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Grill Royal

„Chez Voyeur“ in Berlin und Wien

Grill Royal und Fabios. The Tunes of two Cities. Ein Vergleich zweier Szenelokale mit Szenebars macht sicher: Wien ist Berlin; Berlin ist Wien. Und dann wieder genau nicht. Manfred Klimek über die Kuriosität von Szene, in Tische eingestanzte Namen und Rechtspopulisten in der Warteschlange.
Einst war ich, kann gut sein, dass ich diese Anekdote hier schon mal erzählt habe, einst war ich also Gast im Schumann’s in München. Das war ungefähr 1992, das Schumann’s war damals, völlig zurecht, die angesagteste Bar der jungen, vereinten Bundesrepublik und München noch die mehr oder weniger heimliche Hauptstadt Deutschlands. Im Schumann’s war es so voll wie es zwanzig Jahre später in der King-Size in Berlin voll war. Soll heißen: Man konnte sich weder nach vorn noch nach hinten bewegen, ohne mit unzähligen, meist unerwünschten Personen Körperkontakt zu bekommen. Das auch, weil es im Schumann’s keinen Türsteher gab.
Inmitten des Lokals stand ein Tisch nahe dem Tresen, an dem ein Platz frei blieb. Niemand setzte sich hin, weil ein Namensschild in die Tischplatte gestanzt war. Und der, der den Namen trug, glänzte durch Abwesenheit. Aber er hätte kommen können.

Der freie Platz…

Um den Platz, der auch zwei Personen Sitzgelegenheit bieten konnte, drängte sich derart viel Publikum, dass man befürchten musste, die Menge würde im Gesamten umkippen. Das ist Szene. So muss sie sein. So sind die Regeln in solchen Lokalen und sie sind nicht demokratisch oder egalitär. Es braucht die Besonderen, die Besseren, die für die Mundpropaganda sorgen, auch jene Tätigen, die die Besseren und Besonderen verachten. Hauptsache der Name des Lokals fällt. Und er wird richtig ausgesprochen oder niedergeschrieben.
Was ich damals mitnahm: Die Deutschen halten sich an Regeln, auch wenn sie in der Gegenwärtigkeit unsinnig erscheinen. Der Name der Person mit dem Namensschild im Tisch tut übrigens nichts zur Sache, er war damals ein beleibter sogenannter „Anzeigenkeiler“ für Zeitschriften, ein heute nahezu sinnloser Beruf. Keiner weiß, was aus ihm geworden ist. Aber er hatte seine 15 Minuten. Und ein Schild im Tisch im Schumann’s.

Jede Stadt braucht die Szene

Der Autor Moritz von Uslar hat auch so ein Schild. Es ist im Tresen der Bar des Berliner Grill Royal eingelassen. Weil Uslar keine Anzeigen keilt, sondern Texte verfasst, die von Qualität getragen das Gegenwärtige angemessen spiegeln, weil Uslar also nach wie vor ein Garant substantiellen Tuns ist, ist er auch nicht in Vergessenheit geraten. Aber er wusste stets, dass er sich an diesem für ihn reservierten Platz im Grill Royal nie anlehnen würde. Das macht er wohl auch heute nicht und die Gäste im „Grill“ geben ohnehin keinen Deut drauf, welcher Name da steht: Sie besetzen was frei ist. Nun, es sind andere Zeiten geworden und 1992 ist mit heute nicht vergleichbar. Trotzdem kann man gut festmachen, wie Szene in München oder Berlin aussieht. Und dass das heute noch gilt.
Szene. Das ist, was jede Metropole braucht, und jede Kleinstadt, die sich wichtig macht, auch. Szene ist etwas Unbedingtes und braucht Prominenz oder solche, die sich dafür hält, damit das Fußvolk bereit ist, ein paar Euro mehr auszugeben, um im Scheinwerferlicht zu stehen. Szene mag jenen lächerlich vorkommen, die tatsächlich außerhalb von Szene stehen, weil sie Szene zur Bestätigung ihres Egos gar nicht brauchen. Szene wird aber meist von jenen lächerlich gemacht, die sich den kleine Finger abschneiden würden, um dazuzugehören.
Der Grill Royal ist nach wie vor das wichtigste Szenelokal Deutschlands. Und das, obwohl er für ein Szenelokal in die Jahre gekommen ist. Es mag Erosion geben, jedoch gibt es bislang kein neues Szenelokal, das ihn beerbt. Das vom Grill vor bald zehn Jahren als wichtigstes Szenelokal der Republik abgelöste Borchardt fristet übrigens heute kein Schattendasein, es hat sogar aufgeatmet, nicht mehr die Szene alleine darstellen zu müssen. Das Borchardt ist heute ein gelassener Platz.

