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Cocktail, Beschreibung richtig gemacht

Wissen wir, was wir da trinken? Wenn es nach der Beschreibung von Cocktail-Aromen geht, oft genug nicht. Den Anfang der Wald-und-Wiesen-Poesie ums Glas machten die Wein-Schreiber, doch mittlerweile verkümmert neben der sprachlichen Präzision auch die Bar-Sensorik. Was ist Henne, was Ei? Egal, brauchen können wir beides nicht. Eine Polemik.
Was taugen nacherzählte Drinks? Wie sinnvoll sind mit Früchten und Kräuternamen gespickte Schilderungen eines multisensoriellen Erlebnisses, das gute Spirituosen nun einmal darstellen, auf Papier? Die Diskussion dieser Fragen ist essentiell, für klassische Bartender und nicht nur für Weinsnobs. Denn ohne Beschreibungen kommen wir nicht aus. Niemand kennt alle Drinks oder Ingredienzen. Doch zum Neuen will man auch verführt werden. Doch der wesentliche Test der Tauglichkeit von Getränkebeschreibungen, so meine These, fällt oft genug negativ aus. Zumindest wenn wir ehrlich sind beim Beantworten der Frage „Kann ich mir dieses Getränk vorstellen?“ Von „ich schmecke es richtiggehend“ reden wir gar nicht.
Fahrt im Obstsalat
Warum das so ist, liegt oft genug auf einer assoziativen Sprache, die etliche Weinbeschreibungen zur Lachnummer verkommen ließ. Was nützen die – realen Beispielen entnommenen – Beschreibungen wie „Satsumas, Orangenzesten, Mandarinen, Honigmelonen, auch leicht exotische Linie“? Oder: „Rispentomaten, Schwarzbrot, schwarze Oliven, würzig; schwarzer Pfeffer, feinherb, guter Biss, Toastbrot, viel Potenzial vorhanden“? Wir ordern weder einen Obstsalat, noch ein Nachtmahl. Lackmus-Test der beschriebenen Getränke ist schlicht die funktionierende Re-Konstruktion dieser Dekonstruktion. Doch allzu oft fühlt man sich an Dialoge aus dem legendären, fehlerhaften Ungarisch-Wörterbuch der Monty Python’s-Truppe erinnert („Würden Sie zärtlich meinen Popo streicheln?“ – „Ah, zum Bahnhof! Ja, da gehen Sie jetzt links…“). In dem Sinne nämlich, dass die Drinks und ihr maue Beschreibung eine sehr kleine Schnittmenge aufweisen.
Eine vage Hoffnung äußerte letztens ein amerikanischer Kollege, der diese Art der Beschreibung von alkoholischen Getränken schlicht durch die
Technologie in ihren letzten Zügen sieht. „Irgendwann stecken sie eine Sonde da rein“, deutete er auf sein Glas. Wie viele Moleküle die 1989er Cuvée mit der Vanilleschote gemeinsam hat, was sie chemisch mit Brombeeren verbindet, alles das würde dann in Sekundenbruchteilen angezeigt. Das mag so kommen, doch wir würden gerne auch etwas trinken, bis der chemische Analysestab in der Jackett-Tasche zur Standardausrüstung gehört. Abgesehen davon, dass man bezweifeln darf, ob sich jeder Connaisseur seine sensorischen Erlebnisse durch Zehntelprozentskalen am Display „erklären“ lassen wird.
Erblindet der Geschmack?
Wie man verbale Präzision statt Unschärfe etwa auf der Barkarte anstrebt, ist alles andere als eine müßige Frage. Es geht weder um ein „früher war alles besser“, noch um ein Hadern mit einer Profession, die wir schon lange ausüben; denn die schwachen Beschreibungen beginnen Schule zu machen. Das aber bereitet nicht nur den Ästheten Unbehagen, vergessen wir nicht, dass die Beschreibung von Drinks für Rookies auch – und das ist ein wesentliches „auch“ – Lehrmaterialien für die Arbeit an der Bar darstellen. Und plötzlich wundert man sich weniger, wenn einem die Wahl des Antica Formula zum schottischen Blended Whisky der Marke Karamell-Sahne-Toffee so erklärt wird: „Das bringt die Rauchnote besser zum Vorschein“. Ähm, welche Rauchigkeit bitte?
