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Hoch hinaus: Zu Besuch bei der ersten Brennerin Südtirols

Südtirol lädt bekanntermaßen mit vielerlei sinnlicher Offerten ein – meist kulinarischer und aktivsportlicher Natur, und in aller Regel wirken ihre ästhetischen Dokumentationen ähnlich elysisch wie bei Rosamunde Pilcher. Die dort mit Sicherheit auch eine Protagonistin erschaffen hätte, die Schnaps brennt. Eine tut es tatsächlich: Christine Schönweger, die erste Brennerin Südtirols.

Vom BER kommend, ist allein der Bozener Flughafen ein Traum all jener, die gerne gewusst hätten, wo es raus geht. Mit genau einem Ausgang und einem Kaffeeautomaten, ist ein jeder Ankömmling davor gefeit, zu früh über die Stränge zu schlagen, bevor es heiß wird – sowohl auf dem Teller, im Glas und auf der Haut, denn Meran hat 300 Sonnentage im Jahr; zum Vergleich: Das ist mehr als doppelt so viel denn die Freiburger genießen dürfen.

Dies beinah neidlos erwähnt, wirft die Kulisse aus der sich in alle Richtungen erklimmenden Berglandschaft, großflächig bestückt mit Wein- und Apfelanbau, dann doch die Frage auf, weshalb ein Mensch am Görlitzer Park wohnen sollte. Die dazwischen liegenden Palmenlanschaften helfen bei der Antwort nicht. Wir befinden uns auf dem Weg zu Christine Schönweger, der ersten Schnapsbrennerin in Südtirol. Diese haust in Partschins, westlich von Meran, und so ohne weiteres kommt man in Südtirol nicht von A nach B. Es braucht also Zwischenstationen, und genau dafür gibt es Menschen vor Ort, die wissen, wo die liquiden Kleinode liegen.

Christine Schönweger ist in der Gegend vor allem 'die vom Hof Gaudenz'
Über die Aussicht kann man sich in Südtirol selten beschweren

Wenn eine Marillesaison gut ist, geht es dem Südtiroler gut

Einer davon liegt in Kastelbell, zunächst noch weiter im Westen. Nach links und rechts so viele Apfelwiesen passiert, dass es kaum glaubhaft scheint, Cidre sei nicht das regionale Getränk schlechthin, erschließt sich diese Verwunderung in der Manufaktur Weberhof. Hier brennt der herzliche Hausherr Walter Klotz Brände jedweder Façon, am liebsten mit Marille oder direkt Gin. Sein Gin ist der Ötzi-Gin, dessen Namensgeber einige Stunden nördlich gefunden wurde. „Die Alten sterben ja immerzu irgendwann, da dachte ich, mache ich doch mal etwas für die Jüngeren“, lacht Klotz.

Außerdem brennt er Steinklee, Zirben und Palabirnen – besonders bleibt aber das Südtiroler Verhältnis zur Marille, der Frucht der Region: Sie ist wahnsinnig empfindsam, und wenn eine Marillesaison gut ist, geht es auch dem Südtiroler gut. Noch einmal zur Notiz für Menschen nördlich von Österreich: Die Marille scheint zunächst eine gewöhnliche Aprikose zu sein, dem ist aber nicht so. In Südtirol ist sie emotionales Bindeglied des Bauern, man fiebert um ihre Befindlichkeit in jeder Saison, und wenn sie es erst einmal geschafft hat, landet sie im Brennkessel, im Jus oder auf dem Dessert-Teller.

Walters Frau Irmgard, derweil flechtet Körbe, und so fahren auch wir mit einem geflochtenen Kerzenhänger und diversen Ötzi-Tonics weiter; werden gefahren, selbstredend. Mit einem Nachgeschmack von Birkenrinde, Emmer, Schlehe, Felsenbirne, Vogelbeere, Hagebutte, Schafgarbe, Zirbe, Enzian, Brombeere – die wir natürlich alle nicht erkannt haben – auf der Zunge, geht es wieder nach Partschins: zu Christine Schönweger. Diese hatte früher Modedesign in Mailand studiert, kam jedoch zurück und entschied sich für die Landwirtschaft. Inzwischen ist sie stolze Inhaberin der Hofbrennerei Gaudenz und brennt mit Leidenschaft, was immer ihr außerhalb der mittelalterlichen Burg-Gemäuer zwischen die Finger kommt.

Im denkmalgeschützten Gaudententurm lebte nach dem 2. Weltkrieg auch Ernst von Glasersfeld, der Erfinder des Radikalen Konstruktivismus. Heute der Hof von Christine Schönweger.

Charakterkopf des Jahres

Dass diese Finger übrigens nicht nur Apfel, Birne und Marille zu verarbeiten imstande sind, sondern die prominentesten Brände der Region aus ihrer Destille fließen, hat die Partschninserin bereits nach ihrer „Matura“, wie man das Abitur über die südlichen Ländergrenzen hinaus nennt, bewiesen: Vor knapp dreißig Jahren übernahm sie den (denkmalgeschützten) Ansitz Gaudententurm, der seinen Namen treffenderweise vom Erbauer aus dem Jahr 1348 besitzt, ein gewisser Meinhard, Edler von Gaudenz. Jener Name geht auf das lateinische gaudere zurück, also etwa Sich an etwas laben oder erfreuen.

