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Corona Chronicles Teil 5, 23. März – Reagieren auf die Krise: Das Team des Roomers München arbeitet bei Rossmann

Das Corona-Virus und seine Auswirkungen betrifft die ganze Welt. Auch die Bar-Community steht vor großen Veränderungen. Mit unseren Corona Chronicles wollen wir für Aufklärung sorgen, die Szene vernetzen, Unterstützung bieten – und nicht zuletzt auch Erleichterung in den Alltag zu bringen.

Es ist noch nicht lange her, da wurden Parallelen zwischen den 2020er-Jahren und den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts gezogen. Da wie dort gab bzw. gibt es starke, gegensätzliche gesellschaftliche Strömungen; auf der einen Seite ein humanistischer Hedonismus und nachhaltiges Handeln, auf der anderen Seite eine neue Rechte und reaktionäre Abschottung. Beides eingebettet in die jeweilige Blütezeit der Cocktailkultur.

Dieser Vergleich war stets augenzwinkernd gemeint. Mit einer neuen Prohibition hat niemand in den kühnsten Träumen gerechnet.

Und doch sind die Auswirkungen des Coronavirus auf die Barkultur genau das, zumindest was die flächendeckenden Schließungen bedeutet: Die Coronition kommt mit Vorhängeschlössern und kompletter wirtschaftlicher Unsicherheit einher. Kaum ein Gastronom oder Gastronomin geht davon aus, ab dem Zeitraum des 19. Aprils wieder den Normalbetrieb aufnehmen zu können. Vielmehr rechnet man mit Monaten. Man schickt die Mitarbeiter in Kurzarbeit, zieht die Stecker aus den Eistruhen, spricht mit seinen Vermietern über Mieterlasse, hofft auf staatliche Unterstützung (die mit einem Paket von 156 Milliarden auch beispiellos sein wird) und gründet Initiativen.

Mixology Bar Awards 2020 - Die Jury | Mixology — Magazin für Barkultur
Arnd Henning Heißen | ©Constantin Falk

Alternativen für BartenderInnen

Für Bar-Unternehmer ist das Einkommen von einen Tag auf den anderen auf Null gesetzt. Neben Gutschein-Plattformen ist für viele vor allem ein rasch umgesetzter Cocktail-Lieferservice eine Option für eine Finanzspritze.

„Drinks zu liefern ist im ersten Moment sicher eine gute und sinnvolle Beschäftigung. Aber so viel Pre-Batched-Cocktails kann man gar nicht verkaufen“, zweifelt zumindest Arnd Henning Heißen an der langfristigen Lösung der Option Cocktaillieferung.

Der ehemalige, langjährige Barchef des Ritz-Carlton in Berlin hat auch anderes im Sinn. Wer Arnd Henning Heißen nicht kennt, sondern lediglich den Namen Ritz-Carlton hört, mag verkennen, dass man es mit einem bodenständigen, sozial umsichtigen Menschen zu tun hat. Jemand, der einen hohen Wert auf die harmonische Interaktion von Menschen legt – und ihrer Notwendigkeit.

„Ich möchte im Moment gar keine Drinks ausschenken, es gibt wichtigeres“, so Heißen. „Ich bin mit einem Bio-Markt im Gespräch, um dort zu arbeiten. Die Menschen in Supermärkten laufen seelisch auf dem Zahnfleisch. Ich sehe mich in der Lage, emotional zu helfen. Wir Bartender können mit unserer Erfahrung nützlich sein. Wir sind belastbar und geschult im Umfang mit Konflikten. Außerdem brauchen wir von unserer Psychologie her – zumindest ich – den Umstand, mit Menschen zusammen zu sein. Im Positiven wie im Negativen”, so Arnd Henning Heißen, der zumindest auch einen ganz pragmatischen Ansatz sieht: „Ab April bin auch ich ohne Gehalt.“

Team des Münchener Roomers nun bei Rossmann

Es geht eben zunehmend darum, wie man auf die Krise reagiert. Ob man vor ihr erstarrt wie vor einer gigantischen Welle, die einen erschlagen wird. Und es also ohnehin keinen Sinn hat, Ausweichversuche zu unternehmen.

