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Walnuss Velvet

Die Saison im Glas mit Ruben Neideck: Die Walnuss

Ruben Neideck ist ein Pionier in der Verwendung und Verarbeitung saisonaler Zutaten in der Bar und für die Bar.  MIXOLOGY ONLINE freut sich daher sehr, dass uns der kreative Kopf der aktuellen Bar des Jahres, der Velvet Bar in Berlin, regelmäßig Einblicke in seine nachhaltige Aromenreise geben wird. Den Auftakt macht die Walnuss.

Der Winter ist karg, und so macht den Anfang ein Lebensmittel, das gut lagerfähig ist und mit einem Ölgehalt von bis zu 60 Prozent auch wahrlich nahrhaft durch den Winter bringt – die Walnuss. Sowie auch ihre Perspektive für das restliche Jahr in Form der unreifen, grünen Walnuss.

Die „Echte Walnuss“ (Juglans regia) ist in unseren mitteleuropäischen Breitengraden weit verbreitet auf bis zu 800 Höhenmetern anzutreffen. Für die Verarbeitung spannend ist in erster Linie der Walnusskern, der witterungs- und sortenabhängig Mitte September bis Mitte Oktober geerntet wird. Ernten lässt sich die Nuss, indem man sie (möglichst bald) vom Boden aufsammelt, nachdem die vollreife Frucht ganz natürlich vom Baum gefallen ist, oder indem man sie (vor allem in der Massenproduktion) mechanisch von der Pflanze löst. Um sie haltbar zu machen, werden die noch verschalten Kerne danach gereinigt, aussortiert und anschließend für einige Tage getrocknet.

Saisonale Zutaten in der Bar: Die von der Walnussmeisterei

„Die Lagerfähigkeit beträgt bei den allermeisten Nüssen in der Schale locker ein Jahr. Aber die geknackten Kerne sollten dann nicht so lange gelagert werden, und wenn doch, dann unbedingt kühl, dunkel und trocken, damit die wertvollen Fettsäuren nicht zerfallen und die Nuss nicht schnell ranzig schmeckt“, weiß Vivian Böllersen, die in Brandenburg die Walnussmeisterei betreibt.

Wer sich mit der Verarbeitung der Walnuss ganzheitlich auseinandersetzt, wird sich unweigerlich auch mit der Verarbeitung der Ende Juni geernteten, unreifen, grünen Walnuss zum schwarzen Extrakt, italienischen Nocinolikör oder französischen Vin de Noix beschäftigen. Und damit auf den üppig im Walnussbaum vorkommenden Farbstoff Juglon stoßen. Juglon leitet sich vom Gattungsnamen Juglans ab und ist vor allem in Form von Hydrojuglon-Glykosid in den Blättern und grünen Schalen des Walnussbaums zu finden, nicht aber im Kern. Das Juglon dient dem Walnussbaum als natürlicher Verteidigungsmechanismus, so wandelt sich das Hydrojuglon-Glykosid herabfallender Blätter am Boden durch enzymatischen Abbau und Oxidation zum eigentlichen Juglon.

Juglon hindert andere Pflanzen am Wachstum und sichert somit der Walnuss die Herrschaft über den von ihr überschatteten Bereich. Hydrojuglon-Glykosid aus dem Saft verletzter Pflanzenteile wird an der Luft durch Umwandlung zu Juglon schnell schwarz und haftet sehr hartnäckig an z.B. menschlicher Haut. Handschuhe bei Ernte und Verarbeitung unreifer Früchte sind daher absolutes Muss. Juglon in Extrakt-Form aus grünen Walnussblättern und -schalen werden in der Volksmedizin viele positive Eigenschaften zugeschrieben. An anderer Quelle wird vor dem Stoff wegen seiner chemischen Ähnlichkeit zu anderen Mutagenen gewarnt. In Italien und Frankreich wird seit Generationen mit grünen Walnüssen aromatisierter Alkohol (die erwähnten Nocino oder Vin de Noix) konsumiert. Wie auch bei der in Bittermandeln enthaltenen Blausäure macht die Dosis das Gift: Wer sich an einen Schnaps aus grünen Walnüssen heranwagt, wird auf jeden Fall geschmacklich reich belohnt.