Von Berlin nach Wien, vom Grill Royal ins Fabios

Am Tresen im Grill bekommt man immer noch die besseren Drinks als im Borchardt, denn die Bar des Grill war immer auch als „echte“ Bar gedacht und nicht nur als Haltestelle am Weg zum Tisch. Die Bar im Grill ist tatsächlich – für Szene selten – egalistisch; sie ist dazu da, das Lokal zu überblicken und macht die dort tafelnden Promis zur Darstellern einer Inszenierung. So kann sich jeder, der im Grill ein paar Dutzend Euros für sehr gute Drinks hinlegt, auch als Besucher eines Theaterstücks wähnen. Und es gibt jeden Abend dramaturgische Höhen.
Der Grill hat in Wien ein älteres Pedant, das Szenerestaurant Fabios inmitten der Stadt. Das ist heute Teil des so genannten „Goldenen Quartiers“, wo sich seit einigen Monaten die Geschäfte bekannter Luxusmarken in einer Art Cluster zusammenfinden. Nirgendwo auf der Welt wird man auf so wenigen Quadratmetern derart viel Geld ausgeben können wie um das Fabios. Dort hat man freilich nicht darum gebeten, denn das bislang dort einkehrende Publikum war schon vor Errichtung des Goldenen Quartiers affektiert genug. Nun hat es hier zu affektierten Wienern auch noch affektierte Russen. Das Essen ist – wie im Grill – immer tadellos, das Fabios jedoch hält einen Michelin-Stern, was auch die so genannten Feinschmecker eintreten lässt. Volle Hütte garantiert (Anm. d. Red.: Das Fabios trug früher einen Stern, hat diesen aber mittlerweile wieder verloren) .
Das Fabios war das erste Wiener Restaurant, das vor bald zwanzig Jahren eine Bar in das Restaurant integrierte, die den Namen Bar verdient. Und diese Bar ist auch heute noch schon nachmittags der Sammelplatz früher Cocktailtrinker. Man muss wissen, dass Alkohol in Wien eine wesentlich bedeutendere Rolle spielt als Koks: Wien ist die Stadt des gepflegten Saufens.
Die Bar des Fabios allerdings ist vom Restaurant getrennt und man kann die Inszenierung und die im Restaurant pastamampfenden (das Fabios ist ein italienisches Restaurant) Promis, meist Politiker und Wirtschaftskapitäne, nur auf dem Weg zu den viel zu klein bemessenen Toiletten wahrnehmen. Da kann es schon vorkommen, dass der jüngste Kanzler der Welt in der Schlange steht und sein Personenschutz die Leute mustert.
Das Fabios gehört Fabio Giaccobello, der übrigens in München und auch bei Schumann gastronomische Erfahrung einholte. Als er das Fabios zimmerte, brachte er – wohl auch bewusst – einen Teil seiner Münchner Lehre nach Wien mit, freilich wissend, hier auf ein ähnlich oberflächliches Publikum zu treffen, denn der oft einzige Unterschied der Wiener und Münchner Schickeria ist, dass die Wiener Wichtigtuer sich als Nachfahren eines Weltreichs wissen und sich folglich ähnlich präpotent geben wie die Pariser oder Römer Bourgeoisie. Während an der Bar im Berliner Grill das präpotent Bourgeoise eher unerwünscht ist, ist es an der Bar im Fabios täglicher Bestandteil der hier völlig normalen Lächerlichmachung Nichtanwesender und der täglichen Portion Niedertracht.

Von Aufreißern und Nazis…

Eines aber haben beide Bars gemeinsam: Sie sind „Aufreißhütten“; der Champagner, in Wien bezeichnend „Dosenöffner“ genannt, fließt mitunter in Strömen und macht so die exzellente Arbeit der Bartender beider Lokale unsichtbar. Beiden Bars ist gemeinsam, dass hier viele One-Night-Stands eingeläutet wurden, die alleine in vier mir bekannten Fällen zu langfristigen Beziehungen und sogar zu zwei Eheschließungen geführt haben. Gäbe es den „Kupplerparagraph“ noch (und der wurde in beiden Ländern erst vor gar nicht vielen Jahren beerdigt), so würden zivile Beamte der Sittenpolizei hier ein sicheres Zielgebiet ausmachen.
Den gewichtigsten Unterschied zwischen Berlin und Wien, zwischen Grill und Fabios, macht aber der Umgang mit Rechtspopulisten aus. Während diese im Grill eher einen mißtrauisch beäugten Fremdkörper darstellen, sind sie im Fabios seit Jahren schon Teil des Ganzen. Und das erst recht, seitdem sie in Österreich mitregieren. Wien mag zwar die letzte rote Bastion im sonst eher tiefschwarzen und braunen Österreich sein, dennoch wohnt die Regierung um die Ecke und bevorzugt hippe Plätze. Dem Fabios und seine Leuten ist kein Vorwurf zu machen, dass sich der rechtsaußen Vizekanzler mit seiner blonden Aufputz-Freundin an die Bar in die Menge stellt: In Wien, wo alles schnell zum Dorf wird, jeder jeden kennt (trotz fast zwei Millionen Einwohnern), die Abhängigkeiten so auch größer sind als in Berlin und wo man seit jeher opportunistisch lebt und opportunistisch leben lässt, ist das so Sitte.
 
Der vorliegende Text erschien zunächst in deutlich gekürzter Fassung in der aktuellen Ausgabe 4/18 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Informationen zu einem Abonnement gibt es hier

Credits

Foto: Robert Rieger

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