Oder ob man sich bewegt; einen Duck Dive unten durch sie durch probiert. Kurzum: reagiert.

Das Team des Roomers München Izakaya macht letzteres: Mit 1. April wird die achtköpfige Mannschaft der japanisch inspirierten Location bei der Drogerie-Kette Rossmann im Minijob arbeiten. „Wir haben vor wenigen Tagen die Bar ausgeräumt, das war ein emotionaler Moment“, beschreibt Bar-Managerin Christina Beck. „Da brachte eine Kollegin zur Sprache, ihre Mutter hätte angemerkt, dass sie bei Rossmann arbeiten könne. Das haben wir dann für uns überlegt, und sind mit der Anfrage bei Rossmann sofort auf offene Ohren gestoßen. Einen Tag später war alles unter Dach und Fach und wir hatten die Zusagen.“

An gleichen Standort arbeiten werden die acht Kollegen und Kolleginnen nicht, sondern jeder in der jeweiligen, der Wohnung am nächsten gelegenen Filiale. „Wir waren vorher schon ein tolles Team, aber jetzt ist der Zusammenhalt noch größer. Wir sind ständig in Austausch. Das hilft in dieser Zeit“, so Christina Beck, die seit der Eröffnung im Februar 2017 Teil des Izakaya im Roomers München war.

„Ich kannte den Begriff Kurzarbeit nicht, und wir mussten auch noch in Erfahrung bringen, ob es Abzüge beim Minijob gibt, wenn man in Kurzarbeit ist. Auch wenn niemand weiß, wie es weitergeht, blicken wir positiv in die Zukunft und sind dankbar.“

Das achtköpfige Team des Roomers in München mit Bar-Managerin Christina Beck (ganz rechts)

Oder doch aufs Feld

„Ein Kollege meinte, wir sollen uns bei Bauern aus seiner Heimat bewerben, die suchen hängeringend nach Helfern. Ich komme vom Niederrhein und hatte diesen Gedanken auch schon.“

Noch hat sie den Aufenthalt in München vorgezogen. Der Radius ist schließlich auch eingeschränkt. Noch ein gewichtiger Unterschied zur damaligen Prohibition, die zwar auch in anderen Ländern eingeführt wurde, aber natürlich hauptsächlich mit den USA verbunden wird: Bartender konnten damals in andere Länder ausweichen, beispielsweise Kuba oder Großbritannien; man denke etwa an Harry Craddock.

Der globale, gesichtslose Gegner Covid-19 aber erlaubt keine Ausweichmöglichkeit. Nicht nur die Bars sind geschlossen. Auch die Grenzen sind dicht. Alternativen müssen vor Ort gefunden werden.

„Man kann diese Situation auch für sich nutzen”, sieht Arnd Henning Heißen Positives. „Neben der Tatsache, andere Branchen kennenzulernen, interessiert mich auch die Aussicht, mehr über Bioprodukte zu erfahren.“

Auf Krisen reagieren heißt schließlich auch: Wenn manche Straße versperrt ist, muss man andere Wege denken.

Credits

Foto: Bild: Shutterstock / Bearbeitung: Editienne; Constantin Falk; Christina Beck

Comments (1)

  • Kristina Wolf

    Wer unfreiwillig zu Hause sitzen muss und von nirgendwoher sein Auskommen bezieht, kann hiermit zwei Fliegen mit einer Klatsche erledigen. Lernen tut man auch etwas.
    Und ja, ich habe soetwas auch gemacht. Schadet überhaupt nicht. Nichteinmal dem Stolz.
    Ich sag nur Spreewälder Senfgurken
    https://www.land-arbeit.com/

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