer Yōji Yamamoto gearbeitet, das ist lange her, das war sogar noch vor meiner Arbeit für Baldessarini. Der hatte mich in Paris auf der Straße gefragt, ob ich mal bei ihm mitlaufen will. Ich war der Unbedeutendste, da waren ziemlich bekannte Schauspieler und Musiker dabei. Wir wurden dann alle zusammen nach Tokio gekarrt, es war wunderbar. Das war in einem der Jahre, als Boris Becker im Wimbledon-Finale stand, also irgendwann Mitte, Ende der Achtziger.

Schumann's Bar am Hofgarten

Odeonsplatz 6-7
80539 München

Mo - Fr 08 - 03 Uhr, Fr & Sa 18 - 03 Uhr

MIXOLOGY: Das war der erste Kontakt?

Charles Schumann: Ja, und vor etwa zehn Jahren hat meine Mitarbeiterin Maria Cobo in Bologna an der Slow-Food-Universität studiert und eine Master-Arbeit über Sake und Grünen Tee geschrieben. Sie war dann eigentlich total überqualifiziert um hier bei uns weiterzumachen. Und sie hatte schon drei Monate in Kagoshima gelebt, ganz im Süden von Japan. Also haben wir sie sozusagen wieder nach Japan geschickt. Sie war dann fünf Jahre dort und hat sogar eine Ausbildung in Kaiseki gemacht, der japanischen Kaiserküche. Daraufhin hab‘ ich dann angefangen, immer mehr nach Japan zu fahren.

MIXOLOGY: Das heißt, auch Deine Japan-Bande sind inzwischen eng mit dem Schumann’s verknüpft.

Charles Schumann: Es hat sich eher verselbständigt. Vor sechs oder sieben Jahren habe ich mir jedenfalls gedacht, dass ich eigentlich die Sprache lernen sollte. Das hab‘ ich dann so halb versucht, es hat immer besser funktioniert und inzwischen geht es ziemlich gut. Vor einiger Zeit war mir dann klar: Wenn ich das richtig können will, muss ich auch schreiben. Und das kann ich mittlerweile. Ich kann die zwei Alphabete schreiben, die es gibt. Ich kann mittlerweile sogar einige Kanjis [Schriftzeichen chinesischen Ursprungs, Anm. d. Red.]. Man müsste aber natürlich eigentlich mal für ein oder zwei Jahre dort leben, sonst bekommt man die Sprache nicht in den Griff. Mit unserer neuen Köchin rede ich jetzt natürlich nur Japanisch.

MIXOLOGY: Wenn man Dich über das Land sprechen hört, scheinen da irgendwo im Kopf von Charles Schumann immer zwei Prozent zu schwingen, die nach Japan ziehen wollen? Dort gäbe es ja auch Großstädte oder aber Platz für eine kleine Bar am Strand…

Charles Schumann: Sogar mehr als zwei Prozent, viel mehr! Aber ich denke, wenn ich nach Japan gehe, müsste ich selbstständig sein mit einer Bar. Oder für jemanden arbeiten, der sagt, dass er einen Heini wie mich als Vorzeigefigur braucht. Das hab‘ ich mir übrigens früher immer vorgestellt fürs Alter: Dass ich in irgendeinem großen Hotel stehe und die Leute begrüße und berate. Das geht natürlich nicht mehr, das ist schade. Also, ja, Japan ist schon die heimliche Liebe. Aber ich kann doch nicht einfach nach Tokio gehen und eine Bar aufmachen, jedenfalls nicht ganz allein. Das würde nur mit einem Partner gehen, glaube ich.

»Es ist kurios, aber wenn ich ein Resümee ziehen müsste über mein Leben, dann würde ich sagen: Ich hätte eigentlich gern was anderes gemacht. Aber ich wüsste gar nicht, was ich anderes hätte machen können.«

— Charles Schumann

MIXOLOGY: Wäre das dann in Tokio die Bar für die »Menschen, die ihr Leben schon verloren haben«, wie Du es manchmal ebenfalls als Alterstraum genannt hast? Also eine Bar für die späte Nacht, für schräge, dubiose und verzweifelte Existenzen?

Charles Schumann: Ja, die Bar für die Menschen, die einfach jemanden brauchen, der da ist. Die würd‘ ich gerne machen. Aber nicht in Tokio. »Meine« Stadt in Japan war immer eher Kyoto. Obwohl es schrecklich überlaufen ist dort.

MIXOLOGY: Hast Du sonst noch andere Ideen für die Zukunft?

Charles Schumann: Ich hab‘ so ein bisschen die Idee, nochmal ein Barbuch ganz für mich zu schreiben. Natürlich japanisch beeinflusst, aber neu und anders. Unser altes Buch verkauft sich zwar nach wie vor, und eigentlich schreiben alle anderen Leute genau die gleichen Barbücher. Auch da gilt: Das müsste man wirklich mal ganz neu denken. Es müsste vor allem ein Barbuch sein, bei dem man Lust aufs Trinken kriegt. Ein anderes Buch braucht doch eigentlich kein Mensch.

MIXOLOGY: Stichwort Trinken. Siehst Du die traditionelle Trinkkultur durch ein neues Gesundheitsbewusstsein gefährdet?

Charles Schumann: Ich glaube nicht, zumindest ich werde das sicher nie erleben. Ansonsten habe ich immer gesagt: Alkohol ist Dein Freund, geh also gut mit ihm um. Und dafür stand ich auch stets, Alkohol als Genuss, maßvolles Ausschenken. Dieses gepflegte Trinken kann eigentlich nicht verschwinden. Wie spät ist es eigentlich? Schon fast 12 Uhr. Wir sollten Mittagessen gehen! Darf ich vielleicht noch etwas ganz Generelles zum Schluss sagen?

MIXOLOGY: Natürlich.

Charles Schumann: Es ist kurios, aber wenn ich ein Resümee ziehen müsste über mein Leben, dann würde ich sagen: Ich hätte eigentlich gern was anderes gemacht. Aber ich wüsste gar nicht, was ich anderes hätte machen können. Zum Schreiben bin ich zu unkontrolliert und zu unorganisiert. Vielleicht wäre ich gern Außenminister geworden, ich hab‘ ja so eine schwindlige Ausbildung in dem Bereich gehabt. Darin wäre ich sicher nicht der Schlechteste. Glaube ich. Und ich hätte endlich einen Grund, doch noch vernünftig Englisch zu lernen.

MIXOLOGY: Lieber Charles, wir danken Dir von Herzen für das Gespräch.

Das Gespräch mit Charles Schumann führten Roland Graf (links) und Nils Wrage (Mitte)

Dieses Interview mit Charles Schumann erschien erstmals in der Printausgabe 5/2021 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Für diese Wiederveröffentlichung wurde es formal angepasst, aber inhaltlich nicht verändert. Informationen zu einem Abonnement von MIXOLOGY gibt es hier

Credits

Foto: Christoph Grothgar

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