Das geht bei Christine Schönweger zufälligerweise sehr gut. Rund 300 Liter Destillat im Jahr, das sind rund 2.100 Flaschen, füllt sie in Form von rund zwanzig verschiedenen Produkten in die Flasche, nachdem diese nach etwa einjähriger Lagerung auf Anfang 40 % Vol. reguliert werden. Am liebsten schmeckt ihr immer, was sie zuletzt fabriziert hat. Dass die Südtiroler Aprikose ein Herzstück im Sortiment der Brennerin bedeutet, schmeckt man: gelb, reif, kernig und regelrecht den weichen Flaum der ewigen „Miss Südtirol“ unter den Früchten auf der Zunge. Unter der Menschen wäre dies beinah einmal Schönweger geworden, stattdessen wurde sie aber im Vorgängerwettbewerb zum „Mädchen des Jahres“ gekürt, außerdem war sie zum „Charakterkopf“ in der Schweiz für Südtirol im Gespräch.

Würde eine solche Information auch bei Männern erwähnt werden? Nein, denn es gäbe sie nicht. Darum ist es für Christine Schönweger auch medial ein Alleinstellungsmerkmal, dass sie eben Südtirols einzige weibliche Brennerin ist. Ob sie sich hierauf etwas einbilde? „Ich weiß ja gar nicht, ob das noch stimmt und freue mich über alle, die unserer Südtiroler Riege der Schnapsbrenner beitreten und sich an lokalen Produkten erfreuen. Wenn ich durch den Ort gehe, erkennen mich alle immer erst einmal als ‘die vom Hof Gaudenz’ und dann erst als Christine.“ Dass nicht mehr Frauen brennen, ist ihr ein Rätsel. Besonders genießt sie den Tag der offenen Brennereien Südtirols, weil sie dort einen besonders guten Überblick darüber bekommt, wo gerade was im Kessel brodelt.

Darf nicht fehlen: Reinhold Messner

Anders als an anderen Orten der Welt, kennt man sich in Südtirol und, anders als beim Gin in so manchen Städten, kommt es nicht vor, dass sich ein EDV-Sachbearbeiter plötzlich denkt, er müsse Gin herstellen. In Südtirol ist das nach wie vor eine Familienangelegenheit, wie auch etliche Gastronomien seit Jahr und Tag in denselben Händen bleiben. Was dort tradiert und vererbt wird, sind weniger Besitztum und Last, sondern Begeisterung und Leidenschaft. Christine Schönwegers Sohn Felix, beispielsweise, hat das Weinmachen für sich entdeckt, sich zum Winzer ausbilden lassen und bewirtschaftet den heimatlichen Hof; mit der Mutter, einer passionierten Traktorfahrerin.

Den Teil seiner Ausbildung, die er nicht im Ausland verbracht hat, absolvierte er im westlich gelegenen Juval. Bekannt durch das Castel Juval, dem Privatschloss Reinhold Messners, residiert hier außerdem die Hofbrennerei Unterortl. Auf 33 steilen, klein parzellierten Flächen werden hier verschiedene Rebsorten angebaut und außerdem Obst für die Hofbrennerei kultiviert, aufgeteilt in vier Hektar für Wein und einen für die Brände. Unter diesem befindet sich übrigens der einzige Kastanienbrand Südtirols, Canstanca, für den 400 Kilo Kastanien im Jahr geerntet werden, bevor diese für drei Tage in Zubern eingekocht werden, die ehedem zum Kochen der Kartoffeln für die Schweine verwendet wurden.

Sicherlich sind die Region und ihre Produkte gezeichnet von ihrer Tradition und den Jahreszeiten. Die Abhängigkeit von der Ernte und der Qualität der Früchte steht hierbei weit über dem Tourismus. Der natürlich auch eine zentrale Rolle spielt: Jeden Mittwoch empfängt Christine Schönweger Touristengruppen für Verkostungsrunden in ihrem Keller.

Auf dem Waalweg

Auffallend köstlich darunter: ein Schluck ihrer 133 Flaschen Erdbeerbrand, geerntet von der Farm am Partschinser Wasserfall, einige Serpentinen aufwärts. Er ist der größte der Region und integraler Bestandteil dessen, was man sehen muss, wenn man auf einem der Waalwege entlang schlendert; der Waal ist ein öffentliches Bewässerungssystem, von dem ein jeder in Südtirol produzierender Mensch mit Wasserbedarf profitiert. Ökonomisch, aber auch ästhetisch.

Ein guter Ort, die Geister zusammenzuhalten – und fließen zu lassen.

Credits

Foto: Audun Lindholm

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