Chat Noir. Eine Bar in Genf stemmt sich gegen das Einerlei.
Genf genießt einen ganz speziellen Ruf. Träge Hochfinanz, Internationale Organisationen. Hier werden die Big Deals gemacht, natürlich im Geheimen. Nächtliche Abzocke in den Bars, ohne, dass es jemand auffällt. Doch es gibt auch noch Nicolas Berger mit seinem Chat Noir. Eine Entdeckung.
In Genf kann – nein muss – man staunen. Es ist Europas Sixtinische Kapelle des Kapitals. Wer hier nicht an das Geld glaubt, bleibt besser weg. Gehört nicht dazu. Soll sich verpissen, hat den Calvinismus nicht begriffen und wird sich seinen Platz im Himmel eben nicht leisten können. Genf ist schön, auch bei Nacht. Aber nicht gut. Schick, unfassbar teuer aber eben ansonsten oft durchschnitt. Geld kann auch elend sein.
Streunende Katzen
Aber wie immer gibt es auch in Genf und drum herum fantastische Ausnahmen. Schwarze Katzen, die etwas Abseits der Innenstadt von rechts nach links über die Straßen streunen. Glück also. Die Gemeinde mit dem Namen Carouge an der Grenze zu Genf ist ein altes Arbeiter- und Kleinbürgerviertel und ein echtes Vielvölkergemisch . Kleine gedrungene Knusperhäuschen, Kinder spielen in den Gassen. Es geht ruhig zu hier. Man schleicht auf sanften Pfoten durch gemütliche Gassen. Eigentlich erwartet man hier nichts, jedenfalls keine bedeutende Bar. Doch wie immer lauert im Unscheinbaren das Erstaunliche. Wie unverhofft trifft man auf einen schmalen Eingang in der Rue Vautier. Sieht nach Kneipe aus.
Doch gleich im Innern folgt die Überraschung. Ein langer schlauchartiger Gang, der sich am Ende des Tresens zu einem „L“ ausformt. Der Laden scheint keinem besonderen Stil zu folgen. Es ist bunt, laut und erfrischend normal. Eine Mischung aus Kneipe, Bar, Restaurant und Club.
Ein junger schlacksiger Mann mit Brille begrüßt die Fremden und legt sofort los. „Wir zelebrieren hier den Gegenentwurf zu dem, was ich immer den ‚Genfer Stil’ nenne. Hier ist jeder willkommen und wir kalkulieren unsere Preise so, dass man am Ende des Abends noch mit dem Taxi fahren kann.“ Damit wirbt er auch in seiner Barkarte. Und wer zuvor in Genf einen miserablen Gin & Tonic für 25 Franken nur halb ausgetrunken hat, der weiß das zu schätzen.
Nicolas Berger kommt aus Bordeaux und ist der Sohn eines Sommeliers. Sinn für Aromatik sollte ihm also in die Wiege gelegt worden sein. Dazu hat er während seiner Ausbildung auch mehrere Stationen im Ausland durchlaufen. Letzte Ausfahrt Genf.
Old School versus New School
Nicolas Berger ist der Manager im Chat Noir, das es in anderer Form und anderen Räumlichkeiten seit bereits über 25 Jahren gibt. Angefangen hat alles mit einer winzigen Bar und nun betreibt man ein Musikmanagement mit Club, die Bar, das Restaurant. Raubtierartig bewegt sich Berger durch sein Reich und erklärt seine Philosophie. „Ich lasse gerne die Gegensätze aufeinanderprallen. Wir machen hier eine Caipirinha genauso gerne, wie den raffinierten Short-Drink aus dem 19. Jahrhundert. Wir bedienen die breite Masse, sind aber auf den Connaisseur und den Geek genauso vorbereitet“, erklärt der schmunzelnd. Und tatsächlich: Wirft man einen Blick in die Karte, oder die zur Wandtafel gewordenen Wände, so fällt eine Rubrik besonders auf.
Old School vs. New School. Da wird der klassische Bourbon Old Fashioned von 1882 einem Caribbean Old Fashioned mit aromatisiertem Rum, Passionsfrucht, Apfelsaft; Zitrone und Vanillezucker aus dem Jahre 2012 entgegengestellt. Ein Brandy Crusta von 1941 ringt mit einem Havana Crusta aus 2012 und dergleichen mehr.
So ist auch das Publikum. Musiker und Szenevolk tummeln sich neben Studenten und Businessgedressten. Im Keller gibt es Konzerte der verschiedensten Stilrichtungen. Die Wände sind bemalt von bekannten Street Art-Künstlern. Im Restaurant kann man Barfood oder ein Menü bestellen. Ein Fresco der Vielfalt. Wir sind hier an einem Donnerstag und das Chat Noir ist gut gefüllt. Stolz erzählt Berger: „Am Wochenende ist die Schlange vor der Tür länger als hundert Katzenschwänze, da brauche ich bis zu sechs Ordnungskräfte. Und da wir länger geöffnet haben als alle anderen Bars, reißt der Publikumsstrom bis in die frühen Morgenstunden nicht ab.“
Freigeist der Nacht
Kann er das wirklich alles? Ist das Chat Noir wirklich der Laden, der die Widersprüche lebt und dann zusammenführt? Berger ist ein umtriebiger Mann, der auch bereits herausragende Platzierungen bei internationalen Wettbewerben erzielen konnte – und doch so wunderbar Bescheiden und zurückhaltend. Im gepflegten Genf, das noch nicht mal Bahnhofspenner hat, wirkt er wie ein höchst wirkungsvolles Gegengift zur Saturiertheit. Neugierde ist Trumpf. Freigeist der Nacht.
Ich werde sanft an die Bar bugsiert. Es gibt Bier, aromatisierten Gin & Tonic und einen Pisco Sour. Rein und samtig, kräftig und von prickelnder Textur. Die Wirkung gleicht einer Andenbesteigung. Atemlos. Und tatsächlich: Es wird geschüttelt und gerührt, als würde morgen die Prohibition wieder eingeführt. „Wir machen 60 Prozent unseres Getränkeumsatzes mit Cocktails“, staunt Berger selbst. Bei einer Mundschenke, die nicht eindeutig eine Bar ist, ein erstaunlicher Wert. Bevor wir die Bar verlassen, fragen wir Berger was er denn nach Feierabend mache? “Da fahre ich nach Hause.” Wo er denn in Genf wohne? Das entlockt ihm nur ein müdes Lächeln. “Ich wohne in Frankreich, Genf kann sich ein Normalsterblicher nicht leisten.” Nun gut, die trifft man dann aber zum Glück im Chat Noir.
An diesem Abend traf man in Carouge Vorbereitungen zum legendären Stadtfest L’Escalade. Es erinnert daran, dass die Genfer Bürger im Jahre 1602 die Savoyer abgewehrt haben, indem sie mit Leitern die Stadtmauern stürmten. Im Chat Noir wird niemand abgewehrt, man braucht nur dann eine Leiter, um jemand vom hohen Ross zu zerren oder Katzen vom heißen Blechdach zu retten.
Club Chat Noir
13 Rue Vautier
1227 Carouge, Genf
0041 (0) 22 / 307 10 40
Di – Do 18:00 – 04:00
Fr – Sa 18:00 – 05:00
chatnoir.ch
(Mehr über die Barszene in Genf und Lausanne erfahren Sie ausführlich in MIXOLOGY Issue 1/2014. Das Printmagazin MIXOLOGY erscheint alle zwei Monate. Informationen zum Abonnement finden Sie hier auf MIXOLOGY ONLINE)
Bildquelle: Thomas Reufer