Walnuss als Likör

Vivian Böllersen von der Walnussmeisterei empfiehlt als optimalen Erntezeitpunkt für die unreife Nuss den Johannistag, 24. Juni, in heißeren Sommern noch etwas früher. Wichtig ist für die garniturtechnische Weiterverwendung vor allem, früh genug zu ernten, sodass die Nüsse noch komplett weich sind. Es wird ganz mit Schale geerntet und verarbeitet.

Schwarze-Walnuss-Extrakt bzw. Nocino aus Ende Juni unreif & grün geernteten Walnussfrüchten:

(Warnung: Alles, was mit grünen Walnüssen in Berührung kommt, wird schwarz)
1000 ml Korn / Vodka / Rye
30 grüne Walnüsse

Für Likörherstellung Zucker & Gewürze: Nelken, Zimt, Zitruszesten, Muskatnuss und Vanille sind typisch.

Arbeitsfläche in Tuch wickeln, Einweghandschuhe tragen (auch zur Ernte), da alles, was in Kontakt mit dem grünen Walnusssaft kommt, schwarz wird – und lange schwarz bleibt.

Walnüsse klein hacken, z.B. vierteln, dabei jetzt schon die mögliche Verwendung der schwarzen Nuss als Garnitur bedenken und entsprechend das Schnittmuster anpassen.

Nüsse in einem Klarglasgefäß entweder in die gewählte Spirituose einlegen oder alternativ zuerst für zwei Tage in Wasser einlegen, um den ersten Schwall Gerbstoffe & Juglon auszuwaschen. In diesem Fall Wasser nach zwei Tagen abgießen und durch Spirituose ersetzen.

Falls Nocinolikör statt reinen Extrakts entstehen soll, jetzt mit dem Alkohol, ca. 200 g Zucker (oder Honig), 6 Nelken, 1 Zimtstange, 1⁄2 Muskatblüte mischen und nach Belieben Zitruszesten hinzufügen.

  • Für 4 bis 8 Wochen luftdicht ruhen lassen, dann filtrieren & abfüllen.
  • Die aufgefangenen, schwarzen Nüsse in Zuckerwasser für Garniturzwecke weichkochen und einwecken.

 

RISE ABOVE
(Damien Guichard, Velvet, 2017)

20 ml Calvados (Daron)
20 ml Rye (Woodford Reserve)
20 ml Taruzake (fassgereifter Sake, Akashi-Tai Honjozo)
15 ml Nocino
5 ml Bénédictine

Stir, Tumbler auf Eis, garniert mit in Zuckerwasser weichgeköchelter schwarzer Walnuss

 

Saisonale Zutaten in der Bar führen zu Walnuss Orgeat

Spannend für die Verarbeitung des Walnusskerns ist – wie bei Nüssen und ölhaltigen Kernen generell – der hohe Fettgehalt. Dadurch lässt sich eine Emulsion aus Wasser und Nussöl herstellen, die sogenannte Nussmilch, die wiederum fantastischer Grundstoff für einen hausgemachten (Walnuss-)Orgeat ist, einen milchigen Nusssirup. Qualitätsmerkmal einer Nussmilch und damit des daraus gewonnenen Orgeats ist neben der Qualität der verwendeten Nüsse natürlich ihr Gewichtsanteil. Während industrielle Mandelmilch z.B. im Schnitt in der Verarbeitung einen Mandelanteil von 5% aufweist, so empfiehlt sich für einen anständigen Orgeat mindestens 20% Nussanteil, besser 33%.