Der Vorwurf geht aber insofern weiter, wenn am Etikett „slightly smoky“ steht, der Flascheninhalt des Scotch aber locker als Islay-Single Malt durchginge, so sehr hat der Caol Ila hier seine Duftmarken hinterlassen. Das mag eine Zufallshäufung, ein multikausales Phänomen sein oder einfach gesteigerte Sensibilität meinerseits. Dennoch bleibt – in einer grundsätzlich subjektiven Geschmackswelt – der Eindruck, dass es offenbar schwieriger wird, Geschmackseindrücke so zu benennen, dass sie der Mixologe, der Gast, ja: irgendwer nachvollziehen kann.
Lernfaulheit oder Dünkel?
Eine Ursache der Beschreibungsmisere mag daran liegen, dass der Geschmack auch trainiert werden muss. Das bedeutet Ernsthaftigkeit, Austausch mit anderen Meinungen, sich auf Neues einzulassen, kostet aber auch Zeit. Sensorische Trainings setzen aber auch voraus, die Intersubjektivität von Eindrücken anzuerkennen. Das Wort mag kein Heuler sein, aber nur im gemeinsamen Verkosten, in der Schwarmintelligenz (auch nicht viel schöner, das Wort), entstehen wirklich plastische Sprachbilder.
Das Selbstbewusstsein einer Generation, die jede Lageveränderung am U-Bahn-Sitz für eine an die Weltöffentlichkeit zu postende Nachricht hält, ist dieser Demut vermutlich nicht unbedingt förderlich. Dazu kommt eine Industrie, die einen mitunter fast zwingt, seinen Gaumen gegen sie fit zu halten. Merke: Ernähre ich mich nur von künstlichen Aromen, werde ich eine echte Erdbeere, wenn sie meinen Weg kreuzt, eben grauslich finden.
Rezepturen in Trümmern
Was als schlampige Sensorik beginnt, endet im Chaos. Denn idealer Weise lebt der Barbesuch vom Dialog. Dass sich Gäste nicht immer artikulieren können, stellt ja nichts Neues dar. Ohne zu verallgemeinern, gibt es immer noch die Klientel, die aus Neugier, Zufall oder auch Langeweile (fremd in der Stadt, Date abgesagt oder andere Hiobsbotschaften) am Tresen landet. Kurz, es sind nicht immer Habitués und Barflies, die einen Drink brauchen. Versagt hier die Leitplanke hin zum idealen Cocktail, der geschulte Mann, die kenntnisreiche Frau am Shaker nämlich, dann wird auch nie ein Stammbesucher aus ihnen. Denn es liegt nicht am Gast, wenn der Bartender nicht artikulieren kann, wie jodig ein Single Malt jetzt wirklich ist, wie stark der Hopfen im Craft Beer den Geschmack prägt oder wie süß ein Wermut ins Glas kommt.
Dort, wo der Dialog nicht geführt wird, sondern man auf die Barkarte angewiesen ist, wird die Unschärfe im Formulieren besonders problematisch. Besonders wenn die von Sterneköchen abgespickten, den Gast völlig unwissend lassenden Wort-Brocken, Verwendung finden: Vodka. Ananas. Wermut. Koriander. Da wird es dann halt – Überraschung! – doch wieder der Gin & Tonic, allen Variationen zum Trotz immer auch noch ein Verlegenheitsgetränk für unsichere Konsumenten.
Sag einfach was den Gast erwartet
Was also ist zu tun? Dort, wo dieses Unbehagen an der Schreib-Kultur seinen Ausgang nahm, im Bereich der Weinverkoster, hat man übrigens auch Therapievorschläge erarbeitet. Terry Theise etwa hat Kompositionen als Anregungen vorgeschlagen (im Buch „Reading between the wines“). Nur, dass auch sein Vergleich von Getränken mit Musikstücken das Problem nicht löst, sondern nur verschiebt. Ein Metallica-Merlot, ein Lady Gaga-Gimlet also?
Besser wären vielleicht Anlass-bezogene Verbalisierungen. Denn schließlich verspricht der Gang in die Bar auch bestimmte Effekte. Stimmungsaufhellung, Inspiration, Entertainment, Versinken in sich selbst, Heimatgefühle – die Liste lässt sich verlängern. Konkrete Beispiele könnten dann etwa lauten: „Ein nicht zu starker Rum-Drink mit karibischen Früchten und leichter Süße, der sie die ganze Nacht lang Party machen lässt“. Oder: „Ein bitteres Herrengetränk mit herber Note auf Cognac-Basis, das Gespräche über den Lauf der Welt stilvoll begleitet“. Solchen Karten könnte man dann attestieren, Cocktails nicht nur perfekt serviert, sondern auch mit sprachlicher Intelligenz und unter Vorwegnahme von Gästefragen präsentiert zu haben.
 

Credits

Foto: Mann und Frau via Shutterstock

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