Eine letzte Entscheidung, die der Orgeatkoch treffen muss, ist die über den Zuckergehalt. Je geringer, desto mehr lässt sich vom Orgeat in einem Drink verwenden, ohne die Balance zu zerhauen – aber umso kürzer fällt auch die Haltbarkeit aus. Vor der Verarbeitung zu einem Orgeat (oder Destillat) anhand der folgenden Rezepte bleibt die Frage der Röstung – oder gar Schwärzung. Geröstete Nüsse lassen sich schnell und einfach auf dem Ofenblech herstellen (dünn ausgebreitet bei 170°C für ca. 12 Minuten sei hier empfohlen).

Orgeat aus 33%-Nussmilch

300 g evtl. geröstete Walnüsse, Haselnüsse, Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne oder Mandeln
600 ml Wasser
6 g Sojalecithin
500 g Zucker

Wasser und Nüsse auf hoher Stufe im Blender so fein wie möglich pürieren. Dann kurz Sojalecithin hinein pürieren. Nusspüree durch Seihtuch/Superbag wringen (je feiner, desto besser) oder per Zentrifuge separieren, um Nussmilch zu erhalten. Ausgewrungene Trockenmasse zur Weiterverarbeitung aufheben (z.B. für Eiscreme oder getrocknet und entölt für Crustas / Macarons).

Nussmilch messen und in gewünschtem Verhältnis unter leichter Wärmezufuhr mit Zucker mischen. Je weiter unter 1:1 der Zuckergehalt liegt, desto kürzer die Haltbarkeit. Zugabe von Neutralalkohol / Wodka hilft bei Bedarf nach. Abfüllen und gekühlt lagern.

Anleitung zum Bau einer Fermentationskammer

Alternativ zur Nussröstung, bei der unter hohen Temperaturen durch die sogenannte Maillard-Reaktion Röstaromen entstehen, kursiert in der kulinarischen Welt auch die Schwärzung, eine enzymatische sowie nicht-enzymatische, komplette Bräunung bei verhältnismäßig niedriger Temperatur über einen langen Zeitraum. Das bekannteste Produkt dieser Methode ist der schwarze Knoblauch. Überraschenderweise lässt sich die Technik, die schwarzen Knoblauch so reichhaltig im Geschmack macht, auf sehr viele eiweiß-, zucker- & restfeuchtehaltige Lebensmittel übertragen. René Redzepi & David Zilber aus dem Noma in Kopenhagen zeigen in ihrem sehr empfehlenswerten, kürzlich erschienenen Buch The Noma Guide to Fermentation, wie das geht.

Die Grundidee ist, dass die nicht-enzymatische Maillard-Reaktion (Veränderung von Eiweißen) und Pyrolyse (Aufspaltung von Molekülketten), die normalerweise wie bei der Röstung bei höheren Temperaturen ablaufen, sehr langsam auch bei etwas niedrigeren Temperaturen geschehen, da vereinzelte Moleküle in einem Gemisch von Abermillionen Molekülen ab und an doch schnell genug schwingen, also heiß genug sind, um diese chemischen Reaktionen einzugehen. Dabei lösen die ersten Reaktionen immer mehr Kettenreaktionen aus. Ergänzt wird das Ganze noch durch enzymatische Bräunungsprozesse wie die Oxidation durch das pflanzliche Enzym Polyphenoloxidase. Allen Reaktionen ist gemeinsam, dass sich geschmacksgebende Pflanzenteile wie Zucker oder Aminosäuren verändern oder spalten und damit völlig neue Geschmacksgeber entstehen. Eine so geschwärzte Haselnuss schmeckt und duftet beispielsweise intensiv nach Kakao und Pumpernickel.

Und an sich ist es ganz einfach: Unter Luftabschluss werden restfeuchte Nüsse für 4 bis 6 Wochen konstant auf 60°C gehalten. Da braucht es nur noch die passende Gerätschaft: Ein Sous-Vide-Bad oder die Warmhaltefunktion eines Reiskochers funktionieren, in The Noma Guide to Fermentation gibt es außerdem die Anleitung zum Bau einer Fermentationskammer, die dies leisten kann.

Schwärzung reifer Nüsse nach René Redzepi & David Zilber

  • Fermentationskammer/Sous-Vide-Bad/Reiskocher auf 60°C vorheizen. Diese Temperatur soll über bis zu 6 Wochen konstant gehalten werden, es empfehlen sich daher gut isolierte Geräte, die das leisten kö Und beim Sous-Vide-Gerät jede Woche eine Auffrischung des (schnell verdampften) Wasserbads.
  • Die Nüsse sollten noch ihre Schale haben und einigermaßen erntefrisch für Restfeuchte sein. Alternativ bereits geknackte Nüsse für einige Stunden in Wasser einweichen.
  • Nüsse in einer einzigen Schicht in einen Vakuumbeutel füllen und vakuumieren, dabei zwar so viel Luft wie möglich absaugen, gleichzeitig aber darauf achten, dass spitze Nussenden nicht den Beutel durchbohren.
  • Für 4 bis 6 Wochen in Fermentationskammer/Sous-vide-Bad/Reiskocher bei konstanten 60°C geben.
  • Nach 4 Wochen regelmäßig Fortschritt testen und bei zufriedenstellendem Ergebnis gleich weiterverarbeiten, z.B. zu Orgeat.

Saisonale Zutaten in der Bar Walnuss

Die Vergeistung der Walnuss

Zu guter Letzt und als Königsdisziplin unter den barrelevanten Verarbeitungsmethoden ist natürlich die Vergeistung der Nuss spannend. Ein Brand, also Vergärung von Eigenzucker und dessen Destillation, ist aus Nüssen nicht möglich, eine Vermischung mit bereits hochkonzentriertem, fremdem Neutralalkohol und anschließende Destillation zu Nussgeist hingegen schon.

Dr. Konrad Horn von der Deutschen Spirituosen Manufaktur in Berlin, die einen fantastischen Walnussgeist brennt, schreibt, dass in Sachen Nussgeist „Röstaromen Teil der Geschmackserwartung sind“. Dazu findet sich in der Ausgabe 12/2018 des Magazins Kleinbrennerei ein interessanter und aufwendiger Testbericht über die Rösttemperaturen in der Produktion von nicht aromatisiertem Haselnussgeist, der maximalen Kakaogeschmack bei einer Röstung auf 120°C für 10 Minuten und einem Extraktionsalkohol von 48% Vol. bescheinigt – aber kaum Kakaogeruch. So lassen sich laut dem Testbericht Kakaogeschmack und Kakaogeruch nicht im gleichen Destillat maximieren. Der Bericht empfiehlt als Geschmacks- und Aromenkompromiss eine Rösttemperatur für Haselnüsse von 170°C für 12 Minuten. Sicher spannend könnten auch die übermäßig veränderten Aromen durch Schwärzung nach The Noma Guide to Fermentation sein.

Anschließend werden als Extraktionsalkohol „je nach gewünschter Geschmacksintensität ca. 0,75 bis 1,5 kg Nüsse je Liter 96-prozentigem Alkohol verwendet“, schreibt Horn. „Während zu Beginn der Destillation typische Nussaromen wahrzunehmen sind, kommen vor allem Röstaromen eher bei höheren Wasseranteilen gegen Ende der Destillation. Den richtigen Zeitpunkt zu finden, um vom Mittel- auf den Nachlauf umzuschalten, ist die Kunst des Destillateurs.“

Saisonale Zutaten in der Bar sind (k)eine harte Nuss

Eine harte Nuss. Aber es lohnt sich, das Passiertuch zu melken, das Schwarz hereinbrechen zu lassen, oder vielleicht gar den Rotationsverdampfer zum Surren zu bringen. So lässt’s sich besser durch den Winter kommen.

 

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

Comments (1)

  • boris

    you‘ve come a long way since luftschloss

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